~ 4. Kapitel ~

 

In dem Turner lamentiert,

weil er Verdächtiges vorfindet

 

 

Verzweifelt versuchte er, den unangenehm riechenden Inhalt des Beutels in seiner Hand zu ignorieren. Die schmutzigen, stinkenden Kleider, die abgeschnittenen Haare und das verkrustete Geschirr darin, waren die letzten Beweismittel für seine vergessene Zeit. Er wollte sie so schnell wie möglich los werden.

Eigentlich fühlte er sich schon wieder richtig gut. Auf jeden Fall bedeutend besser als noch vorhin oder letzte Nacht. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, im Dunkeln hinauszugehen, aber schließlich wollte er nur die Straße runter und um die Ecke. Nur rasch was essen, sich ein wenig unterhalten. Sehen, was so läuft und dann schnell wieder nach Hause.

Während des Tages war ihm die seltsame Stille im Haus aufgefallen. Unheimlich, dieses völlige Fehlen der alltäglichen Geräusche. Die anderen Mieter waren nie laut. Abgesehen von Nick Devore und seinem werten Eheweib, die sich mit Vorliebe gegenseitig die Köpfe einschlugen, herrschte hier nie Lärm. Keine kreischenden Kinder, keine kläffenden Hunde oder laute Musik. Aber irgendetwas war immer zu hören. Das leise Murmeln von Fernsehgeräten oder Radios zu Beispiel. Oder das gedämpfte Klappern von Geschirr, gelegentlich rauschende Toiletten oder Wasserleitungen. Doch er hörte keine Stimmen, keine Schritte. Weder in der Wohnung über noch neben der seinen. Und das war schon ungewöhnlich. Sie konnten doch nicht alle auf einmal ausgezogen sein? Oder doch? Im ganzen Haus herrschte geradezu Totenstille. Und wie schmutzig die Böden waren. Das hatte er vorhin im Hellen ganz deutlich gesehen. Und selbst jetzt, wo er nichts sehen konnte, roch er den Schmutz ganz deutlich. Der ganze Flur war verdreckt. Dabei sorgte Mr. Tannant, sein Vermieter, doch immer dafür, dass jemand zwei Mal die Woche sauber macht.

Vielleicht sollte er mal an Mr. Tannants Tür klopfen. So etwas tun gute Nachbarn und Mieter, die sich sorgen. Das hat nichts mit Neugier zu tun, beruhigte er sich selbst. Sich zu sorgen war anständig und nett. Zögernd, tastend, halb blind bewegte er sich im Zwielicht des Hausflurs, der nur vom Mondlicht erleuchtet wurde, das durch zwei Fenster schien.

Du klopfst, redest kurz mit ihm, fragst ihn, ob alles in Ordnung ist und wann der Strom und die Heizung wieder funktionieren. Das ist doch fürsorglich, nicht wahr? Kein Problem, oder? Doch als er vor der Tür mit der dicken, fettglänzenden grünen Farbschicht stand und die Hand hob, fiel ihm etwas ein. Unter Umständen war seine Besorgnis zu aufdringlich. Ach was, wischte er seine Bedenken beiseite. Der alte Kerl mag mich doch und hat sicher nichts gegen einen Besuch.

Er pochte einmal und dann noch einmal. Beim dritten Mal klopfte er lauter. Dann klingelte er, was nun wirklich aufdringlich war. Aber noch immer drang kein Laut an sein Ohr, das er lauschend gegen die Tür presste. Was war nur los hier?

Du machst dir zu viele Gedanken, Turner. Zu viele Gedanken schaden deiner Gesundheit und stell gefälligst nie wieder eine deiner dämlichen Fragen!

Erschrocken zuckte er zusammen und sah sich hastig um. Schon wieder diese seltsame Stimme, an deren weichen Klang er sich so glasklar erinnerte. Er wusste nur nicht mehr, woher er sie kannte. Sie war so beruhigend, so bestimmt und wusste immer was Interessantes zu sagen.

Turner schüttelte den Kopf, als könne er damit alle schlechten Gedanken und neugierigen Fragen vertreiben. Mit eingezogenem Kopf schlich er die letzten drei Stufen bis in den Vorflur. Dort war auch die Tür zum Keller. Sie stand sperrangelweit offen.

Meine Güte, das ist aber gefährlich, Leute, dachte er. Die rutschigen Stufen und kein Geländer. Was, wenn die Kinder herunterfallen? Er drehte sich um und ging noch einmal zurück. Mit einiger Mühe schob er die schwere Eisentür in ihren Rahmen. So, das ist doch viel besser. Ich muss Mr. Tannant mal bei Gelegenheit sagen, dass er sie abschließen soll. Benutzt ja eh keiner, das feuchte Loch da unten.

Empört schüttelte Turner den Kopf, als er das Chaos im vorderen Teil des Hausflurs entdeckte. Achtlos und ohne Rücksicht auf die übrigen Mitbewohner hatte jemand wahllos Kartons abgestellt, die jetzt den Weg zur Haustür versperrten. Sogar das Fahrrad des kleinen Devore lag mehr, als dass es stand. Jemand, der von draußen hereinkam, könnte stolpern und sich die Beine brechen. Vor allem, wo doch jetzt das Licht nicht funktionierte. Entschlossen machte er sich daran, die Kartons beiseite gegen die Wand zu schieben, sodass der Durchgang wieder frei war. Keuchend vor Anstrengung stapelte er die schweren Pappkisten übereinander. Was darin war, interessierte ihn nicht. Schließlich war er nicht neugierig und schnüffelte in anderer Leute Sachen herum. Zu guter Letzt hob er noch das Kinderfahrrad auf und lehnte es neben der Treppe an die Wand. Zufrieden betrachtete er sein Werk.

Wenn er hier nicht für Ordnung sorgte und sich um alles kümmerte, tat das ja niemand. Eigentlich sollte er Hausmeistergehalt verlangen, dachte er und ging hinaus in die kalte Dunkelheit des kleinen Hinterhofes. Turner war froh, dass er wusste, wo’s lang ging. Bei den vorschriftsmäßig abgestellten und sauber geleerten Mülltonnen hielt er an und ließ seinen stinkenden Abfallbeutel in die Erste von fünf weiteren fallen. So, das hätten wir. Alles in Ordnung, Turner, und jetzt was Schnuckeliges futtern und dann vielleicht noch eine Sendung im Fernsehen, überlegte er. Das Leben war ganz okay, wenn man in einer schönen Wohnung lebte, nette, ruhige Nachbarn daneben wohnten und einen angenehmen Job ausübte. Er war schon ein echter Glückspilz.