~ 13. Kapitel ~

 

In dem ein Geist seine letzte Aufgabe erfüllt

und die Geschichte endet

 

Eilig hastete er die Kellertreppe hinauf, die Hitze der immer mächtiger werdenden Feuerwand im Rücken. Gleich würde er wieder frische Luft atmen und die kühle Winterluft genießen. Energisch stieß er die eiserne Kellertür auf, schloss die Augen und wollte den ersten erleichterten Atemzug nehmen. Doch da war keine Luft, die er hätte atmen können. Verdutzt riss er die Augen auf ... und ein Schrei des Entsetzens entfuhr ihm, der klang wie das Kreischen eines wütenden Tieres, das erkannte, dass es in der Falle saß.

Vor ihm erhob sich die von weißglühendem Licht umkränzte Gestalt der Frau, die er nur allzu gut in Erinnerung hatte. Doch verhielt es sich nicht so, dass sie versagt hatte, als sie ihn in der Kapelle töten wollte? Er brauchte sich nicht zu fürchten, denn sein Gott war bei ihm und würde ihn auch jetzt nicht verlassen. Er hatte ihn wiedererweckt, ihn errettet.

»Verschwinde, Hure!«, brüllte er, hustend, denn beißender Qualm schnürte ihm die Kehle zu. Entschlossen tat er einen Schritt vor, nahm Stufe um Stufe, bis er so dicht vor ihr stand, dass er den kalten Hauch ihrer Erscheinung spürte und das schimmernde Licht seine Haut berührte.

Voller Zuversicht, einfach durch sie hindurchtreten zu können, wagte er noch einen Schritt. Doch anstatt voranzukommen, prallte er zurück und fiel rücklings auf die harten Steinstufen. Sich überschlagend polterte er die Treppe hinunter, fing sich und landete in einem gezielten Sprung am Fuße der Treppe. Verwirrt blickte er hoch zu ihr. Wo war sein Gott? Wollte er ihn nochmals sterben lassen, ihn wiederum erretten? Die Zeit lief ihm davon.

Ein neues, nicht unbekanntes Gefühl regte sich in seinem Inneren: Angst. Gehetzt blickte er um sich, hinter sich, wo das flackernde Licht stetig heller und die Hitze zur Glut wurde.

»Lass mich gehen!«, verlangte er kreischend. Seine zuvor befehlsgewohnte Stimme überschlug sich in Panik. Doch noch immer stand sie da, der Ausdruck auf ihrem zarten, bleichen Gesicht voller mitleidiger Entschlossenheit. Ein sanftes Lächeln spielte auf ihren fahlen Lippen und die dunklen, unergründlichen Augen spiegelten die rot glühenden Flammen wider.

Phoebe war gekommen, um zu bleiben, so lange zu bleiben, bis es ein für alle Mal vorbei war. Der Frieden musste wieder hergestellt werden, die Ordnung wieder einkehren. Zu viel Kraft hatte sie schon aufbringen müssen. Lucas Vales Tochter, Karen, war ihr eine große Hilfe gewesen. Karen hatte ihr Kraft gegeben und mit der letzten verbleibenden Energie, die Phoebe aus ihr gewonnen hatte, stand sie jetzt gegen Dorian Prior.

Sie wusste nicht, wie er es schaffen konnte, zu entkommen und in diesen neuen Körper einzutreten. Doch das durfte nicht sein. Er musste vergehen, ein für alle Mal. Und so wich sie nicht zurück, obgleich die Flammen sie schreckten. Selbst jetzt, da die Feuersbrunst ihrem Leib nichts mehr anhaben konnte. Sie konnten sie nicht verletzen, war sie doch nur ein Geist, eine Erinnerung, längst vergangenes Fleisch.

Also wartete sie. Ihr Blick ruhte auf der dunklen, fluchenden, in ihrer Verzweiflung schließlich sogar bettelnden Gestalt. Sie zwang sich, ihn anzusehen, nicht wegzuschauen. Sie glaubte, in seiner Schuld zu stehen und diese nur begleichen zu können, indem sie Zeuge seines Schmerzes wurde. Das Schicksal hatte sie auf immer in Schmerz und Tod aneinander gebunden, als sich ihre Wege zum ersten Mal kreuzten. Und ein solches Band konnte auch nur durch Schmerz und Tod wieder gelöst werden.

Wie von Furien gehetzt rannte Dorian Prior immer wieder gegen ihre Barriere. In seiner Verzweiflung krallte und hieb er in die steinernen Kellerwände, als hoffte er, sich so einen Weg in Freie schlagen zu können.

Als die ersten Flammenzungen nach seiner Kleidung leckten, schlug er mit bloßen Händen danach. Doch bald schon war er lohender Mittelpunkt eines tosenden Meeres aus brennenden Fluten. Mit Tränen in den Augen sah sie, wie sich sein weißes Fleisch zu schwarzen Schlacken verkohlt von den Knochen löste. Seine Augen platzten aus den Höhlen und schmolzen zischend in der heißen Luft.

Brennendes Haar umkränzte seinen Schädel wie ein entweihter Heiligenschein. Sein Mund war aufgerissen zu einem durchdringenden, letzten Schrei, der bebend und schrill zugleich das gesamte Haus in seinen Grundmauern beben ließ, bis er letztlich erstarb und Priors Körper in sich zusammensank. Doch er starb nicht. Die Hitze zwang seinen Leib in diese Position. Seine Sehnen zogen sich zusammen, die Knochen, zu mürber Kohle verbrannt, brachen. Immer noch atmend, obwohl die sengende Luft seine Lungen explodieren ließ, stieß er kreischende Klagelaute aus.

Voller Gnade senkte sich der Feuerwall über ihn und nahm Phoebe die Sicht. Mit einem Schlag erlosch das Feuer und Dunkelheit senkte sich über die verbrannten Überreste Priors.

Jetzt ist es vorüber, dachte sie. Hinter sich spürte sie, dass sich ein Tor öffnete, das in jenes Sein führte, in welches sie nach ihrem Tod eingekehrt war.

Die Menschen nannten es Jenseits, sie nannte es Frieden. Und jetzt würde sie für immer dort verweilen, denn der einzige Grund, aus dem sie jenen Ort verlassen hatte, war bereinigt. Vielleicht würde auch Dorian Prior dort sein, doch sicher frei von jedem Verlangen nach Rache oder Macht. Ruhig wandte sie sich ab und durchschritt die wabernde Öffnung, die sich hinter ihr schloss.

Zurück blieb nur die Dunkelheit einst geführter Kriege.