Teil  II

 

Besuch trifft ein

und

Schreckliches geschieht

 

~ 1. Kapitel ~

 

In dem Geheimnisvolles in Augenschein genommen wird,

man jedoch keinerlei Erkenntnis gewinnt

 

Die beiden Männer standen in der Halle neben der Eingangstür. Offensichtlich war Calman gerade erst eingetroffen. Von ihrem Versteck hinter dem Treppengeländer aus, konnte Karen nur die dunklen Silhouetten der Gestalten erkennen. Im Dämmerlicht der schwach beleuchteten Vorhalle waren sie als schemenhafte Schatten zu erkennen. Vorsichtig atmend kauerte sie neben der obersten Treppenstufe und lauschte ihren Stimmen.

Einer Eingebung folgend, hatte Karen beschlossen, die beiden eine Weile zu beobachten. Sie wusste nicht, was diesen Wunsch in ihr weckte, doch wollte sie vor allem Calman in Ruhe betrachten, ehe sie ihn begrüßte. Sie wollte Veränderungen und Wohlvertrautes an ihm entdecken. Jemanden heimlich zu beobachten war von großer Intimität und so nahe wie in diese Minuten der Heimlichkeit würde sie Calman während ihres Zusammenseins nicht kommen. Jeder längere Blick, jede nachdenkliche Gesprächspause, in der einer den anderen einfach nur ansieht und seine Anwesenheit auf sich wirken lässt, löst unausweichlich Nervosität und Fragen aus. Anders war das bei Calman auch nicht. So aber gehörte er ganz ihr.

Nachdenklich betrachtete sie die beiden Männer und lauschte ihren leisen Worten. Lucas und Calman. Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten. Ihr Vater, Lucas Vale, und Calman, ihr Freund und Lehrer. Calman gefiel diese Bezeichnung nicht. Für sie aber war er und das Wissen, das Erleben, welches er ihr schenkte, das Tor zur Welt. Nicht nur zu der Welt der Hirudo, sondern vor allem das Tor in die Welt der Menschen. Gemeinsam hatten sie Paris, New York, Berlin, Moskau und zuletzt New Orleans bereist. Reisen, die in seiner Gesellschaft zu unvergesslichen Abenteuern wurden.

Verwundert erkannte Karen jetzt wieder einmal die Unterschiede zwischen Lucas und Calman. Ihr Calman: lebensfroh bis an die Grenze zum respektlosen Übermut und Lucas: konservativ und zu übertriebener Vorsicht neigend. Calman, groß gewachsen und dunkel mit olivefarbener Haut, schwarzen Augen und Haaren. Und Lucas, dessen Haut weiß und glatt wie Porzellan war, seine Augen hell und das Haar flammend rot, dem ihren so ähnlich. Mit dem Aussehen endeten auch schon die Gemeinsamkeiten zwischen Vater und Tochter. Ihr Temperament war so unterschiedlich wie Feuer und Wasser. Dementsprechend nervenaufreibend gerieten sie auch häufig aneinander.

Mit Calman war alles anders. Er teilte ihre seltsam überbordende Energie und wusste sie dennoch zu mildern.

 Von ihm lernte sie, Kunstwerke in Museen zu bestaunen und deren Schönheit zu erkennen. Mit ihm verbrachte sie lange Abende in den Cafés und lauschte den Darbietungen moderner Künstler. Musiker, Poeten, Philosophen. Karen begegnete Dank Calman dem Schrecken ihrer Kindheit auf unerwartet anregende Art. Bildung. In der Schulzeit lästiges Übel entpuppte sich die einst erzwungene Tortur als aufregende Entdeckungsreise.

