~ 8. Kapitel ~

 

In dem man nicht ganz ungestört ein Schlachthaus besichtigt

und gewisse Talente zum Einsatz kommen

 

Sich aneinander stützend, kletterten sie einer nach dem anderen aus der verrußten Fensterscheibe des abgebrannten Hauses im Londoner Ostbezirk.

Hastig ließ Karen Jarouts Hand los, die sie während der Reise durch die Spiegel zu halten gezwungen war. Heimlich wischte sie sich die Finger am Hosenbein ab. Trotzdem haftete das Gefühl seiner Berührung hartnäckig an ihrer Hand. Als habe sein Schweiß einen Weg unter ihre Haut gefunden und sich dort eingenistet.

»Du liebe Güte!« Calmans erschrockener Ausruf ließ sie erschrocken aufblicken. Sofort erkannte Karen, was Calman meinte. Entsetzt sah sie sich um. Die Flammen mussten mit ungeheurer Kraft gewütet haben. Im hellen Licht der Straßenlaterne, das durch die zerstörten Fenster fiel, sah sie halb zerschmolzenen Blechdosen, die überall auf dem Boden verstreut lagen. In einer Ecke stand ein großer Schrank, von dem nur noch das metallene Skelett übrig geblieben war.

Sämtliche Fenster waren aus ihren Rahmen gesprengt. Unter der Hitze des Feuers waren sie förmlich explodiert. Auch die Scheibe, aus der sie, Jarout und Calman kamen, hing nur noch zur Hälfte im Rahmen. Der Rest lag vermutlich auf den Pflastersteinen des Innenhofs oder steckte in irgendwelchen Baumstämmen. Karen schauderte. Zum Glück war niemand in der Nähe, als die glühenden Scherben in alle Richtungen barsten. Zumindest stand davon nichts in der Zeitung. Unter der Fensterreihe erblickte sie eine Ruine, die vage noch als die Überreste einer langen Werkbank zu identifizieren war.

»Na, wenn das nicht ein Feuer war«, meinte Jarout. Er war als Erster an der einzigen Tür des Zimmers und auch schon im nächsten Raum verschwunden.

Karen und Calman folgten ihm. Dabei achteten sie darauf, sich von den Wänden fernzuhalten. Die verkohlten Steine strahlten immer noch eine unnatürliche Wärme aus und waren bis unter die Decke restlos schwarz. Auf dem Boden sammelten sich große Pfützen mit Asche vermischten Löschwassers. Sie mussten achtgeben, nicht in dem öligen Morast auszurutschen.

Als sie Jarout im Nebenraum eingeholt hatten, blieb Karen abrupt stehen. Kaum wahrnehmbar flossen sanfte Vibrationen wie elektrischer Strom durch ihren Körper. Ihr Geist reagierte spontan auf diesen schwachen Ruf, dem sie hinter den Vorhang des Sichtbaren folgte. Den Kopf zur Seite geneigt stand sie da, als lausche sie auf ein leises Geräusch.

»Was ist es?«, fragte Calman.

Jarout, der ihre Aufmerksamkeit ebenfalls bemerkte, kam zu ihnen.

»Ich weiß nicht«, murmelte Karen. »Nicht das Feuer, das sie getötet hat.« Was sie spürte, war ein undurchdringlicher Teppich von Emotionen, der von der Kraft der Flammen verschont geblieben war. Sie fühlte keine Angst, aber den Tod.

»Viele sind hier gestorben.«

»Kein Wunder, wenn hier ein Hirudo war«, meinte Jarout lakonisch.

»Was siehst du noch?«, fragte Calman und sah sich aufmerksam in dem großen dunklen Zimmer um. Obwohl er im Dunkeln wesentlich mehr sehen konnte als ein Mensch, erkannte er lediglich einige schemenhafte Umrisse. Er entdeckte halb verbrannte Vitrinen, einen glitzernden Scherbenteppich, außerdem zerbrochene Schränke und herabhängende Fetzen von ehemals schweren und vermutlich wertvollen Wandteppichen. Am anderen Ende des Raumes erkannte er schwarze Möbelskelette auf einem bühnenartigen Podest. Die Erhöhung war von der Polizei mit Absperrband eingefasst worden, was darauf schließen ließ, dass dort etwas Interessantes zu finden war.

