7. Kapitel

 

Die Panik in Jarout Augen überraschte Karen. Die Sonne war eben erst aufgegangen, doch das schien ihm völlig zu reichen.

«Entschuldige mich. Wir reden heute Abend», nuschelte er eilig und schon war er verschwunden. Nur noch die wabernde Glasfläche des Fensters verriet ihr, wohin er geflüchtet war. Völlig entgeistert schnappte sie nach Luft. Er war das also. Jarout war der Geist von letzter Nacht. Aber warum wunderte sie sich überhaupt noch darüber? Eigentlich sollte ihr doch mittlerweile klar sein, dass er ein hinterlistiger Bastard war, der seinen Plan schon seit langer Zeit verfolgte. Ihr wurde übel bei dem Gedanken, dass er sie vielleicht schon seit Wochen ausspionierte, ohne dass sie etwas davon mitbekam.

«Na, ist ja toll», sagte sie laut, «und jetzt lässt du mich hier einfach so stehen.»

Sein fantastischer Plan sah also vor, sie mitten in der Auffahrt vor Lucas Haus mutterseelenallein zurückzulassen. Was war, wenn Lucas sie entdeckte? Direkt fluchtartig entwischte Jarout dem Tageslicht. Und Lucas? überlegte sie. Bei ihm und den übrigen Bewohnern des Hauses mussten die Dinge wohl kaum anders stehen. Jarout erwähnte ganz beiläufig, dass sie insgesamt zu acht hier lebten, ihn mitgerechnet.

Da war außer ihm und Lucas noch dessen Frau Blanche. Dann Blanches Sohn Denis, den sie mit in die Familie gebracht hatte und den Jarout leichthin als zurückgeblieben bezeichnete. Weiter zählte er Seamus, und dessen Gefährtin Galina auf, die beide einst mit Golan zusammengelebt hatten und nun bei Lucas blieben, weil er Golans Erbe war. Was bedeutete, dass er die Persönlichkeit des anderen in sich trug. Und zu guter Letzt lebten noch die »Schwestern« bei ihnen. Von den beiden, so sagte er Karen, solle sie sich lieber fernhalten. Warum, wollte er nicht verraten, aber sie ahnte, dass diese Warnung einen guten Grund haben musste. Karen kam nicht umhin, sich die Mitglieder dieser seltsamen Familie in ihren Särgen vorzustellen. Das war doch verrückt. Aber wenigstens war sie sicher vor ihnen, solange die Sonne schien. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie hier am Ziel ihrer Suche war.

Sie lief ein paar Meter, um einen besseren Blick auf das Haus zu haben. Das Anwesen, das Jarout bisher nur schlicht »das Haus« nannte, war groß, um nicht zu sagen gewaltig. Die kleine, spätromantische Villa ihrer Vorstellung war winzig im Vergleich mit diesem riesigen Kasten, der wie aus einem Stein gehauen aussah. Ein eckiger, grauer Klotz, mit je einem an jeder Seite angeklebten Baustein. Das einzig Filigrane waren die hohen, schmalen Fenster mit ihren weißen Rahmen. Und das seltsame Design der Eingangstür.

Die Holzstrebe in der Mitte war als borkiger Baumstamm gestaltet, von dem aus zu jeder Seite vier, mit Messingbeschlägen verzierte Hauptäste wuchsen. Die kleinen Glasscheiben zwischen den unzähligen feinen Ästen und Zweigen, die über die verglasten Türflügel rankten, glitzerten und funkelten wie geschliffene Edelsteine.

Fasziniert ließ Karen ihren Blick über die feucht glänzenden grauen Steine der Frontmauern wandern und versuchte sich vorzustellen, was hinter der mächtigen, abweisenden Fassade verborgen lag. Das graugoldene Morgenlicht verlieh dem so plumpen Äußeren eine Aura der Unwirklichkeit.

Angestrengt suchte sie eine verborgene Regung im Inneren, doch hinter den Glasscheiben der Fenster war nichts Verdächtiges zu erkennen. Nur die düsteren Schatten fremder, alter Räume. Und dennoch glaubte sie, beobachtende Blicke zu spüren.

