~ 7. Kapitel ~

 

In dem Turner schlechte Nachrichten bringt

 

Langsam ließ Prior den Blick seiner eisblauen Augen über die Symmetrie des Narbengeflechts wandern, das seine Hände wie ein groteskes Spinnennetz überzog. Die Wunde, die er sich selbst mit dem Dorn der kleinen Fibel zugefügt hatte, war längst verschlossen. Auch war sie zu gering, als dass sie Spuren hätte hinterlassen können. Sie war unbedeutend im Vergleich zu jenen Verletzungen, die ihre Stigmata überall auf seinem Leib hinterlassen hatten. Male wie Kainszeichen.

Brandwunden wanden sich wie knotige Schlangenleiber über seinen gesamten Leib. Nach so langer Zeit waren sie verwachsen und glatter gewordenen. Die Narben an seinen Händen waren die tiefsten, und jedes Mal, wenn er sie ansah, erinnerten sie ihn an sein vergangenes Leid. Doch er brauchte keine Ikonen oder die Male auf seiner Haut, um sich zu besinnen. Zu tief war die Erinnerung in ihm verankert. Die beiden Objekte, die Fibel und das Eisen, dienten ihm, andere zu erinnern. Für sie war er schon viel zu lange Zeit vergessen.

Er hingegen sah die Augen der Fut, die sich Serena nannte, immer noch vor sich. Er sah, wie sie sich über ihn beugte, mit ihrer klauenbewehrten Hand in seine Brust fuhr und ihm das Herz herausriss, wie es das Ritual zur Erschaffung eines neuen Vampirs verlangt. Der Schmerz war unbeschreiblich gewesen, doch nie war eine gnädige Ohnmacht gekommen, um ihn zu erlösen. Mit aller Macht rief er jetzt seine Sünden zu sich.

Die Gier, die sie in ihn pflanzten, als sie ihn zu einem ihrer Art gemacht hatten, war schlimmer als jeder Hunger, den er in seinem Leben jemals hatte ertragen müssen. Sie war vernichtender als der Durst nach Wein oder dem Fleisch zwischen den Schenkeln seiner Frau.

Versenkte er sich nun ganz hinein in diese Erinnerung, spürte er wieder ihr weiches Haar. Er fühlte auch die köstliche Zartheit ihrer Haut, die sich beinahe durchsichtig über die darunter schwellenden Adern an ihrem Hals spannte. Auch schmeckte er die befreiende Flut des hellroten Blutes, das entfesselt und so reichlich in seinen Mund geflossen war.

In so heftigem Schwall war ihm der würzige Strom die Kehle hinabgeronnen, dass er unmöglich alles hatte schlucken können. Mehr als die Hälfte war verloren gegangen, während er würgend nach mehr gelechzt hatte. Damals war er jenseits jeglichen Verstehens gewesen. Heute jedoch wusste er alles, was er wissen musste.

Heute wusste er, dass seine Dämonen Vampire waren und er kannte ihre Namen. Arweth, der Weißhaarige mit den brennend roten Augen. Serena, die willig für Arweth tötete und schließlich Malcolm, ihrer beider Sohn.

Durch den Mord an Dorian Priors unsterblicher Seele hatten sie Rache genommen. Sie ließen ihn leiden für den Tod einer der ihren: Phoebe, eine Hexe von solch unheiliger Bösartigkeit, dass selbst der Teufel erbleichen mochte.

Doch in Melacar hatte Prior ihren Herrn gefunden, den einen namens Maratos, und seine Lehren empfangen. Er war ein guter Schüler und nun bereit, seine Lektionen zu nutzen. Er musste nun bereinigen, was schon vor langer Zeit hätte bereinigt werden sollen. Sich der Waffen und Mittel der Hölle zu bedienen, um Gottes Werk zu tun, wandelte seine Vergehen in Recht. Der Herr sah, dass sein Herz rein war. Trank er denn gern das Blut so vieler Leiber? Brachte er denn gern all dieses Leid? Nein, sicher nicht. Und noch wichtiger war: Seine Opfer waren niemals Unschuldige. Er wählte unter den Huren. Er nahm sich die Diebe und Mörder. Allesamt verabscheuungswürdiges Gesindel, das in dunklen Gassen hauste.

Dorian von Salmbach, allerorts bekannt als der Prior, kehrte seine Verdammung zum Guten. Wie einst befreite er die Welt vom Übel. Ehemals mit Feuer, heute mit seinem unstillbaren Durst tilgte er die Teufel und ihre Buhlen aus der Welt. Ihm war die heilige Erlösung gewiss.

Zu deutlich sah er seinen Weg gezeichnet. Jedes folgende Ereignis griff so reibungslos in das vorhergehende. Was er tat, war ihm bestimmt. War seine Aufgabe erst einmal erfüllt, würde sich ihm das Portal zum Himmelreich öffnen und all seine Sünden waren ihm vergeben.

Hexenpack, Dämonenvolk, Teufelsbrut! Ihr seit verdammt vor den Augen des Herrn! Ein markerschütternder Schrei quälte sich aus seiner Brust die Kehle hinauf. Der Laut erstarb, als die Hintertür seines Ateliers mit jähem Schwung aufgestoßen wurde. Eisiger Winterwind fuhr mit solcher Gewalt herein, dass er Priors weite, schwarze Robe bauschte.

Dieser Wurm!, dachte Prior zitternd vor Zorn. Wie er winselt und bebt. Schnell schlug er den Deckel der Truhe zu und verbarg seine Heiligtümer vor den unwürdigen Augen seines schwatzhaften Sklaven, den er schon viel zu lange mit sich herumschleppte. Auch für diese erbärmliche Kreatur kam nun bald die Zeit, jenen Weg zu gehen, den all die anderen vor ihm gegangen waren. Oh, Herr, lass bald die Zeit anbrechen, da sie alle hinweg gefegt werden, betete er stumm.

»Sie ... sie kommt ... nicht allein. Malc ... Malcolm ist dabei. Kommen gleich. Bin so schnell gel ...«

Prior ließ den Schrei aus seiner Kehle fahren, den zuvor das atemlose Auftauchen seines so treu ergebenen Idioten so unwirsch unterbrochen hatte. Seine Faust krachte mit voller Wucht gegen die Kehle des Wächters. Dann kehrte Stille ein.

»Du hast nichts gespürt, oder?«, fragte er leise. Mit traurigem Blicke betrachtete er Turners verrenkten Leib, der wie eine zerbrochene Gliederpuppe am Boden lag.