Während dieser gemeinsamen Wochen hatte sich aus ihrer oberflächlichen Bekanntschaft zu Calman, tiefe Freundschaft entwickelt. Er half ihr dabei, ihre Talente besser unter Kontrolle zu halten und bewusster einzusetzen. Nie nannte er einen Grund, warum er sich ihrer angenommen hatte. Sie mit den Hirudo vertraut zu machen, wäre eigentlich Lucas Aufgabe. Schließlich war er ihr Vater und lange Jahre der Trennung waren nachzuholen. Als sie noch ein Kind war, hatte er sie und ihre Mutter verlassen. Als Vampir konnte er unmöglich in der Welt der Menschen leben. Karen aufzusuchen hatte er die ganze Zeit über nicht gewagt. Zwanzig Jahre später aber machte sie sich auf, ihn zu suchen und fand ihn schließlich. Lucas liebte sie, daran zweifelte Karen nicht, doch wirklich nahe stand ihr Calman und nicht ihr Vater.

Calman war ihr Vertrauter, Lehrer und Freund, so wie Seamus für Lucas Berater und Gefährte war. Sie liebte ihn von ganzem Herzen. Auf eine ähnlich unschuldige Art wie ein Kind liebt. Die Möglichkeit einer sexuellen Beziehung zog weder er noch Karen jemals in Betracht. Vielmehr bestand zwischen ihnen ein Band, das gesprochene Worte unnötig machte.

Ihr telepathisches Talent funktionierte mit Calman auf Anhieb und sogar über weite Entfernung hinweg. Normalerweise trafen die Gedanken, Empfindungen und Bildprojektionen anderer Hirudo nur in deren Tagschlaf aufeinander. Ein Phänomen, das so faszinierend wie geheimnisvoll war, wusste doch keiner von ihnen, warum sie während des Schlafes miteinander in Verbindung standen. Dann trieben sie in einem warmen, sanften Meer ohne Eile, frei von Angst, ganz ruhig und entspannt. Calman hatte ihr erzählt, dieses Wasser heiße Randmeer und sei in Melacar zu finden. Dort sprachen die Hirudo zueinander. Wie in einem kollektiven Bewusstsein tauschten sie Emotionen und Erinnerungen aus, welche sie mit anderen zu teilen wünschten. Allerdings war der Austausch steuerbar und niemand musste ein Geheimnis offenbaren, das er nicht preiszugeben wünschte.

Karen war nie an diesen Ort gelangt. Sie und Calman vermochten jedoch ohne große Anstrengung eine ähnliche Einigkeit zu jeder Tages- und Nachtzeit einzugehen. Und dass, obwohl sie nur zum Teil Hirudo war. Dass sie nicht das Geringste von seiner Ankunft vernommen hatte, verwunderte sie. Weder ein Traum noch ein Gedanke hatte ihn wie sonst angekündigt.

»Ich wollte dich überraschen«, hörte sie Calmans Gedankenstimme. Karen erschrak. Sein Blick suchte den ihren und hielt ihn fest. Lucas schien nicht zu bemerken, dass sein Gesprächspartner kurzzeitig abgelenkt war.

Er redete weiter leise auf ihn ein, als gäbe es ein Geheimnis zu besprechen.

»Was redet ihr?« Sie formulierte die Frage zu einem kleinen in Gedanken visualisierten Päckchen. Eine schwarze Schachtel, in deren Inneren ihre Botschaft leuchtete. Calman brachte ihr diese Art, ihm ihre Gedanken mitzuteilen, bei. Und sie stellte rasch fest, dass seine Methode hervorragend funktionierte.

»Nichts weiter. Mach dir keine Sorgen darüber«, war seine Antwort.

»Worüber soll ich mir keine Sorgen machen?«

»Ich wollte sagen: Denk nicht darüber nach. Erwachsenenkram. Gelächter.«

Gelächter. Ein Lachen konnten sie in ihren Gedanken nicht hören, deshalb diente das ausgesprochene Wort als bildhafter Ersatz. Sie sah ihn eine neckende Grimasse schneiden.

»Geht mich nichts an, ich verstehe«, dachte sie.

Karen wusste, dass die Hirudo sie nicht als vollwertiges Mitglied der Familie ansahen. Für sie war sie eine Sterbliche, die man zu ihrem eigenen Schutz ausgeschlossen hatte. Besonders zwei Familienmitglieder, Beryl und Eliane, die sich stets für ausgesprochen elitär hielten, fanden für Karens Status beispiellos beleidigende Bezeichnungen. Für die Schwestern galt sie als unwürdiger Störenfried.

