~ 2. Kapitel ~

 

In dem Tod und Wiedergeburt stattfinden

 

Dieser Trottel. Was für ein Idiot, was für ein dämlicher Kretin dieser jämmerliche Abschaum doch war. Die Dummheit dieses Menschen warf seinen Plan völlig über den Haufen. Doch die Irritation währte nur kurz.

Dass Serena mit diesem anderen, Malcolm, hier auftauchte, war im Grunde kein Problem. Im Gegenteil, dieser Umstand war sogar recht vorteilhaft. Auf diese Art konnte er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und sich einer der drei Dämonen gleich heute entledigen.

Sein ursprünglicher Plan für Serena bestand selbstverständlich weiterhin. Dorian Prior lächelte dünn. Grausames erwarte das arme Ding. In ihrer Qual würde sie um den erlösenden Tod betteln.

Er durfte jetzt keine Zeit verlieren. Die Leiche seines oh so treuen Wächters war schnell im Kleiderschrank mit den Kostümen für seine Puppen verstaut. Endlich war diese elende Brut aus seinem Blickfeld verschwunden. Jetzt konnten sie ruhig kommen. Aber das Bevorstehende bedurfte noch einiger Vorbereitung.

Zu diesem Zweck musste er den Schrank noch einmal öffnen und die Garderobe hervor holen, die er speziell für diesen Abend dort aufbewahrt hatte. Er versuchte, den toten Leib zu übersehen. Jetzt, da er wieder beruhigt war, mahnte ihn der ausgezehrte Körper des Wächters an seinen Mangel an Selbstbeherrschung. Der dienstbare Geist war auf immer dahin und seine jämmerlichen Überreste waren nur wenig hilfreich. Prior konnte unnötige Tode nicht leiden. Er hätte Turners ergebene Beflissenheit sicher noch das eine oder andere Mal brauchen können.

Rasch schüttelte er diesen Gedanken ab und schlüpfte aus seinem abgetragenen Kaftan. Ungeduldig warf er das abgenutzte Stück Stoff in die Ecke, wo die Schatten sich seiner annahmen. Die neuen Kleider legte er sorgfältig auf den Boden.

Dann zog er seine Truhe wieder hervor, öffnete sie und schlug den weichen Stoff zurück. Der dritte Gegenstand, der ihm nun nützlich werden würde, lag silbern und schlafend neben den beiden anderen. Ein Amulett, das er Arweth entrissen hatte, als dieser ihn in einen Hirudo gewandelt hatte.

Das Schmuckstück fest mit der freien Hand umschließend, ließ er sich auf die glatten Holzbohlen des Werkstattbodens nieder. Die Arme an den mageren Leib gepresst, senkte er seinen Kopf zwischen die angezogenen Schultern. Die Muskeln und Sehnen seines Körpers spannten sich mit angenehm ziehendem Schmerz, während er sich noch mehr verkrümmte und zusammenzog.

Das kleine Medaillon in seiner Rechten begann leise zu vibrieren. Die Wandlung begann. Langsam, ganz allmählich. Er kannte dieses Gefühl. Nur noch einige Schritte weiter und ein Zurück war unmöglich. Jetzt brauchte er nur noch ein wenig Geduld.

Nach und nach ergriff das Rucken und Zittern des kleinen Silberplättchens von seiner Hand Besitz. In heftigen Strömen erfasste ein unkontrolliertes Beben erst seinen Arm, dann die Schultern. Prior wusste, dass er den Prozess jetzt nicht mehr aufhalten konnte. Aber das wollte er auch gar nicht. Im Gegenteil, er genoss die beginnenden Veränderungen. Er spürte, wie sich Organe, Gelenke, Knochen, Zellen auflösten und wieder zusammenfügten. Den Moment, in dem die Transformation sein Herz erreichte, erlebte er als Todesstoß. Dann ein neues Erwachen. Ein Schub reinster Energie durchfuhr seinen zerfasernden und sich neu zusammenfügenden Leib.

Seufzend ergab er sich in den Strom, der ganz von ihm Besitz ergriff. Jeden Genuss daran leugnend, ergab er sich seiner Metamorphose. In heißen, goldflüssigen Zirkeln brach sich die Wandlung Bahn. Immer härter und unnachgiebiger bedrängte ihn das Gespinst seiner neuen Gestalt. Glühende Tentakel legten sich über und um ihn. Einem Mantel aus gleißendem Licht gleich, legte sich diese lebendige Kreatur um ihn. Bis zur Gänze hüllte sie ihn ein, durchdrang ihn und wurde schließlich zu ihm selbst. Ein Lachen entfuhr seiner Kehle und in reinster Agonie spürte er den Schmerz der Geburt. Mit einigem Entsetzen fühlte er auch, wie sich unter dem sanften und steten Strom sein Geschlecht regte. Pulsierend füllten sich die schlaffen, leeren Kammern mit Blut. Der so sorgsam unter Kontrolle gehaltene Schwanz reckte sich steif in die Höhe, sodass die heiße Eichel gegen seinen Bauch stakte.