»Ich kann wenig spüren. Nur, dass hier viele waren. Zu viele Menschen, die hier ein und aus gingen. Viele von ihnen sind hier gestorben, aber nicht im Feuer. Keiner im Feuer. Das ist alles.« Karens Stimme klang unsicher und doch bestimmt. Was sie spürte, war nicht weiter verwunderlich. Vermutlich nahm sie die Emotionen der Opfer dieses Hirudo wahr. Falls tatsächlich ein Vampir hier lebte, mahnte sich Calman. Bewiesen war das noch lange nicht. Neugierig ging er zu dem abgesperrten Bereich. Auf jedem der verkohlten Möbel steckte je ein unscheinbares Schild mit einer Registriernummer. Einige dieser Schilder entdeckte er auch auf dem Boden. Gedankenverloren schritt Calman die kleine Bühne ab und versuchte zu finden, was die Polizei übersah. Gerade wollte er Karen bitten, zu ihm zu kommen, als ihn Jarouts warnender Ruf unterbrach.

»Los, weg hier!«, rief Jarout leise und huschte zurück in das Zimmer, in dem sie aus der Fensterscheibe getreten waren. Karen mit sich ziehend, folgte Calman ihm, ohne zu hinterfragen, warum er so eilig verschwinden wollte. Jarout brachte sie durch die Spiegel in eines der anderen Häuser der näheren Umgebung. Durch die milchig weiße Oberfläche eines Fensters beobachteten sie, wie ein Uniformierter das Brandhaus betrat.

»Das war knapp«, meinte Jarout. »Und jetzt?«

 »Wir kommen vielleicht später noch mal her. Jetzt gehen wir erst mal zu dem Vermieter. Wie heißt er doch gleich?« Calman drehte sich zu Karen um.

»Somers«, antwortete sie. »Hier ist die Adresse.« Sie zog ein Stück Papier aus ihrer Hosentasche und reichte es ihm. Ihr nächstes Ziel lag nur fünf Straßen weiter.

»Großartig, Karen. Irgendwann musst du mir erzählen, wie du wirklich auf diese Spur gekommen bist«, sagte Calman so leise, dass Jarout ihn nicht hören konnte. »Das mit der Recherche zu einer Geschichte nehme ich dir nämlich nicht ab, meine Liebe.« Er grinste zwar belustigt, doch bei seinen Worten zog sich ihre Kehle zu. Das Gefühl ertappt zu sein, mischte sich mit Stolz. Insgeheim freute sie sich über seine neugierige Bewunderung. Sicher, eines Tages verriete sie ihm ihr Geheimnis. Aber nur, wenn er im Gegenzug auch einige ihrer Fragen beantwortete.

»Hey, was flüstert ihr denn da?«, rief Jarout, doch Calman ignorierte ihn und drängte stattdessen zum Aufbruch.

 »Also gut. Auf, Jarout! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«

Wieder fühlte Karen mit einer Mischung aus Unbehagen und Erregung wie Jarout ihre Hand ergriff. Die Spiegelreise war ein wundervolles Erlebnis. Die Spiegel verwandelten gewöhnliche Gegenstände in farbenprächtige Oberflächen und leuchtende Facetten. Überall wirbelten strahlend helle Lichter. Durch die verschwommene, aber durchsichtige Oberfläche, in der sie dahinjagten, sah sie Häuserfronten, Straßen und Menschen vorbeihuschen. Jarouts Anwesenheit vergällte ihr jedoch die Freude daran. Wehmütig bedauerte sie, dass Calman nicht auch über dieses seltene Talent verfügte. Mit ihm diese fantastischen Reisen zu unternehmen, wäre herrlich.

Ehe sie sich versah, wurden ihre Träumereien unterbrochen. Mit einem Satz sprang Jarout auf die Straße und zerrte sie und Calman mit sich. Haltlos stolperte Karen gegen Calman. Geistesgegenwärtig krallte er sich an einen nahestehenden Laternenpfahl und fing so einen harten Sturz ab.

»Verdammt, was soll das?«, fauchte Karen. Doch anstatt sich zu entschuldigen, stieß Jarout lediglich verächtlich einen schnaubenden Laut durch die Nase.

Himmel, wann hatte Lucas nur versäumt, diesem kleinen Idioten ein wenig mehr Rücksicht einzutrichtern? dachte Calman zornig. »Sei beim nächsten Mal gefälligst etwas vorsichtiger«, schnauzte er Jarout an, der ihm mit einem frechen Grinsen antwortete.

