66.
Jane Cox fuhr in der Limousine wieder von der Poststelle zurück. Ohne dass sie etwas davon gewusst hätte, hatte das FBI das Schließfach überprüft, das sie täglich öffnete. Ohne Ergebnis. Der Name war falsch, das Fach für sechs Monate bar bezahlt, und auch sonst gab es nichts. Sie hatten dem Filialleiter die Hölle heißgemacht, weil er sich nicht an die Regeln gehalten hatte.
»Genau so hat es auch mit 9/11 begonnen, Sie ahnungsloser Trottel!«, hatte Agent Chuck Waters den Mann hinter dem Tresen angebrüllt. »Sie überlassen Terroristen ein Schließfach, ohne ihren Hintergrund zu überprüfen. Sie helfen den Feinden dieses Landes, uns anzugreifen. Wollen Sie, dass man sich dafür an Sie erinnert? Als Gehilfe Osama bin Ladens?«
Der Mann war so verzweifelt gewesen, dass er in Tränen ausgebrochen war. Doch Waters hatte das nicht mehr gesehen. Er war bereits aus der Filiale gestürmt.
Jane erreichte das Weiße Haus und stieg langsam aus der Limousine. In letzter Zeit hatte man sie nur selten in der Öffentlichkeit gesehen, und das war auch ganz gut so. Sie war ausgemergelt und deutlich gealtert. Mit den HD-Kameras, die man heutzutage benutzte, kam das gar nicht gut rüber. Selbst dem Präsidenten war es aufgefallen.
»Alles in Ordnung, Liebling?«, hatte er bei einer kurzen Unterbrechung seiner Wahlkampftour gefragt. Jane war direkt aus der Limousine in ihre Wohnung gegangen und hatte ihn am Schreibtisch angetroffen, wo er Papiere durchsah.
»Es geht mir gut, Danny. Ich wünschte nur, die Leute würden aufhören, mich das zu fragen. Irgendwann glaube ich selbst noch, dass etwas nicht stimmt.«
»Das FBI hat mich über deine Besuche in der Postfiliale informiert.«
»Nicht der Secret Service?«, erwiderte sie rasch. »Die Spione in unseren Reihen?«
Er seufzte. »Die tun nur ihren Job, Jane. Wir sind jetzt Staatseigentum. Der Staatsschatz - zumindest du«, fügte er mit einem raschen Lächeln hinzu. Normalerweise reichte das, um ihre Laune zu bessern.
Normalerweise, aber nicht heute. »Du bist hier der Schatz, Danny. Ich bin nur Ballast.«
»Jane, das ist nicht ...«
»Ich habe wirklich keine Zeit dafür. Du auch nicht. Die Kidnapper haben brieflich Kontakt zu mir aufgenommen. In dem Brief stand die Nummer des Postschließfachs, und der Schlüssel lag dabei. Sie haben gesagt, ich würde irgendwann einen zweiten Brief bekommen und solle jeden Tag in dem Fach nachsehen. Das habe ich getan. Aber bis jetzt ist kein Brief gekommen.«
»Warum wenden Sie sich an dich? Warum nicht an Tuck?«
»Ich weiß es nicht, Danny. Offensichtlich bin ich nicht in der Lage, wie ein Entführer zu denken.«
»Sicher, sicher, so habe ich das nicht gemeint. Also hatten wir vielleicht recht. Sie werden etwas von mir verlangen, wenn wir Willa wiedersehen wollen. Geld kann es nicht sein, denn davon hat dein Bruder mehr als ich. Himmel, wir können hier ja kaum unsere Lebensmittelrechnung bezahlen. Das muss übers Amt laufen.«
»Und damit wird es zu einem Problem, wie du gesagt hast.«
»Ich werde tun, was ich kann, Jane, aber es gibt Grenzen.«
»Ich dachte, die Macht des Oval Office sei unbegrenzt. Da habe ich mich wohl geirrt.«
»Wir werden tun, was in unserer Macht steht, um sie zurückzuholen.«
»Und wenn das nicht reicht?«, erwiderte Jane wütend.
Dan starrte sie an. Ein Hauch von Hoffnungslosigkeit lag in seinem Blick.
Der mächtigste Mann der Welt, dachte Jane, und er weiß nicht weiter.
Ihre Wut verflog so plötzlich, wie sie aufgeflammt war. »Halt mich fest, Danny. Bitte, halt mich fest.«
Der Präsident eilte zu ihr und drückte sie an sich.
»Du zitterst ja«, sagte er. »Hast du dir irgendwas eingefangen? Und du hast auch an Gewicht verloren.«
Jane löste sich von ihm. »Du musst jetzt gehen. Du musst noch eine Rede im East Room halten.«
Dan schaute auf die Uhr. »Ich bekomme Bescheid, wenn es so weit ist.«
Er wollte sie wieder umarmen, aber Jane wich ihm aus, setzte sich und schaute ins Nichts.
»Jane, ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten. Ich habe einen gewissen Einfluss. Ich kann helfen.«
»Das glaubst du, nicht wahr?«
Das Telefon klingelte. Dan nahm ab. »Ja, ich weiß. Ich bin in einer Minute unten.«
Er beugte sich vor und küsste seine Frau auf die Wange. »Ich komme später wieder rauf und schaue nach dir.«
»Nach der Rede vor der Basketballnationalmannschaft der Frauen.«
»Oh ja, das habe ich mir schon immer gewünscht«, scherzte er. »Jede Menge Frauen mit langen Beinen, die deutlich größer sind als ich.«
»Ich habe auch ein paar Termine.«
»Ich werde Cindy bitten, sie abzusagen. Du musst dich ausruhen.«
»Aber ...«
»Ruh dich aus. Bitte.«
Als Dan sich zum Gehen wandte, sagte Jane: »Danny, an einem gewissen Punkt werde ich dich brauchen. Wirst du dann für mich da sein?«
Er kniete sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter. »Ich werde immer für dich da sein, so wie du immer für mich da warst. Und jetzt ruh dich ein bisschen aus. Ich werde dir Kaffee und etwas zu essen bringen lassen. Es gefällt mir gar nicht, wie dünn du bist. Da muss Fleisch auf die Knochen.« Er küsste sie noch einmal und ging.
Ich war immer für dich da, Danny. Immer.