1.

Luftschlangen und Maschinengewehre. Funkelnde Löffel gruben sich in cremige Leckereien, während schwielige Finger sich um stählerne Abzugsbügel legten. Fröhliches Lachen, als Geschenke ausgepackt wurden, begleitet vom bedrohlichen Peitschen eines landenden Helikopters.

Die Anlage war vom Verteidigungsministerium offiziell der Marine-Nachschubbasis in Thurmont zugeteilt, doch die meisten Amerikaner kannten sie als Camp David. Aber egal, welchen Namen man benutzte, es war kein normaler Ort für einen Kindergeburtstag. Ursprünglich ein Erholungslager, das zur Zeit der Großen Depression erbaut worden war, diente die Anlage seit Jahrzehnten als Landsitz der US-Präsidenten. Franklin D. Roosevelt hatte ihn »ShangriLa« getauft, denn er hatte den Platz der Präsidentenjacht eingenommen. Seinen heutigen, weniger exotischen Namen hatte das Anwesen von Dwight D. Eisenhower bekommen, der ihm den Namen »Camp David« gegeben hatte, nach seinem Enkel. Das einhundertdreißig Morgen große, ländliche Areal bot Möglichkeiten für die verschiedensten Freizeitaktivitäten. Es gab Tennisplätze, Wanderwege und genau ein Übungsloch für präsidiale Golfer.

Die Geburtstagsparty fand im Bowling Center statt. Ein Dutzend Kinder waren eingeladen, begleitet von ihren Gouvernanten. Natürlich waren alle aufgeregt; schließlich befanden sie sich auf heiligem Boden, über den schon Kennedy und Reagan gewandelt waren.

Die Chefgouvernante und Organisatorin war Jane Cox - eine Rolle, an die gewöhnt war; schließlich war sie die First Lady der Vereinigten Staaten. Jane, das schulterlange braune Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, trug den Geburtstagskuchen höchstpersönlich nach draußen und gab obendrein die Vorsängerin beim »Happy Birthday« für ihre Nichte, Willa Dutton. Willa war ziemlich klein für ihr Alter und ungewöhnlich einnehmend, hatte man sie erst einmal kennengelernt. Jane würde es niemals zugeben, aber Willa war ihre Lieblingsnichte.

Die First Lady aß keinen Kuchen, denn sie musste auf ihre Figur achten. Seit ihrem Einzug ins Weiße Haus hatte sie ein paar Pfund zugelegt - wie bereits während des Höllenritts, den man Wahlkampf nannte, denn ihr Mann kandidierte für eine zweite Amtsperiode. Jane maß gut eins siebzig und war somit groß genug, dass sie Designermode tragen konnte und gut darin aussah. Ihr Mann wiederum war knapp unter eins achtzig, weshalb Jane auf allzu hohe Absätze verzichtete, damit der Präsident nicht kleiner aussah als sie. Der äußere Schein war sehr wichtig in der Politik.

Janes Gesicht war leidlich attraktiv - zumindest nach eigener Einschätzung, wann immer sie einen Blick in den Spiegel warf. Natürlich waren die Falten einer Frau zu sehen, die mehrere Geburten und Wahlkämpfe hinter sich hatte. So etwas hinterließ bei jeder Frau Spuren, und wenn man als First Lady eine Schwäche zeigte, und sei sie noch so klein, stürzte die Gegenseite sich unweigerlich darauf und schlachtete es aus. Doch der Großteil der Presse bezeichnete Jane immer noch als attraktiv. Einige schossen sogar übers Ziel hinaus und behaupteten, sie sähe aus wie ein Hollywoodstar. Früher hatte das vielleicht gestimmt, jetzt nicht mehr. Inzwischen war sie definitiv vom Vamp zur Charakterdarstellerin reiferen Alters geworden. Aber ein straffes Gesicht und ein knackiger Hintern standen ohnehin schon lange nicht mehr auf Janes Prioritätenliste.