»Was wollt ihr? Geht manchmal eben nicht anders. Besser, ihr seit beim nächsten Mal vorsichtiger.«

Calman wollte drohend auf Jarout zugehen, doch Karen hielt ihn zurück. Mit einem Kopfschütteln bat sie ihn, auf einen Streit zu verzichten. Das war in der Tat vernünftiger, entschied er. Auf die Provokationen dieses kleinen Dummkopfes einzugehen, hieße, ebenso armselig zu handeln wie er.

»Komm, gehen wir lieber und sehen nach, ob Somers zuhause ist. Streiten können wir auch noch später.« Karen gab ihren Worten einen drohenden Unterton, dessen warnende Botschaft deutlich an Jarout gerichtet war.

Ebenso wenig wie sie an seine Läuterung glaubte, hielt sie seine ungeschickte Landung für ein Versehen. Doch von ihm wollte sie sich dieses Abenteuer nicht vermiesen lassen. Sie waren nicht hier, um zu zanken wie ein paar alberne Kinder.

»Das da vorn ist es«, meinte Calman und deutete auf ein altmodisches Reihenhaus, wie sie zu hunderten während der 50er-Jahre gebaut worden waren. Ein hässlicher Kasten, von dem man nicht glauben mochte, dass darin ein Mann wohnte, der sich »Randolph Somers Immobilien« nannte. Angeblich war er Eigentümer etlicher Gebäude und Grundstücke. Jemand, der monatlich derartig hohe Umsätze an Mieten machte, sollte sich eigentlich was Besseres leisten können, mutmaßte Calman. Entweder ist der Kerl ein Geizkragen oder er hegt eine Schwäche für den untersten Mittelstand.

Bei näherer Betrachtung entpuppte sich das Gebäude als dringend renovierungsbedürftig. Von der Fassade blätterte der Putz und der Vorgarten war zur Müllkippe verkommen. An der Eingangstür fanden sie lediglich ein intaktes Klingelschild. Die restlichen zehn waren zerbrochen. Offensichtlich bewohnte niemand außer Somers den halb verfallenen Bau. Kein Wunder, dass er am Rande der Armut lebt, dachte Calman, wenn er sich um seine anderen Objekte ebenso miserabel kümmerte. Wer will schon in einer Ruine hausen? Calman klingelte und sie warteten.

Minuten vergingen. Jarout war kurz davor, die Autorität des Älteren zu ignorieren und die Tür kurzerhand einzutreten. Doch ehe er seine Überlegung in die Tat umsetzen konnte, öffnete sich die kettengesicherte Tür. In dem schmalen Spalt erschien das verpickelte Gesicht eines vielleicht dreißig Jahre alten Mannes.

Ein Blick auf das wenige Sichtbare erklärte einiges, wenn nicht alles, fand Jarout. Teures Beinkleid, nackter Oberkörper unter weit aufgeknöpftem Hemd. Rasierschaumreste klebten noch unter einem der beiden Brustwarzenpiercings.

Kleine perverse Ratte, dachte Jarout und schnüffelte angewidert. Fruchtiges Parfüm hing wie eine fette, klebrige Giftwolke in der Luft zwischen ihnen. Die Schwuchtel hat heute noch was vor. Bah, den würde ich ja nicht einmal anfassen, auch wenn er sich den nackten Hintern mit Gold bepinselt.

Gott, er konnte solche Typen einfach nicht ausstehen. Hässlich und unappetitlich hielten die sich noch für wer weiß wen und dann takelten sie sich auch noch auf wie ein hawaiianischer Christbaum. Als wüssten sie nicht genau, dass das auch nichts mehr nutzt. Die gierigen, kleinen Wieselaugen hefteten sich sofort an Calman, bemerkte Jarout. Ihn und Karen ignorierte Somers.

»Mister Somers? Randolph Somers?«, fragte Calman. Die verliebten Nagetieraugen blinzelten irritiert, als habe Somers nicht erwartete, dass das Objekt seiner Begierde sprechen konnte.

»Wir möchten Ihnen einige Fragen zu dem Feuer stellen, bei dem gestern Abend eines ihrer Häuser ausgebrannt ist.«

Hinter Somers stechenden, braunen Augen arbeitete etwas. Noch ein wenig deutlicher und man kann Geldscheine rattern sehen, dachte Jarout.

