8. Kapitel

 

Hinter der schweren Tür erwartete ihn das beruhigende Dunkel des Kellers, aus dessen kühlen, höhlenartigen Winkeln und Nischen längst alles Unheimliche verschwunden war.

Leise, wispernde Stimmen drangen von ganz tief unten die Wendeltreppe herauf, als wollten sie ihm den Weg weisen. Die bleierne Müdigkeit des Tagschlafes machte jeden einzelnen Schritt zur Qual. Er fühlte sich, als lasten tonnenschwere Gewichte auf seinen Beinen. Gegen die Schwäche, die mit der Morgendämmerung einsetzte und den Hirudo wie eine Alarmvorrichtung diente, kam keiner an. Früher versuchte er oft wach zu bleiben, scheiterte jedoch jedes Mal kläglich. Der Schlaf war erbarmungslos.

Am Fuße der steinernen Treppe angelangt, schlich er immer weiter den geheimnisvoll flüsternden Stimmen entgegen. Er erkannte Beryl und Eliane, die sich in ihrer eigentümlichen Sprache miteinander unterhielten.

Schon als Kind, und sogar heute noch, klangen die seltsam kehligen Laute so verschwörerisch und begehrenswert, und er wünschte, sie brächten sie ihm bei. Wenn er sie darauf ansprach, lachten sie nur und ignorierten jeden weiteren seiner Versuche. Ihr spöttisches Gelächter trieb ihn immer wieder zur Weißglut. Sie lachten oft über alles Mögliche. Sie lachten aus ihrer eigenen Welt heraus, über alles und jeden. Jeder, außer ihnen, war in ihren Augen eine Witzfigur. Wie zwei herausgeputzte Rabenvögel, die frech von einem hohen Baum herabkeckerten und hochmütig das glänzende Gefieder ausschüttelten. Dieses Gelächter trug keine Wärme oder Nachsicht in sich, mit der man über die putzige Tollpatschigkeit eines niedlichen Haustiers lachte. Nein, ihr Lachen war bitter und höhnisch, voll beißender Geringschätzung.

Die äußerliche Schönheit der beiden war Blendwerk, das ihre Opfer dazu verleitete, sich ihnen ganz und gar hinzugeben. Ihnen dann erst einmal in die Falle gegangen, zeigten sie ihm ihr wahres Gesicht und weideten sich an dem überraschten Schrecken in den Augen ihrer Beute. Die beiden lebten ihre eigenen Gesetze und ihre ganz eigenen, absonderlichen Launen - und ebenso ihre ganz eigenen Jagdregeln, die allein ihr morbides Verlangen nach immer neuen Variationen bestimmte.

Auch jetzt lachten sie, als er an ihrer Schlafnische vorbei zu seinem Bett schlich.

Was sie wohl sagen werden, wenn er Lucas kleines Geheimnis lüftete? Ob sie dann immer noch lachten? Er machte sich keine großen Sorgen, auf wessen Seite sie sich dann stellten. Bestimmt war ihnen klar, dass sie, wenn Lucas erst einmal aus dem Haus war, wesentlich mehr Freiheiten erhielten. Lucas und seine verfluchten Gesetze. Keiner von ihnen wäre glücklicher über deren Aufhebung als Beryl und Eliane, dachte er grimmig lächelnd.

Jarout erinnerte sich noch gut an jenen Abend vor etwa fünf Jahren, an dem die beiden von Lucas derart gedemütigt worden waren, dass sie ihm bis heute nicht verzeihen konnten.

Damals war Jarout, mit Denis im Schlepptau, von einem Ausflug in einen der umliegenden Orte zurückgekehrt. Mit seinem Halbbruder entfernte er sich nie weiter als ein paar Kilometer vom Haus. Denis fürchtete sich vor großen Städten, und zu viele Menschen um ihn herum, versetzten ihn geradezu in Panik. Er konnte ihm schon sehr auf die Nerven gehen mit seinem ewigen Gejammer. Mehr als zwei Jahrhunderte alt, benahm er sich doch wie ein Kind. Deshalb war Jarout auch an jenem Abend heilfroh, wieder zu Hause zu sein und die Rolle des Babysitters, Seamus und Galina zu überlassen.