Zögernd näherte sie sich der breiten Treppe, die hinauf zur Eingangstür führte. Auch hier war die schlichte Bezeichnung Treppe untertrieben. Mindestens vier Meter breit und mit ungewöhnlich hohen Stufen, schien sie vielmehr für eine Riesen gemachte Stiege zu sein.

Gleich auf der ersten Stufe verstärkte sich das Gefühl, regelrecht von der Größe dieses Ortes verschluckt zu werden. Ihr wurde schwindelig vom Sog, der sie ergreifen wollte. Tastend suchte sie nach dem Treppengeländer. Der taufeuchte Stein fühlte sich angenehm kühl an. Zaghaft streichelte sie über die vernarbte Oberfläche, die von den erfolglosen Versuchen, das dicht wachsende Moos zu entfernen, ganz rau und zerklüftet war.

Bis zur Tür waren es fünf Stufen. Nur fünf Stufen, und die ersten zwei waren ja schon geschafft. Tief holte sie Luft. Du wirst doch jetzt nicht kneifen, oder? dachte sie. Nein, ganz bestimmt nicht. Eine angefangene Sache unvollendet zu lassen, war nicht ihre Art. Aber sich das ins Gedächtnis zu rufen, half ihr auch nicht weiter. Und noch etwas fiel ihr ein. Ein Sprichwort, das sie mal irgendwo aufschnappte. Gib Acht auf das, was du dir wünschst; es könnte in Erfüllung gehen. Karen fragte sich, ob die Verfasser solcher Weisheiten wohl wussten, wie viel Wahrheit möglicherweise tatsächlich dahinter steckt? Jedenfalls glaubte sie kaum, dass einer von denen schon mal als potenzielles Frühstück vor einem Haus voller Vampire stand.

Vorsichtig umfasste Karen den gebogenen Türknauf. Er ließ sich ganz leicht herunterdrücken. Verwundert stellte sie fest, dass die Tür unverschlossen und leichter zu öffnen war, als ihre überdimensionale Größe vermuten ließ. Warum war der Eingang nicht gesichert? So gefährlich wie das Sonnenlicht augenscheinlich für die Hirudo war, sollte man meinen, dass sie sich unbedingt vor unwillkommenem Besuch schützen sollten. Wie leichtsinnig, oder brauchten sie aus gutem Grund keinen Eindringling zu fürchten? Aus der Erzählung ihrer Mutter wusste sie, dass deren Freundin Lucas eines Tages im Keller überraschte. Sie war nicht lange genug am Leben geblieben, um ernsthaften Schaden anzurichten. Er tötete sie, noch ehe sie seinen Schlafplatz hinter der Treppe erreichen konnte. Eilig zwang sie sich, nicht daran zu denken.

Vor ihr lag die von schummrigem Tageslicht nur unzureichend beleuchtete Empfangshalle, aus der ihr leichter Rosenduft und das muffige Aroma alter Möbel entgegenschlug. Zögernd trat sie ein und lauschte mit laut klopfendem Herzen auf das dumpfe Hallen ihrer Schritte, die unangenehm laut von den hohen Wänden widerhallten. Der Boden war ein Schachbrett aus poliertem Marmor. Abwechselnd schwarz und weiß, so glatt, dass sie ihr Spiegelbild darin sehen konnte.

In gut zehn Metern Höhe wölbte sich die stuckverzierte Kuppeldecke, wie ein weißer Himmel. Eine breite, mit rotem Teppich ausgelegte, Treppe auf der linken Seite der Halle führte im schwungvollen Rechtsbogen hinauf in das obere Stockwerk des Hauses. Rundum säumte eine Empore mit aufwendig geschnitztem Geländer die Wände. Dahinter verloren sich lichtlose Gänge.

Was für ein Luxus. All die Gemälde und Gobelins an den Wänden. Die lebensgroße Marmorstatue neben der Treppe. Arm war Lucas jedenfalls nicht.

Allein diese Statue war mit Sicherheit ein Vermögen wert. Ihr zorniger Blick verlieh ihr Schrecken und fantastische Schönheit gleichermaßen. Sie erinnerte Karen an eine Lamia, jene weiblichen Dämonen, die des Nachts in die Häuser der Schlafenden kamen und ihre Kinder stahlen. Ein grauenvoller und zugleich unwiderstehlicher Anblick, als warte sie nur auf den rechten Zeitpunkt, die steinerne Haut von den glänzenden Schuppen darunter zu schütteln.