»Seid ihr von der Zeitung oder vom Fernsehen. Bullen seit ihr jedenfalls nicht, soviel steht fest.«

»Nein, Mister Somers, von der Polizei sind wir nicht, aber ...«

»Von der Times«, fiel Karen Calman ins Wort. »Der Nightbreed Times.«

Nightbreed Times, was soll das denn bedeuten? fragte sich Jarout und auch Calman sah einen Moment lang verwirrt aus. Dann jedoch grinste er breit und legte seinen Arm um Karens Schultern.

»Ganz recht. Wir würden gern mit Ihnen über den Inhaber und seinen Laden sprechen und was denn jetzt aus dem Wax werden soll. Ob er es wieder aufbaut oder woanders weitermacht. Solche Sachen eben.«

Somers Gesicht blieb erstaunlich ausdruckslos. Offensichtlich war es ihm scheißegal, was das Wax gewesen war und was jetzt daraus wurde.

»Nie vom Nightbreed gehört«, entgegnete er und nahm Calman wieder ins Visier.

Die Frage: Wie komme ich in seinen Arsch? stand ihm ganz deutlich im Gesicht geschrieben, stellte Jarout, nun doch amüsiert, fest.

Auch Calman schien Somers Reaktion auf ihn nicht entgangen zu sein, denn sein Lächeln wurde noch breiter. Dass Jarout kaum noch die nötige Geduld mit diesem gierigen Menschen aufbrachte, spürte Calman nur allzu deutlich. Trotzdem vermied er Gewalt, wann immer das möglich war. Er wollte Somers weder durch Schmerz noch durch Drohungen dazu bewegen, ihnen die gewünschten Informationen zu geben. Mit schmeichelndem Blick trat er näher an den aufdringlich nach billigem Parfüm stinkenden Mann heran.

»Wir brauchen ein Interview für unsere Leser. Das Wax war berühmt, wissen Sie.« Karens Schiene war gut und darauf weiterzufahren schien eine aussichtsreiche Taktik. »Warum lassen Sie uns nicht rein und mein Kollege hier holt uns was zu essen und wir reden.« Neben sich hörte er Jarout leise knurren. Den Grund dafür konnte er nur erraten.

Wie auch er war Jarout dem eigenen Geschlecht nicht abgeneigt. Allerdings war die Art, wie ihn dieser abstoßende, arrogante Mann mit seinen wässrigen Augen taxierte, einfach unerträglich. Dieser Widerling musterte ihn wie ein Stück Fleisch, dessen Preis zu bestimmen war. Unverhohlene Gier stand ihm wie eine hell leuchtende Neonreklame ins Gesicht geschrieben. Und wenn Calman etwas auf den Tod nicht ausstehen konnte, so war das Aufdringlichkeit.

Jetzt schien Somers gründlich abzuwägen, was für ihn bei der ganzen Sache heraussprang. Schließlich klappte er wortlos die Tür zu. Zwei Sekunden später hörten sie, wie die Kette aufgeschoben wurde. Die Tür schwang auf und Somers trat beiseite, um sie hereinzulassen.

»Also gut, kommt rein. Aber ich sag’ euch gleich, dass ich gar nichts über diesen Kerl weiß.« Somers führte sie in ein aufgeräumtes, erstaunlich modern und unerwartet teuer eingerichtetes Wohnzimmer.

Er bat sie, sich auf die Couch zu setzen und ließ sich selber in einen Ledersessel fallen. Grinsend zog er eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche. Eine Weile spielte er auffällig mit seinem vergoldeten Feuerzeug. Vermutlich blieb der erwartete Effekt aus. Ein Anflug von Enttäuschung machte sich in seinem dümmlichen Habichtsgesicht breit, ehe er sich eine der Zigaretten ansteckte. Wollte er mit seinem Fünfzig-Pfund-Spielzeug etwa Aufmerksamkeit erringen?

Herr je, stöhnte Calman in Gedanken, der Idiot ist billiger als ich dachte.

»Sagen Sie uns einfach, was Sie wissen«, fing Karen an. »Besonders interessant wäre es, etwas über den Mieter zu erfahren. Wir würden uns wirklich gern auch mit ihm unterhalten und wenn Sie uns seine Adresse verraten könnten, dann ...«

»Lassen wir dich vielleicht am Leben«, murmelte Jarout. Sofort funkelte sie ihn zornig an. Gottlob sprach Jarout so leise, dass Somers ihn zwar hören, aber nicht verstehen konnte. »... könnten wir ihn aufsuchen«, fuhr Karen ungerührt fort.