Er selber wollte noch einmal los und eigentlich nur noch was anderes anziehen, als er auf dem Weg zu seinem Zimmer, im zweiten Stock, leises Gelächter und gedämpften Wortwechsel in einem der anderen Räume hörte. Das Außergewöhnliche daran war, dass eine der Stimmen eindeutig männlich war. Männlich und fremd. Natürlich waren ab und an Gäste im Haus, aber nur selten kamen sie unangemeldet. Neugierig schlich er sich lautlos heran und spähte durch den Spalt, der nur angelehnten Tür in das Zimmer.

Und was er sah, fesselte augenblicklich seine Aufmerksamkeit.

Auf einem Stuhl in der Mitte des Zimmers saß ein halb nackter, vielleicht dreißig Jahre alter, muskulöser Mann, und zu seinen Füßen knieten Beryl und Eliane. Ihre langen, kühlen Finger strichen liebkosend über seine Schenkel und den Schritt seiner Hose. Den Kopf in den Nacken gelegt, bot er seine Kehle vollkommen ungeschützt und vermutlich ahnungslos ihrem schnellen Angriff dar.

Himmel, wenn Lucas sie so fand. Sie wussten doch, dass sie kein Opfer herbringen durften. In diesem Haus wird nicht getötet, sagte Lucas. Und er hatte die Erlaubnis der Alten, Befehle zu erteilen und uneingeschränkt für deren Einhaltung zu sorgen. Wie konnten sie da auch nur daran denken, sich ihm zu widersetzen? Doch keine der beiden Frauen schien daran zu denken, ihr Spiel vorzeitig zu beenden, sondern ließen den Mann ganz nach Belieben ihre weißen Brüste und Schenkel liebkosen und erwiderten seine Zärtlichkeiten sogar. Ein Liebesspiel hätte man denken können, wäre da nicht der unmissverständliche Hunger gewesen, der bedrohlich in ihren leuchtenden Augen glühte.

Doch der Mann bemerkte nichts davon. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich auf seine eigene Geilheit zu konzentrieren, als sich um die lauernde Gefahr hinter der augenscheinlichen Begierde der beiden Frauen zu kümmern. Fiel ihm denn nicht einmal auf, wie unnatürlich kalt ihre Haut war?

Beryls Hände glitten auf den Verschluss seiner Hose zu, und geschickt öffnete sie Knopf und Reißverschluss. Er stöhnte, als der Druck nachließ und seine Erektion Platz fand.

Sein geschwollenes Glied drängte gegen den Stoff der Unterhose, doch aus diesem Gefängnis wurde es mit zwei geschickten Griffen befreit, nur um gleich darauf in Elianes Hand zu verschwinden.

Jarout spürte seine eigene Erregung hart und heiß und wünschte sich, an die Stelle des Mannes. Vergessen war seine Angst, von Ihnen oder Lucas entdeckt zu werden. Beinahe konnte er die kühle Festigkeit ihrer Finger an sich selbst auf- und abgleiten spüren. Er musste sich auf die Lippen beißen, um nicht aufzustöhnen und dadurch seine Anwesenheit zu verraten.

In lasziver Anmut stand Beryl auf und stellte sich hinter den Stuhl, schlang ihre Arme um den Oberkörper des Mannes, sodass er seine Arme nur noch so weit bewegen konnte, wie sie ihm erlaubte.

Langsam beugte sie sich vor und senkte ihre Lippen zu einem langen Kuss auf seinen Mund. Ihr langes, schwarzes Haar fiel über ihre Schultern und legte sich wie ein dunkler Schleier um beide. Trotzdem konnte Jarout ganz deutlich ihre Fangzähne sehen und auch, dass sie darauf achtete, ihren Liebhaber, die scharfen Spitzen nicht spüren zu lassen.