Behutsam tasteten ihre Gedanken voran. Tiefer hinein in dieses Haus. Wenn es eine Gefahr gab, dann wollte sie früh genug davon wissen. Doch alles, was sie fühlte, war geradezu hochmütige Zufriedenheit ohne die geringste Störung. Sie spürte weder Hass noch Angst. Kein Schmerz, sondern Ruhe lag innerhalb dieser Mauern.

Alte Gebäude konnten für Menschen mit ihren Talenten ausgesprochen unangenehm, wenn nicht sogar gefährlich werden. Im Laufe der Jahrhunderte konnten sich darin die entsetzlichsten Dinge zugetragen haben. Versetzte sie sich in das Wesen eines solchen Hauses, dann kam sie nur sehr schwer wieder davon los. Und je tiefer sich Hass und Schmerz, oder mitunter die schrecklichen Folgen brutaler, körperlicher Gewalt, in die Atmosphäre hineingefressen hatten, umso begieriger wurde sie hineingezogen und festgehalten. Bei dem Gedanken an den Tower von London wurde ihr heute noch übel, und sie wünschte, sie hätte dieses verfluchte Gemäuer nie betreten.

Doch hier im Haus, in dem so eindeutig nichtmenschliche Kreaturen hausten, fühlte sie sich irrwitzigerweise sicher. Eigentlich sollte gerade hier der Tod in jeder Ecke lauern. Aber sie fand nichts, rein gar nichts. Hier hatte noch niemand sein Leben lassen müssen - zumindest nicht unter Qualen, denn die hätten unübersehbare Spuren hinterlassen.

Nicht unter Qualen - sagt man nicht, Vampire können ihre Opfer dazu bringen, sich freiwillig anzubieten? Himmel, warum musste ihr das jetzt einfallen.

Na, Karen, fühlst du dich immer noch so sicher? dachte sie, drehte sich zur Haustür um und warf ihrem verzerrten Spiegelbild ein schiefes Grinsen zu. Na, sag ich doch. Und jetzt weiter.

Wohin sollte sie zuerst gehen? Links sah sie eine schwere Tür mit überladenem Rahmen und mit kunstvoll geschnitzten Verzierungen in Form von Vögeln und Blüten und üppigen Weinranken. Sie entschied, als Erstes herauszufinden, was der dunkelrote Samtvorhang rechts von ihr verbarg.

Auf Zehenspitzen tippelte sie zu dem mehr als mannshohen Durchgang, zog den Vorhang beiseite und enthüllte einen Raum dahinter, dessen Anblick sie augenblicklich in helle Aufregung versetzte. Sie fühlte sich an Mister Fosters Geschäft erinnert, in dem sie als Kind herrliche Stunden hingebungsvollen Erkundens geheimnisvoller Wunderwaren verbringen durfte. Irgendwann, jenseits der Kindheit, war dieser Laden nur noch einer von vielen gegeneinander austauschbarer Vorstadtwarenhäuser, in denen sie nützliche Sachen, wie Ameisenfallen und Schuhcreme kaufte. Die Erinnerung an jenen seltsamen Zauber und die Sehnsucht nach Wundern war geblieben.

Und jetzt war genau dieselbe Aufregung wieder da. Vor ihr lag eine exotische Welt, vollgestopft mit Möbeln aus unterschiedlichsten Epochen, Statuen, Lampen, üppigen Grünpflanzen und Regalen, die dicht an dicht die Wände entlang standen.

Teppiche aus aller Herren Länder lagen ausgebreitet unter reich dekorierten Buffets, kleinen Anrichten und Beistelltischchen, die unter dem Gewicht unzähliger Vasen, Büsten, Terrakotta- und Keramikplastiken, zusammenzubrechen drohten. Überall in dem Gewühl standen Lampen und meterhohe Kerzenhalter, von Barock bis Moderne, wie Kämpfer gegen die berühmten Windmühlen. Jeweils gegenüber dem Durchgang vor dem Kamin, und links am anderen Ende des Zimmers waren Sitzgruppen, deren dickbackige Sessel und gemütliche Sofas zum Ausruhen einluden, wie kleine rettende Inseln in diesem »Möbelmeer« aufgebaut.