»Hey, was hat der da eigentlich für ein Problem?«, brauste Somers auf und starrte Jarout mit zornig zusammengekniffenen Augen an.

»Gar keins. Niemand hat hier ein Problem. Wir wollen wirklich nur wissen, ob Sie uns etwas zum Wax sagen können«, versuchte Calman ihn zu beruhigen.

»Dann soll er aufhören, vor sich hinzubrabbeln und mich vor allem nicht so angaffen. Ich habe noch nicht einmal eine Ahnung, was das überhaupt für’n Laden war. Der hat Puppen oder so was gehabt und noch so’n anderen Scheiß. War irgendwie auf Gothic und so. Ich war nur einmal dort.« Somers rutschte ungeduldig in dem knirschenden Lederbezug. »Ich kenn’ den Kerl nicht mal. Jemand anderes hat die Schecks gebracht. Nur den für letzten Monat nicht. Der Scheißtyp schuldet mir noch 700 Pfund, verdammt. Wenn ich wüsste, wo er ist, wäre ich dort und würde ihn fertigmachen. Ich weiß nur, wo der Kerl wohnt, den er geschickt hat. Der war sein Partner oder so was.«

»Ach«, hauchte Karen geheuchelt interessiert.

»Ja, Mann. Aber der ist nicht aufzutreiben. Ich war gestern erst dort. Hey, vielleicht hat der den Schuppen selber abgefackelt. Na, mir kann’s egal sein. Hab noch ‘ne gute Versicherung von meinem Alten auf dem Haus.«

»Wären Sie wohl so nett, uns die Adresse zu geben. Wenn wir was rauskriegen, sagen wir Ihnen auch Bescheid. Versprochen.« Karens Stimme war so zuckersüß und freundlich, dass sie damit hätte Fliegen fangen können.

Einen schrecklichen Moment lang verlor Somers Gesicht jeden Ausdruck und sein Blick ging auf geradezu unheimliche Art ins Leere. Doch dann entspannte er sich wieder und lächelte sogar.

»Klar.« Somers zuckte mit den Schultern. »Kann vielleicht gar nicht schaden. Vielleicht habt ihr mehr Glück als ich.«

Calman fragte sich, ob Karen nicht vielleicht noch etwas mehr als nur freundlich zu Somers war. Die Gedanken eines Menschen, vor allem die eines schlichten Menschen wie Somers, zu beeinflussen, wäre ihr ein Leichtes. Jedenfalls lächelte sie zufrieden und lehnte sich in die Lederpolster zurück, während Somers eilfertig aufsprang und durch die Wohnzimmertür verschwand. Jetzt war Calman sicher, dass sie an Somers Hilfsbereitschaft nicht ganz unbeteiligt war. Am liebsten hätte er laut losgelacht. Sie war wirklich gut geworden. An wem sie ihre Talente wohl erprobte und übte? Denis? Wenn dem so war, tat ihm der Ärmste aufrichtig leid.

Somers kam zurück und reichte Calman einen Zettel. Name und Adresse eines Mister William Harris Turner waren fein säuberlich darauf notiert. Der Mann wohnte in Islington, einem nördlich der Innenstadt gelegenen Stadtteil Londons. Mit etwas Glück waren sie damit schon am Ziel ihrer Suche.

Das Brandhaus wies keine näheren Anzeichen dafür auf, dass der Hirudo dort schlief. Das Gebäude hatte nicht einmal einen Keller. Also mussten sie davon ausgehen, dass sie seine Schlafstatt im Haus des Wächters, diesem Turner, fanden. Jetzt mussten sie mit Arweth und Lucas besprechen, wie sie vorgehen sollten. Calmans Sorge galt in erster Linie Karen. Trafen sie in Islington auf den Vampir, der Malcolm getötet hatte, so durften sie keine freundliche Begegnung erwarten. Ohne sich mit den anderen zu besprechen, konnte er kein Risiko eingehen.

»Lasst uns gehen. Jarout, Karen. Kommt!« Calman stand auf und war schon halb aus dem Zimmer, als er Karen noch ein Wort des Abschieds sprechen hörte. Somers Erinnerung an diesen Abend war nun das, was sie ihm eingab.