Unterdessen rückte Eliane näher zu ihm heran. Weit spreizte sie seine Schenkel auseinander, sodass sie noch dichter an ihn herankam, und öffnete ihre Lippen zu einem Kuss ganz anderer, köstlicher Art. Sein Gesäß hob sich ihrem Mund entgegen. Er stöhnte laut, als sie sein Glied in den Mund nahm. Mit benebeltem Blick starrte er sie an. Sein Atem ging schwer und stoßweise. Immer schneller stieß sie nieder und hielt nur inne, um mit ihrer Zunge, die feucht glänzende Spitze zu umspielen. Womit sie ihn immer weiter und weiter trieb, bis er vor Geilheit schrie und seine Hände grob nach ihrem hellen Haar krallten.

In diesem Moment legte sich eine weiche Hand auf Jarouts Schulter. Erschrocken fuhr er herum. Er konnte ein wütendes Fluchen gerade noch unterdrücken. Denis! Dieser Idiot war ihm nachgeschlichen. Um ein Haar hätte er sie beide verraten. Wütend deutete er ihm, sich fortzumachen. Doch Denis beachtete ihn überhaupt nicht. Mit fasziniertem Blick schielte er an Jarout vorbei durch den Türspalt. Sei’s drum, warum sollte der Ärmste nicht auch seinen Spaß haben? Also ließ er ihn, wo er war. Ihm war wichtiger zu sehen, was weiter geschah.

Der Stuhl ruckte laut polternd über den Holzboden. Nur noch Beryls unnachgiebige Umarmung hielt den Mann auf seinem Platz, als er seinen Höhepunkte erreichte und sein Sperma in einer wahren Flut auf Elianes Gesicht klatschte.

Dann ging alles blitzschnell. Erbarmungslos senkte sie den geöffneten Mund über den immer noch steifen Penis. Ihre scharfen Zähne gruben sich in seine Hoden, und was ihm eben noch so unsägliche Freuden gespendet hatte, landete im hohen Bogen, durch den Raum gespuckt, mit einem feuchten Platschen neben der Tür, hinter der Jarout und Denis vor Schreck wie gelähmt hockten.

Beryl spie seine abgebissene Zunge in dieselbe Richtung und beide beugten sich gierig über die gerissenen Wunden und tranken hungrig und wild aus den sprudelnden Quellen. Das verzweifelte Kreischen des Mannes gellte durch das ganze Haus. Doch seine spitzen Schreie verstummten schnell, lange bevor der rote Strom versiegte, der sich an Beryls und Eliane Mündern vorbei, zu einer Lache auf den Fußboden ergoss. Was für eine Sauerei! dachte Jarout erschrocken.

Denis wimmerte leise. Oh Gott im Himmel! Jarout hätte ihn fortschaffen sollen. Der grauenvolle Anblick des Todeskampfes war nichts für seinen Halbbruder. Doch für Reue blieb keine Zeit, denn Beryl war Denis Jammern nicht entgangen, und ihr funkelnder Blick ließ keinen Zweifel darüber, wie zornig sie war. Nein, das war nicht nur Zorn. Regelrechter Hass sprach aus ihren glühend grünen Augen.

Sie setzte zum Sprung an und fiel mit dem Zorn eines Racheengels über ihn und Denis her. Sie war so schnell, dass sie ihnen den Weg abschnitt, ehe sie überhaupt an Flucht denken konnten. Jarout war sicher, dass sie ihn und Denis getötet hätte, wäre Lucas nicht genau zur rechten Zeit nach Hause gekommen und dazwischen gegangen. Sein Vater handelte ohne ein einziges Wort zu verlieren oder eine Erklärung abzuwarten. Ein Gedanke von ihm reichte aus, um Beryl und Eliane, die ihr gefolgt war, wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, die Treppe hinaufzuschleudern.