Dort, wo die Regale Platz ließen, hingen schwere Gobelins und goldgerahmte Gemälde. Die Fenster waren von weinroten Brokatvorhängen gerahmt, und reichten vom Fußboden bis unter die Decke. Ein wahrer Urwald aus riesigen Palmgewächsen färbte das einfallende Tageslicht zu grünen Schatten.

Über dem verrußten Kamin, der kalt und dunkel in den Raum gähnte, hing ein plakatgroßes Ölgemälde, das einen antiken Marktplatz im hellen Tageslicht zeigte - noch mehr Gewühl, in diesem ohnehin schon chaotischen Zimmer.

Am schönsten jedoch waren die bunten Fresken an der Zimmerdecke. Jemand in diesem Haus schien wirklich etwas für griechische Kunst übrig zu haben. Hoch über ihr tanzten Faune, liebliche Nymphen und sämtliche Götter der griechischen Mythologie über einen strahlendblauen Himmel.

Langsam wanderte sie durch das Zimmer. Je weiter sie ging, umso mehr gab es zu entdecken. Dieser Ort war einfach bezaubernd und wunderschön. Trotzdem wagte sie vorerst keinen der Gegenstände zu berühren, aus Furcht vor dem, was sie dann möglicherweise zu sehen bekam. Woher stammten sie? Was erlebte der, dessen Hände sie zuletzt berührte?

Am anderen Ende des Zimmers fand sie einen zweiten Durchgang, der zurück in die Halle führte. Ob sie sich weiter umsehen sollte? Sie erinnerte sich, dass bei der Statue neben der Treppe eine Tür war, die ihr auffallend unscheinbar vorkam.

Ob gerade hinter dieser Fassade der Bescheidenheit die eigentliche Sensation schlummerte?

Wie kam sie nur auf die Idee, dass sich dahinter der Schlafplatz der Hirudo befand? Das war doch zu offensichtlich, oder? Und falls es tatsächlich so war? Zögernd legte sie ihre Hand flach auf das schimmernde Holz und drückte mit der anderen die klobige Messingklinke herunter. Doch die Klinke ruckte nur kurz und rührte sich dann keinen weiteren Millimeter. Karen versuchte es nochmals. Wieder nur ein kurzes Einrasten, sonst nichts. Abgeschlossen! dachte sie. So ein Mist!

Irgendein verborgener Mechanismus hinderte sie daran, die Klinke auch nur einen Zentimeter weiter zu bewegen. Hartnäckig widerstand sie ihrem Rütteln und Ziehen, das noch nicht einmal ein Geräusch verursachte, so fest war diese Barriere verschlossen.

Entschlossen legte sie nun beide Hände auf das Holz und konzentrierte sich auf die Person, die zuletzt hindurchgegangen war. Auch das war ein totaler Fehlschlag. Jemand leistete hier wirklich gründliche Arbeit. Einfache Schlösser konnten Karen nicht daran hindern, zu sehen, was sie sehen wollte. Also musste etwas anderes am Werk sein. Wenn dem tatsächlich so war, dann hätte jeder andere, ohne die Fähigkeiten, über die sie verfügte, diese Tür gar nicht erst wahrgenommen. Besser konnten sich die Hirudo gar nicht schützen. Frustriert gab sie auf. Sie entschied, dass sie sich lieber erst mal den Bereichen des Hauses zuwenden sollte, die leichter zugänglich waren.

Vielleicht fand sie einiges, das ihr weiterhelfen konnte. Etwas über Lucas, um bei ihrer ersten Begegnung mit ihm nicht vollkommen unvorbereitet zu sein.

Blieb die Tür auf der linken Seite. Sie klemmte ein wenig, doch nach einigen Rütteln und Ziehen gab sie schließlich nach. Hinter ihr befand sich ein weiterer großer Salon, der jedoch wesentlich schlichter möbliert war, als der erste.

Ein großer, schwarz lackierter Flügel dominierte den Raum. Selbstverständlich fehlten weder Harfe noch Gitarre, und in einer Ecke glänzte der polierte Bauch eines Cellos.