Auch Calman war im Grunde keine Ausnahme. Sein Verhalten schwang wie automatisiert um, sobald sie ihn nach innerfamiliären Angelegenheiten fragte. Dann erklärte er ihr, sie einzuweihen sei viel zu riskant und brächte sie in Lebensgefahr. Obwohl sie über starke Talente verfügte und alles andere als wehrlos sei, so sei sie noch lange nicht in der Lage, die Hirudo vollkommen zu verstehen oder befähigt, den feindlich gesinnten Angriff eines Vampirs effektiv abzuwehren. Im Gegensatz zu einigen anderen Hirudo meinte er es jedoch nur gut mit ihr und urteilte ihre menschliche Schwäche nicht als minderwertig ab.

»Wir können gemein sein, hm?«, hörte sie ihn. Er veralberte sie immer noch.

»Du hast Glück, dass ich nicht in der Stimmung für eine Grundsatzdiskussion bin«, gab sie gespielt mürrisch zurück.

Sie sah ihn mit den Schultern zucken. Ein dunkler Schemen im Zwielicht.

»Nein, ich habe nicht dich gemeint«, sagte er laut zu Lucas, der seine Geste für eine Reaktion auf seine Frage hielt. Mit einem Kopfnicken wies Calman zu Karens Versteck.

»Ich fürchte, du bist enttarnt.«

»Karen, was machst du denn da oben? Komm runter!« Lucas schien irritiert aber nicht verärgert.

Während Karen sich missmutig erhob und die Treppe hinunterlief, überlegte sie, ob sie versuchen sollte, ihm zu erklären, dass sie nicht dort oben gesessen hatte, um ihn und seinen Besuch zu belauschen. Machte es Sinn, zu versuchen, Lucas die Sache mit der Intimität zu erklären? Calman hätte ihren Wunsch verstanden, oder nicht? Calman lachte leise, weil er ihre gedachte Frage gehört hatte. Einmal meinte er scherzhaft, dass sie wie ein Funkturm sende und jeder empfindliche Telepath im Umkreis von zehn Meilen sie hören könne.

Mit seiner Hilfe hatte sie dieses Problem wenigstens halbwegs in den Griff bekommen. Doch kaum war er für längere Zeit abwesend, vergaß sie allzu leichtfertig, ihre Grenzen einzuhalten. Dass jemand jeden ihrer Gedanken spüren konnte, gefiel ihr nicht im Mindesten. Auch nicht, wenn dieser jemand Calman war.

»Warum sitzt du dort oben und beobachtest uns, Karen? Glaubst du nicht, dass ...?« Ehe ihr Vater sie mit Anschuldigungen überschütten konnte, rettet Calman die Situation durch eine überschwängliche Umarmung.

»Schön, dich zu sehen, Liebes«, dachte er. Mit beiden Händen fuhr er über ihr wirres Rothaar und drückte ihr mit kalten Lippen einen Kuss auf die Stirn, den sie mit einem sanften Atemhauch gegen seinen Hals erwiderte.

Sie spürte ihren Freund unter dieser vertraulichen Geste schaudern und lächelte erfreut. Nur widerwillig löste sie sich aus seinen Armen. Später, dachte sie. Später werden wir sicher noch genügend Zeit finden, unser Wiedersehen zu genießen.

Sie räusperte sich. »Nun, zum einen habe ich nicht gelauscht und zum anderen ist es wichtig«, begann sie an Lucas gewandt. »Oben, in Denis Zimmer ist etwas vorgefallen, was du dir ansehen solltest.«

»Und was ist dort?«, wollte Lucas wissen.

»Das kann ich unmöglich erklären. Ihr müsst es selber sehen.«

»Also gut, dann lass uns gehen«, meinte Calman. »Der Tee kann auch noch eine Weile warten, oder was denkst du?«

Lucas nickte und gab Karen durch eine Geste zu verstehen, dass sie vorangehen sollte. Eilig führte sie die beiden in das Turmzimmer. Mittlerweile kannte sie die düsteren Gänge des oberen Stockwerkes so gut, dass sie sich selbst in absoluter Finsternis nicht mehr verlief. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie stundenlang orientierungslos in den schier endlosen Galerien des alten Gebäudes umhergeirrt war, bis sie einer der Hirudo gefunden und auf ihr Zimmer geführt hatte.