Während der Party schaute sie immer wieder zum Fenster hinaus und blickte auf die finster dreinschauenden Marineinfanteristen, die draußen mit schussbereiten Waffen patrouillierten. Natürlich hatte der Secret Service das Präsidentenehepaar hierher begleitet, doch offiziell war Camp David noch immer eine Marinebasis. Deshalb bestand das gesamte Personal, vom Tischler bis zum Gärtner, aus Angehörigen der Seestreitkräfte, und für die Sicherheit sorgten größtenteils die Ledernacken, die hier stationiert waren. Camp David war besser bewacht als das Weiße Haus, auch wenn es nur wenige Leute gab, die das offiziell eingestehen würden.

Doch mit Sicherheitsfragen beschäftigte Jane sich nicht. Stattdessen schaute sie gutgelaunt zu, wie Willa das Dutzend Kerzen auf ihrer zweistöckigen Torte auspustete und anschließend half, die Kuchenstücke zu verteilen. Jane umarmte Willas Mutter, die große, schlanke, rot gelockte Pam Dutton.

»Willa sieht glücklich aus«, sagte Jane.

»Bei ihrer Tante Jane ist sie immer glücklich«, erwiderte Pam und tätschelte ihrer Schwägerin liebevoll den Rücken. »Ich kann dir gar nicht genug danken, dass du uns die Party hier feiern lässt, zumal Dan ... ich meine, der Präsident, ja nicht einmal hier ist.«

Da sie keine Blutsverwandte war, empfand Pam es noch immer als unangenehm, ihren Schwager beim Vornamen zu nennen, während die Geschwister des Präsidenten und auch Jane ihn häufig »Danny« nannten.

Jane lächelte. »Dem Gesetz nach haben Präsident und First Lady die gleichen Rechte, was Staatseigentum betrifft. Und für die Finanzen der Familie bin immer noch ich verantwortlich.« Sie lachte. »Danny kann nicht gut mit Zahlen umgehen.«

»Trotzdem, es war sehr aufmerksam von dir.« Pam schaute zu ihrer Tochter hinüber. »Nächstes Jahr ist sie ein Teenager. Meine Güte, meine Älteste ein Teenager! Kaum zu glauben.«

Pam hatte drei Kinder. Die zwölfjährige Willa, den zehnjährigen John und die siebenjährige Colleen. Jane hatte ebenfalls drei Kinder, doch sie waren älter. Ihr neunzehnjähriger Sohn besuchte bereits ein College, und ihre Tochter arbeitete als Krankenschwester in Atlanta. Der zweite Sohn, altersmäßig zwischen seinen Geschwistern, wusste noch nicht, was er mit seinem Leben anfangen sollte.

Die Cox hatten früh eine Familie gegründet. Jane war erst achtundvierzig, und ihr Mann hatte kürzlich seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert.

Jane sagte: »Jungen bringen einem das Herz durcheinander, Mädchen den Kopf.«

»Ich weiß nicht, ob mein Kopf für Willa bereit ist.«

»Du darfst die Verbindung nie abreißen lassen. Du musst immer wissen, wer ihre Freunde sind. Beobachte, was um sie herum vorgeht. Manchmal wird sie sich zurückziehen, aber das ist normal. Willa ist intelligent, und sie wird einmal sehr hübsch. Sie wird sich über dein Interesse freuen.«

»Das ist ein guter Rat, Jane. Schön, dass ich immer auf dich zählen kann.«

»Tut mir leid, dass Tuck es nicht geschafft hat.«

»Er sollte morgen wieder hier sein, aber du kennst ja deinen Bruder.«

Jane blickte Pam besorgt an. »Wird schon schiefgehen.«

Als Pam davonging, schaute Jane zu Willa hinüber. Das Mädchen verkörperte eine Mischung aus fraulicher Reife und kindlicher Naivität. Sie konnte besser schreiben als die meisten Erwachsenen und über Themen diskutieren, die Ältere in Erstaunen versetzten. Doch wer sie beobachtete, konnte sehen, wie kleinmädchenhaft sie kicherte, und dass sie das andere Geschlecht gerade erst entdeckte - mit einer Mischung aus Scheu und Interesse, wie bei vielen Mädchen ihres Alters.