So etwas nennt man dann wohl Musikzimmer, dachte Karen. Ob hier jemand diese Instrumente spielte? wunderte sie sich. Was für eine Idylle. Blutsauger, die nach erfolgreicher Jagd Hausmusik praktizierten. Okay, bitterer Humor ist aber immerhin besser als gar keiner, oder?

Hinter einem nur halb zugezogenen, blauen Vorhang in der gegenüberliegenden Wand, entdeckte sie einen weiteren Raum. Schummeriges Licht fiel in schmalen Streifen durch die zugezogenen Gardinen, doch als ihre Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, tappte sie zu den beiden Fenstern und zog den dicken Stoff beiseite. Dass sie dazu den halsbrecherischen Weg durch den dunklen Raum nahm, geschah aus reiner Gewohnheit. Sie hätte auch ihre Gedanken dazu benutzen können. Doch Peter reagierte von Anfang an sehr heftig darauf, als sie eines ihrer Talente einsetzte, um so einfache Dinge zu tun, wie ein Buch aus einem Regal zu holen oder eine Tür zu schließen.

Dass er darauf bestand, war ja im Grunde nur vorteilhaft für sie, denn so sparte sie zum einen ihre Energie und zum Anderen vermied sie es, aus Versehen in der Öffentlichkeit peinliches Aufsehen zu erregen, das ihr nur unnötigen Ärger eingehandelt hätte.

Dabei fiel ihr ein, dass Peter ihre Notiz wohl schon gefunden hatte. Hoffentlich machte er sich keine allzu großen Sorgen. Wenn er ihr nur etwas mehr Vertrauen entgegenbringen könnte. Doch wie konnte er das? Wie konnte irgendjemand darauf vertrauen, dass jemand, der sich bewusst in Lebensgefahr begab, wusste was er tat und dabei noch bei klarem Verstand war.

Sie zog den letzten Vorhang auf, und helles Tageslicht enthüllte nun die schlichte Zimmereinrichtung. Wie ordentlich dieser Raum aussah. Zwar waren auch hier die Möbel alt und reich verziert, doch alles wirkte so aufgeräumt. Sogar die Bücher, in den langen Reihen der deckenhohen Bücherschränke, waren peinlich genau sortiert. Nach Farbe und Größe.

Der Schrank, neben dem Schreibtisch vor der Fensterreihe, die Ausblick auf einen Garten von der Größe eines Fußballfeldes bot, erregte besonders ihre Aufmerksamkeit. Von den größtenteils ledergebundenen Büchern sahen nur die Bände in den untersten vier Reihen unversehrt und relativ neu aus. Die übrigen dagegen machten den Eindruck, als zerfielen sie bei der leisesten Berührung zu Staub. Zudem waren sie dort, wo normalerweise Titel und Name des Verfassers standen, lediglich durch eine schlichte römische Zahl gekennzeichnet.

Und auf dem Schreibtisch lag ein in schwarzes, Leder gebundenes Buch, das zwar neu, aber sonst denen im Regal sehr ähnlich sah.

Karens Meinung über Leute, die in fremden Sachen herumschnüffelten, war nicht die beste, aber sie konnte einfach nicht widerstehen, das Buch aufzuschlagen. Das glatte Papier raschelte leise, als sie rasch Seite um Seite voranblätterte. Von der ersten, bis beinahe zur letzten Seite, waren seltsame Skizzen und auf den ersten Blick unlesbare Notizen auf das cremefarbene Papier gekritzelt. Waren das persönliche Aufzeichnungen? Eine Art Tagebuch vielleicht? Was war dann mit den alten Büchern im Regal? Eine bessere Gelegenheit, um genau an die Informationen zu kommen, nach denen sie Jarout nicht fragen konnte, bot sich ihr vielleicht nur dieses eine Mal. Was für ein Wesen war ihr Vater? Was dachte und empfand er? Die Antworten auf diese dringenden Fragen standen vielleicht hier geschrieben. Wenn nicht ihr, wem dann stand das Recht zu, mehr über ihn zu erfahren? Außerdem konnte sie ja niemand dabei erwischen. Eine laute Uhr schlug irgendwo im Haus neun Mal. Sie schliefen alle. Rasch setzte sie sich an den Schreibtisch, legte das aufgeschlagene Buch vor sich hin und beugte sich gespannt über die erste Seite.