»Mir ginge es heute noch so wie dir damals, glaub mir«, dachte Calman. Für ihn war das Haus, das Golan, dessen Erbe Lucas war, vor gut dreihundert Jahren nach eigenen Plänen errichten ließ, schlicht grotesk. Von außen ein rechtwinkliger, klar strukturierter Klotz, doch innen wanden sich verwinkelte Korridore, geheime Durchgänge und unzählige Treppen. Die hauptsächliche Funktion dieser komplizierten Architektur schien nur einem einzigen Zweck zu dienen: die Bewohner des Hauses, wie auch deren Besucher zu verwirren. Wozu eine solche Verwirrung allerdings dienlich sein sollte, war Calman schleierhaft.

»Du bist ja auch nicht allzu oft hier«, antwortete Karen.

»Ein merkwürdiges Haus. Kaum zu glauben, dass jemand ein derart verschrobenes Verständnis für Architektur hat.«

Sie wandte sich halb zu ihm. »Nach den Geschichten über Golan zu urteilen, dürfte er ein sehr interessanter Mann gewesen sein. Was du verschroben nennst, ist meiner Meinung nach ein Zeichen großer Fantasie.«

»Das ist deine Meinung. Ich habe ihn schon für völlig durchgeknallt gehalten, als Ion ihn zum ersten Mal angeschleppt hat. Mich würde interessieren, wie er als Mensch war. Sicher auch nicht viel besser«, entgegnete Calman.

Karen hob die Schultern und Lucas sah sie verwundert an.

»Unterhaltet ihr euch etwa?«, fragte er. Seine Stimme klang gereizt.

»Entschuldige, das war unhöflich. Du kannst aber gern zuhören, wenn es dich interessiert«, schlug Calman vor.

Karen hielt das für eine weniger gute Idee, sagte aber nichts. Sie war froh, dass ihr Vater ihr Gespräch nicht gehört hatte. Zwar hielt er auch nicht allzu viel von seinem Schöpfer Golan, doch immerhin war er ein Teil von ihm. Was Calman über ihn sprach, hätte Lucas vermutlich doch gekränkt.

»Du hast recht. Es ist unhöflich«, knurrte Lucas, schien jedoch bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

»Wir sind da«, verkündete Karen und stieß die Tür vor sich auf.

Erleichtert sah sie, dass Denis die Leinwand unberührt gelassen hatte. Er saß auf seinem Lieblingsplatz am Kamin und sprang auf, als er hinter Karen Lucas und Calman erblickte.

Auch wenn ihn die Anwesenheit Calmans störte, so zeigte er das nicht. Seit Karen dessen Gesellschaft so offensichtlich der seinen vorzog, betrachtete er den Älteren als Rivalen. Sie konnte mit wahren Engelszungen auf ihn einreden. Denis davon zu überzeugen, dass sie ihn nach wie vor als Freund liebte und sich ihre Gefühle für ihn nicht geändert hatten, war aussichtslos. Calman in seinem Turm zu empfangen, grenzte vermutlich an Blasphemie. Doch darauf konnte sie jetzt wirklich keine Rücksicht nehmen.

»Hier, was ich euch zeigen möchte, ist auf der Leinwand.«

Lucas drängte sie zur Seite, als sein Blick auf das skurrile Gemälde fiel. »Was zum ...«

»Keine Ahnung«, unterbrach sie ihn. »Ich war oben und wollte gerade runter gehen, als ich jemanden hier unten spürte. Ich rief Denis, weil ich nicht wusste, wer oder was es war. Als ich dann unten ankam, war niemand im Zimmer. Nur das hier. Es ist ein Abdruck. Aus Staub.« Sie wies auf die Leinwand.

»Das ist wirklich ... seltsam. Um es mal milde auszudrücken.« Calman schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich habe so etwas noch nie gesehen.«

Lucas trat näher an die Leinwand heran und betastete die dünne Staubschicht. »Wirklich erstaunlich«, flüsterte er.