Während die beiden durch die Wucht des Aufpralls betäubt liegen blieben, rannte Lucas in das Zimmer, wo die Leiche des Mannes auf dem Boden lag.

Eine Minute später kehrte er zurück, blasser als er ohnehin schon war und mit einem Ausdruck in den Augen, den Jarout unmöglich deuten konnte. Sanft streichelte er im Vorbeigehen Denis Wange. Seine hellen Augen verrieten, dass zumindest Denis, unter dem Einfluss von Lucas Talent, jüngste Erinnerungen aus dem Gedächtnis anderer zu löschen, die Vorfälle der Nacht vergessen durfte. Jarout wurde mit kaltem Seitenblick nicht nur die Gunst des Vergessens, sondern auch Vergebung verweigert.

Lucas schickte sie beide fort, und Blanche brachte sie hinunter in den Keller. Keine Sekunde zu früh, denn kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, brach oben die Hölle aus. Selbst im Keller konnten sie damals den Lärm von oben hören. Lautes Krachen. Lucas, und ihrer beider markerschütternde Schreie und Verwünschungen, hallten durch das ganze Haus.

Ihr Kampf dauerte insgesamt wohl nicht einmal eine Stunde, doch Jarout kam die Zeit, die er auf seinem Bett sitzend und Denis in Blanches Armen gekauert lag, wie eine Ewigkeit vor.

Doch schließlich verstummte der Lärm. Sie hörten die schwere Kellertür sich öffnen und wieder schließen. Lucas sah ziemlich übel zugerichtet aus, als er die steinerne Kellertreppe herunter kam. Seine Kleider waren an mehreren Stellen zerrissen, und frische Wunden klafften ihm an den Armen und im Gesicht. Sein kurzes, rotes Haar war dunkel von Schweiß und geronnenem Blut, und an seinem zornigen Blick war deutlich zu erkennen, wie sehr ihm das Geschehene zusetzte. Ohne ein Wort ging er zu seinem Bett und schloss den Vorhang, der seine Schlafstelle von der Jarouts trennte.

Dieses Schweigen - es schien ihm ganz allein die Schuld zu geben. Seine Aufgabe wäre gewesen, Lucas oder in dessen Abwesenheit, Seamus zu rufen, um Beryl und Eliane aufzuhalten. Doch am meisten nahm Lucas ihm wohl übel, dass er Denis mit ansehen ließ, was Beryl und Eliane dem Mann antaten. Auch wenn Lucas Denis ständig sagte, dass er auf seine Art und Weise ein ebenso starker Hirudo wie jeder von ihnen war, entsprach das dennoch nicht seiner tatsächlichen Meinung.

In Wahrheit glaubte Lucas, dass Denis Schutz brauchte, weil er schwach und naiv wie ein nur wenige Jahre alter Neugeborener war.

Jarout war schuld, weil er genau wusste, dass Denis jemanden brauchte, der sich seiner annahm und er trotzdem nicht aufgepasst hatte.

Denis Schwäche war Jarout zutiefst zuwider. Und seine Anhänglichkeit machte alles nur noch schlimmer.

Aber dafür war Jarout schon immer gut genug, den Babysitter für seinen Bruder zu spielen, aber von allen wirklich wichtigen Angelegenheiten sollte er sich fernhalten. Doch bald war Lucas Herrschaft vorbei. Eher als ihnen allen lieb war, würde er den großen Gott Lucas vom Olymp herabstoßen und auf dem Grund der Wahrheit zerschmettern.

Dann zeigt sich, wer noch an das glaubt, was er sagt und seinen dämlichen Gesetzen folgt. Oh ja, von jener Nacht, in der Lucas fiel, wollte er jetzt träumen. Sorgfältig legte er das Manuskript von Karens Mutter unter die Matratze seines Bettes und legte sich schlafen.

Morgen Nacht, Jarout. Morgen Nacht! wiederholte er immer und immer wieder in Gedanken, bis ihm die Augen zufielen und der Schlaf ihn endgültig übermannte.