~ 11. Kapitel ~

 

In dem ein unheiliger Geist einkehrt

 

»Was zum ...« Turner brachte den angefangenen Satz nicht zu Ende. Im Schock knickten seine Beine unter ihm weg und zwangen ihn zu Boden. Warmer Urin floss ihm über die Schenkel und sammelte sich als dampfende Pfütze zu seinen Füßen.

»Ganz recht«, flüsterte eine leise, sehr vertraute Stimme aus dem zähen Halbdunkel am Ende des Raumes. »Wie du schon sagtest: Gott – er führte dich in seiner unendlichen Weisheit und Güte hierher.«

Schatten löste sich von Schatten, als die schwarz gekleidete Gestalt vortrat. Das wabernde Licht der Lampe verwandelten das bleiche Gesicht unter der Kapuze in eine dämonische Maske in der diabolisch blickende Augen wie weißglühende Kohlen leuchteten. Das also war es, was sein blutiges Ritual gerufen hatte. Darauf hatte er den ganzen, langen Tag über gewartet. Wie sehr er sich während der endlosen Stunden gewünscht hatte, die Augen schließen und schlafen zu können, damit die Zeit schneller vergehen mochte. Jetzt wurde sein träger Wunsch zum übermächtigen Bedürfnis. Er wollte nicht sehen, was oder wer sich aus den Schatten löste, wollte ihn nicht erkennen. Doch Turner konnte den entsetzten Blick nicht abwenden. Sein magerer Leib zitterte unkontrolliert und ein jämmerliches Wimmern wie das Winseln eines Welpen drang aus seiner Kehle.

»Und sagte er nicht auch: Fürchte dich nicht?«

Grauen peitschte Turners Gedanken, sich windend schlug er ziellos um sich. Die Lampe, getroffen von seiner linken Hand, fiel scheppernd zu Boden. Brennendes Petroleum ergoss sich wie ein flammender Teppich. In sekundenschnelle leckten sich die gierigen Flammenzungen die ausgetrocknete Holzwand empor und verbreiteten beißenden Rauch und lodernde Hitze. Doch Turner beachtete das Feuer nicht. Sein ganzes Denken und Sein war auf die dunkle Gestalt des Mannes vor ihm gerichtet.

Seine Panik mischte sich mit dem Gefühl der Vertrautheit, Ähnliches schon einmal erlebt zu haben. In Erwartung des Schmerzes, den er als Preis für kommende Glückseligkeit zahlen musste, bot er seine Kehle dar. Er spürte lähmende Kälte, als sich der schwarze Umhangstoff auf seine vom Feuer erhitzte Haut legte und undurchdringliche Finsternis ihn einhüllte.

»Ich danke dir für deinen Gehorsam«, wisperte die einschmeichelnde Stimme dicht neben ihm, »und spreche dich frei.«

Erschrocken riss Turner die Augen auf.

»Ich spreche dich frei davon, umherzuirren.«

In blinder Panik schlug er um sich, doch seine krallenden Finger fuhren ins Leere.

»Ich spreche dich frei davon, zu begehren.«

Da erfasste ihn ein plötzlicher Sog, der ihn zu zerreißen drohte. In dem verzweifelten Versuch, dem brutalen Zerren und Ziehen zu widerstehen, bäumte sich sein knochiger Leib wild auf. Doch jegliche Gegenwehr war zwecklos.

»Ich spreche dich frei davon, zu sein.«

Mit einem gewaltsamen letzten Stoß fühlte Turner sich fortkatapultiert. Haltlos wirbelte er durch substanzlose Dunkelheit, die erst sein Denken und letztlich auch seine Seele verschlang.

In dem brennenden Schrein jedoch, inmitten der Flammen, erhob sich Turners Körper. Seine einstmals dürre Gestalt gewann zusehends an Kraft, streckte sich, zerrte an den Fesseln der Form, der sie entwachsen wollte. Zuvor ausdruckslose, schwache Augen erstrahlten zu gleißend weißen Flammen reiner Energie und als sich der schmallippige Mund zu triumphierendem Schrei öffnete, wurden mächtige Fänge sichtbar.

Gott hatte ihn verschont. Mehr noch: Er war zurückgekehrt. Wiederauferstanden in lebendigem Fleische, um seine Bestimmung auf neuem Wege zu erfüllen. Doch für Genugtuung und Euphorie blieb keine Zeit. Hastig eilte der wiedererstandene Geist in seinem neuen Leib, um den lodernden Flammen zu entkommen. Vor dem nächsten Morgengrauen galt es, einen neuen, sicheren Unterschlupf zu finden. Und einen neuen Wächter, der IHN, Dorian Prior, schützte.