Die dürren Glieder seiner Arme und Beine streckten sich, gewannen an Länge und Kraft. Sein Brustkorb dehnte sich schmerzhaft. Rasch wachsendes Haar wand sich ihm als dichter, aber spinnwebfeiner Vorhang aus reinstem Weiß über Schultern und Rücken. Seine Knochen ächzten unter dem Ansturm der Kraft, die er auf sie wirken ließ. Sie wurden gezwungen zu wachsen, sich zu verbiegen und ganz dem Willen ihres Bewohners zu folgen.

Seine Haut spann unermüdlich neue Gewebebahnen. Sie wirkte so dünn und rosig durchscheinend als drohe sie an mehreren Stellen zu reißen. Doch sie hielt, passte sich den neuen Konturen an, wurde fest und hart und kalt. Dann war er fertig. Feucht glänzend, nackt und mit perfekt geformten Gliedern lag er keuchend auf dem schmutzigen Boden. Erschaffen, Kraft seiner Gedanken und der Entschlossenheit seines Willens.

Dorian Prior fühlte sich erschöpft. Zugleich jedoch wie neu geboren, was er ja auch im wahrsten Sinne des Wortes war. Weißes Albinohaar fiel ihm in die Augen und er hasste jede einzelne Strähne sogleich von ganzem Herzen. Den Anblick, den ihm der hohe Spiegel neben dem Arbeitstisch bot, war grauenvoll. Hasserfüllt starrten ihn seine neuen Augen an. Wie rot glühende Dämonenfeuer loderten sie in dem bleichen Gesicht. Mit den grotesk hohen Wangenknochen, der schmalen Nase und dem breiten Mund wirkte dieses neue Antlitz fremd und im ersten Moment abstoßend bis an die Grenze des Ekels. Dennoch konnte Dorian Prior einen gewissen Stolz nicht leugnen. Seine Wandlung war perfekt bis ins kleinste Detail. Vor ihm stand Arweth, Ältester der Hirudo. Ein Vampir, geboren, ehe die Menschheit überhaupt daran dachte, ihre sumerische Wiege zu verlassen.

Der langgliedrige, magere Albino mit hüftlangem Haar, das so weiß und fein wie Spinnweben über Rücken und Schultern fiel, war ein spektakulärer Anblick und ganz gewiss nicht zu übersehen. Wer ihn einmal traf, der vergaß ihn sicher niemals wieder.

Versonnen betrachtete er sein neues Äußeres einige Minuten in dem mannshohen Spiegel. Er brauchte die Zeit, um sich darüber klar zu werden, dass er die nächsten Tage in diesem verhassten Leib verbringen musste. Doch selbst gewähltes Elend ist der von Fremden zugefügten Qual jederzeit vorzuziehen, urteilte er bitter. Und diese grauenvolle Maskerade diente schließlich nur einem einzigen Zweck: seiner Rache. Und die wird auch diesen notwendigen Schritt der Wandlung vergelten.

Sorgfältig kleidete er seinen neuen Körper in die von dem Albino bevorzugte dunkle Kleidung. Schwarzer Anzug, schwarzer Mantel, ebenso schwarze Schuhe. Teure Stoffe und weiches Leder und dennoch eine wenig auffällige Kleidung. Ihre Schlichtheit allerdings betonte seine Erscheinung eher noch, als dass sie ihn verdeckte. Der Mistkerl weiß, was Wirkung zeigt, das muss man ihm lassen. Dorian schnalzte anerkennend mit der Zunge. Ja, das war exakt der Arweth, den er so lange Zeit beobachtet und imitiert hatte. Dabei lernte er zu lächeln wie er, sich zu bewegen wie er, zu sprechen wie er und schließlich auch exakt so zu denken.

Niemand, nicht einmal die dumme Buhle, deren Besuch er erwartete, könnte jetzt noch einen Unterschied feststellen. Das Einzige, was ihn von Arweth unterschied, war das kleine, runde Silberamulett, das Dorian Prior an einem Lederband um den Hals trug. Jenes Amulett, das Prior Arweth einst entrissen hatte und das er nun dazu verwandte, diese Scharade inszenieren.

 Die Maskerade, die Wandlung, wie er das Talent nannte, das er bei seinem Eintritt in die Welt der Dämonen erhalten hatte, war virtuos. Dazu benötigte er lediglich einen Gegenstand aus dem persönlichen Besitz desjenigen, in den er sich zu wandeln wünschte, und konnte dann daraus die Energie und das Bildnis ziehen. Er vermutete, dass sein Können derart vollendet war, dass selbst Arweth ihn für sein eigenes Spiegelbild halten würde, stünde er ihm gegenüber.

Doch nun musste er sich beeilen. Serena, Arweths heilige Hure konnte jeden Augenblick eintreffen. Schnell schob er die Truhe in den Schatten unter der Werkbank. Danach eilte er in den Ausstellungsraum, in dem die Dochte hunderter Kerzen auf Befehl seiner Gedanken aufflammten. Zufrieden blickte er in die Runde. Nun konnte sie kommen. Er war bereit. Er wartete.