~ 3. Kapitel ~

 

In dem Turner Laserlicht sieht,

seinen Auftrag aber nicht erfüllen kann

 

Genau wie DER GESCHÜTZTE, zog auch er keine Blicke mehr auf sich, wenn er durch die Straßen lief. Diese besondere Fähigkeit, den Blicken der Menschen auszuweichen, hatte ER ihm gegeben. Zusammen mit SEINEM Blut.

Doch anders als bei IHM funktionierte diese Gabe bei Turner nur, wenn er sich im Schatten aufhielt und die hellen Lichter der Straßenlaternen und Reklamen mied.

Er verstand nicht, warum das so war, aber er begriff sehr schnell, dass DER GESCHÜTZTE sich unsichtbar machen konnte. Aber nein, das war nicht ganz korrekt. ER war nicht unsichtbar im Sinne von durchsichtig. Die Leute sahen ihn nur einfach nicht. Ganz so, als glitten ihre Blicke einfach von IHM ab.

Und genau diese Sache übertrug ER auf seinen Wächter. Auch SEINE Unsterblichkeit gab ER ihm. Als SEIN Wächter konnte Turner weder altern noch durch eine Krankheit oder einen Unfall sterben. Selbstverständlich glaubte er ihm das, so, wie er IHM alles glaubte. Allerdings traute er sich auch nicht, einen Testsprung von der Tower Bridge zu machen und blickte noch immer in beide Fahrtrichtungen, ehe er eine Straße überquerte. Sicher war sicher und schließlich ... man konnte nie wissen.

Seine seltsame Gabe der Unsichtbarkeit schien heute allerdings unnötig. Der Square war wie ausgestorben, als er dort ankam und gleich in die kleine namenlose Seitenstraße einbog, wo das «porch» war.

Der Türsteher war schon längst kein Problem mehr. Er kannte Turner. Deshalb warf er nur einen flüchtigen, gelangweilten Blick auf ihn und hielt ihm die Tür auf. Kein Hallo, keine Höflichkeitsfloskeln, keine Gefühlsduselei. Sie mochten einander nicht und sahen keinen Sinn darin, so zu tun als ob.

Verstohlen legte Turner seine Finger auf das schmale Kuvert in seiner Jackentasche. Gut, es war noch da. Blinzelnd hielt er in dem trüben Zwielicht des Clubs Ausschau nach der Frau, der er seinen Brief überreichen sollte. Darin stand die Adresse des WAX und, dass sie allein dorthin kommen sollte. Turner, der Wächter, würde sie begleiten und für ihre Sicherheit sorgen.

Mann, in dem Laden ist ja heute nichts los, dachte er. Na ja, Mittwochabend und vor zehn Uhr. Kein Wunder.

An der Bar standen einige Leute. Drei von ihnen unterhielten sich miteinander, die übrigen ließen hungrige Blicke schweifen. Sie sahen aus, als warteten sie auf etwas Bestimmtes. Etwas, das ihr Leben noch heute Abend entscheidend verändern sollte.

Sicher bekommen die ihren Wunsch erfüllt, dachte Turner und grinste verschlagen.

Noch einmal sah er sich angestrengt um, ehe er weiter in den höhlenartig angelegten Tanzsaal schlich. Auch hier nahm er sämtliche Anwesenden in Augenschein. DER GESCHÜTZTE hatte ihn eindringlich gewarnt, er solle die Nachricht nur überbringen, wenn der Albino nicht da war. War der Albino anwesend, musste Turner zurückkehren und ER sich etwas Neues ausdenken.

War der Albino nicht im «porch», war alles klar. Das herauszufinden, dürfte kein Problem sein. Übersehen konnte er ihn wohl kaum. Der weiße Vampir hob sich durch seine auffällige Erscheinung von allen anderen ab.

Seine Haut war kalkweiß und seine Augen leuchteten strahlend rot, sobald das Licht im richtigen Winkel fiel. Doch das einzige rote Licht im «porch» war das Gleißen der Laser, die im Rhythmus der noch ziemlich leise gespielten Musik wie feine, straff gespannte Spinnwebfäden durch die dunstige Luft schnitten.

Der Albino war also nicht da. Serena, der das «porch» gehörte und Zielperson SEINER Botschaft, konnte Turner allerdings auch nicht entdecken.

Er erkannte zwei ihrer Freunde. Sie standen an die Theke gelehnt und unterhielten sich mit dem Barmann. An den Namen des einen konnte er sich erinnern. Malcolm hieß er und den sollte sie auf keinen Fall mitbringen. So lautete die Anweisung für sie auf dem Kuvert in seiner Jackentasche.

Der andere war ein viel jüngerer mit streichholzkurzem, schwarzem Haar, der auch ständig im «porch» rumhing. Neben ihm stand ein schüchtern wirkender Typ mit erstaunlich grünen Augen. Sein jungenhaftes Gesicht wirkte viel zu weich und harmlos für ein Geschöpf jener Bluttrinkerrasse, der auch DER GESCHÜTZTE angehörte. Diesen jungen Vampir kannte Turner nicht, aber das war nicht weiter wichtig.

Schließlich war er hier, um einen Auftrag auszuführen. Da konnte er sich nicht um solche Dinge Gedanken machen. Er packte seinen Mut beim Schlafittchen und ging schnurgerade auf die Gruppe zu.

Als Erster bemerkte der junge Vampir mit den kurz geschorenen Haaren sein Näherkommen. Mit finsterem Blick wandte er sich in Turners Richtung.

Schon war aller Mut dahin und in einem ungeschickten Schlenker, mehr ein Stolpern, änderte Turner seinen Weg. Mit hochgezogenen Schultern schwang er sich auf einen freien Hocker. Beinahe hätte er einen schlimmen Fehler begangen. Er konnte doch niemanden nach der Frau fragen, ohne dass jemand von seiner Botschaft erfuhr. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als zu warten, bis Serena auftauchte. Dann erst konnte er ihr unbemerkt das Kuvert zustecken.

Hoffentlich dauerte das nicht zu lange. Schon jetzt spürte er diese nagende, brennende Unruhe in seinen Eingeweiden rumoren. Er war schon wieder hungrig. Und kein käufliches Nahrungsmittel der Welt konnte diesen besonderen Hunger stillen, der in letzter Zeit immer häufiger und heftiger über ihn kam.