»Ich dachte, vielleicht kennt ihr jemanden, der so etwas tun kann«, meinte Karen.

»Nein, ich habe keinen blassen Schimmer. Ich weiß nicht, ob es so ein Talent überhaupt gibt. Jedenfalls ist mir so etwas noch nicht untergekommen«, erwiderte Calman. Seine Augen waren tief dunkel wie schwarze Spiegel als er sie ratlos ansah.

 »Dann hat wohl niemand etwas dagegen, wenn ich das Zeug abwische. Ich habe nämlich noch was zu tun.« Gereizt griff Denis nach einem der ölverschmierten Tücher.

»Nein!«, rief Karen entsetzt. »Auf gar keinen Fall! Du darfst das nicht einfach abwischen! Was ist, wenn es wiederkommt? Dann fühlt es sich abgewiesen und verschwindet gleich wieder.«

»Gut, das soll es auch. Dieses ... Dings kann sich von mir aus einen anderen Platz zum Vollstauben suchen.«

Sie warf ihm einen stechenden Blick aus zusammengekniffenen Augen zu. Das war wirklich der Gipfel. Wenn Denis schon eifersüchtig war, dann sollte er doch wenigstens versuchen, wie ein Erwachsener damit umzugehen.

»Ich finde, Denis hat Recht, Karen«, meinte Calman und Karen vermutete, dass er ihre Gedanken auch diesmal gehört hatte. »Wir können nicht darauf warten, dass sich das noch einmal wiederholt. Außerdem weißt du ja, was passiert, wenn man auf derartige Dinge zu viel Aufmerksamkeit lenkt.« Seine Antwort mochte für beides gelten. Den Geist, der seine Spuren hinterlassen hatte, aber auch für Denis‘ Eifersucht.

»Und was ist mit Arweth? Sollten wir ihn dieses Phänomen nicht auch sehen lassen?«, gab sie zu bedenken. Arweth war schließlich Calmans Bruder. Er war so alt wie er und bewegte sich in anderen Gegenden, hatte ebenfalls schon viel gesehen und erlebt. Womöglich wusste er eine Erklärung.

Doch Lucas schüttelte den Kopf. »Nein, so wichtig ist das nicht. Allerdings solltest du uns rufen, wenn so etwas noch einmal vorkommt.«

Karen hob verächtlich ihre linke Augenbraue. Sehr witzig, dachte sie. Und du solltest nächstes Mal da sein, wenn so etwas passiert. Sie hielt es jedoch für sinnlos, Lucas darauf aufmerksam zu machen, dass er zu dem Zeitpunkt, da sie ihn gebraucht hätte, nicht erreichbar gewesen war.

Übertrieben gut gelaunt wandte ihr Vater sich an Calman. »Kommt jetzt nach unten! Blanche hat ein kleines Willkommenessen für Calman vorbereitet.«

Karen nickte. Während des Abendessens ergäbe sich bestimmt die Gelegenheit herauszubekommen, wo Calman die vergangenen Wochen verbracht hatte. Sicher brachte er eine spannende Geschichte mit. Sie liebte seine Geschichten. Und wenn sie schon nicht mit auf eine seiner vielen Reisen ging, wollte sie wenigstens hören, was er erlebt hatte.

»Treffen wir uns nachher noch? Im Wintergarten. Ich würde gern reden«, dachte Karen und schickte diesen Gedanken an Calman.

»Tun wir doch schon die ganze Zeit.«

»Du weißt, was ich meine.«

»Aber natürlich, meine Liebe. Oh, wie aufregend, ein tête-a-tête im Gemüsebeet.«

Der sorgfältig gestaltete Wintergarten war wohl kaum mit einem gemeinen Beet vergleichbar. Respektlosigkeit war, wenn auch nicht das schicklichste, so doch Calmans amüsantestes Attribut. Karen unterdrückte ein Lachen, indem sie vorgab, zu husten. Als sie sich umdrehte, sah sie trotz der spärlichen Beleuchtung, Denis‘ misstrauischen Seitenblick.