Die Party neigte sich dem Ende zu, und die Gäste verabschiedeten sich. Jane Cox stieg in den Helikopter. Er war nicht als »Marine One« gekennzeichnet, denn der Präsident war nicht an Bord. An diesem Tag beförderte er nur die B-Mannschaft, was Jane ganz recht war. Privat waren sie und ihr Mann gleichgestellt, doch in der Öffentlichkeit ging sie stets die obligatorischen zwei Schritt hinter ihm.

Jane schnallte sich an, und ein uniformierter Marine warf die Tür zu. Vier Agenten des Secret Service begleiteten Jane. Der Helikopter hob ab. Nach wenigen Sekunden schaute Jane auf Camp David hinunter, den »Vogelkäfig«, wie der Codename des Secret Service lautete. Der Helikopter flog nach Süden. In dreißig Minuten würden sie auf dem Rasen vor dem Weißen Haus landen.

In der Hand hielt Jane ein Blatt Papier, das Willa ihr kurz vor dem Ende der Party in die Hand gedrückt hatte. Es war ein Dankbrief. Jane lächelte. Der Brief war in der Sprache eines reifen Menschen geschrieben und war beinahe ein Musterbeispiel für Etikette.

Jane faltete den Brief zusammen und steckte ihn weg. Der Rest des Tages und der Abend würden nicht so angenehm verlaufen. Die Pflicht rief. Jane hatte längst gelernt, dass das Leben der First Lady einer unablässig auf Hochtouren laufenden Maschine glich.

Der Helikopter setzte auf. Da der Präsident nicht an Bord war, gab es keinen Salut, als Jane zum Weißen Haus ging. Sie wusste, ihr Mann war im Büro neben dem Oval Office, das fast ausschließlich für zeremonielle Zwecke genutzt wurde. Doch Jane hatte mehrere Forderungen gestellt, als sie sich bereit erklärt hatte, ihren Mann beim Präsidentschaftswahlkampf zu unterstützen. Eine dieser Forderungen war gewesen, jederzeit ins Allerheiligste zu dürfen, ohne sich vorher anmelden zu müssen.

»Ich bin keine Besucherin«, hatte sie damals zu ihrem Mann gesagt. »Ich bin deine Frau.«

Jane trat auf den so genannten »Body Man« zu, offiziell der persönliche Assistent des Präsidenten, der vor dem Oval Office stand. Der Body Man sorgte dafür, dass der Präsident seinen Terminplan einhielt und mit höchstmöglicher Effektivität arbeiten konnte. Zu diesem Zweck stand er vor Sonnenaufgang auf und widmete jeden Augenblick seines Wachseins den Bedürfnissen des Präsidenten - lange, bevor der Präsident wusste, was für Bedürfnisse das eigentlich waren.

»Sorgen Sie dafür, dass der Präsident und ich ungestört sind, Jay«, sagte Jane zu ihm. »Ich gehe jetzt zu ihm rein.«

Sofort wich Jay zur Seite.

Jane verbrachte ein paar Minuten mit dem Präsidenten und erzählte ihm von der Geburtstagsparty. Dann ging sie in den Wohntrakt, um sich frisch zu machen und sich umzuziehen, denn später gab sie einen Empfang. Als der Tag endete, zog Jane sich in ihr »offizielles« Heim zurück, trat sich die Schuhe von den Füßen und gönnte sich einen Becher heißen Tee.

Zwanzig Meilen entfernt schrie Willa Dutton, das zwölfjährige Geburtstagskind, ihre Angst und ihr Entsetzen hinaus.