63.

Ich habe die Nummernschilder fotografiert, weil ich wusste, dass nebenan eine Party im Gange war.

Ich habe mir die Gästeliste besorgt und sie dann mit den Fahrzeughaltern verglichen.«

Frank Maxwell stellte seinen Kaffeebecher ab und lehnte sich zurück.

Es war am nächsten Morgen, und sie befanden sich in der Polizeizentrale. Donna Rothwell war wegen des Mordes an Sally Maxwell und des versuchten Mordes an Michelle verhaftet worden. Doch erst einmal hatte man sie ins Krankenhaus gebracht, wo die Wunde in ihrer Hand versorgt worden war. Doug Reagan lag ebenfalls im Krankenhaus. Sein Zustand war stabil. Das Loch in seiner Brust stammte von dem Schuss, der sich versehentlich aus Michelles Waffe gelöst hatte. Die Ärzte glaubten, dass er sich wieder erholen würde - und dann würde man ihn genauso anklagen wie Donna.

»Wie hast du die Fahrzeughalter herausgefunden?«, fragte Bobby.

»Ich habe einen Kumpel beim Straßenverkehrsamt.«

»Du hast Mom tot in der Garage gefunden und bist einfach rausgegangen, um Fotos zu machen?«, fragte Michelle ungläubig.

Frank richtete den Blick auf sein jüngstes Kind. »Sie war gerade ermordet worden. Kein Puls, keine Augenbewegungen. Ich konnte nichts mehr tun, um sie zurückzuholen. Der Körper war noch warm. Ich wusste also, dass der Mörder noch in der Gegend war. Ich war nicht in der Dusche. Ich war im Wohnzimmer. Ich habe ein Geräusch in der Garage gehört, und dann hat eine Tür geknallt.«

»Das hast du den Cops aber nicht gesagt«, bemerkte Bobby. »Himmel, Pop, das hast du mir nicht gesagt.«

»Ich hatte meine Gründe. Natürlich hätte ich die Cops anrufen und mich dann heulend neben ihre Leiche setzen können, aber ich weiß, wie kritisch die ersten Minuten nach einem Mord sind, und ich wollte keine Sekunde verschwenden. Ich bin zur Garagentür gerannt und habe sie aufgerissen. Ich habe niemanden gesehen oder gehört. Dann bin ich die Straße hinaufgelaufen, habe aber auch da nichts gesehen. Und ich habe auch keinen Wagen losfahren hören. Daraus habe ich geschlossen, dass der Täter entweder noch keine Gelegenheit gehabt hatte, wegzufahren, oder dass er zu Fuß war. Den Lärm der Party nebenan habe ich allerdings gehört. Ich habe kurz darüber nachgedacht, ob ich zu den Leuten gehen und erzählen sollte, was passiert war. Vielleicht war ja jemand dort, der nicht dorthin gehörte. Aber dann habe ich mich anders entschieden.

Ich wusste, dass ich nicht viel Zeit hatte. Ich bin ins Haus zurückgerannt, habe meine Kamera geholt und die Nummernschilder fotografiert. Danach bin ich dann wieder ins Haus gegangen und habe die Cops gerufen. Das alles hat vielleicht zwei Minuten gedauert. Dann bin ich noch mal raus, habe aber wieder niemanden gesehen. Schließlich bin ich zu Sally in die Garage gegangen.« Er verstummte und senkte den Kopf.

»Sind Sie sicher, dass Sie niemanden gesehen haben?«, fragte Sean, der Frank gegenübersaß.

»Ja, sicher. Sonst hätte ich etwas unternommen. Als mein Freund dann die Nummernschilder überprüft hat, stellte sich heraus, dass der Wagen, der ganz am Ende der Straße stand, Doug Reagan gehörte. Ich ging nicht davon aus, dass er zur Geburtstagsfeier eines Teenagers eingeladen war. Trotzdem habe ich es noch mal anhand der Gästeliste abgecheckt. Sein Wagen war der einzige, der dort nichts zu suchen hatte. Die anderen Autos gehörten Leuten, die auf der Party waren oder in der Straße wohnen.«

»Gute Detektivarbeit«, bemerkte Sean. »Aber warum haben Sie das nicht der Polizei erzählt?«

»Ja, Pop«, meldete Bobby sich wieder zu Wort. »Warum?«

Michelle starrte ihren Vater mit einer Mischung aus Wut und Mitgefühl an. Letzteres gewann schließlich die Oberhand. »Offensichtlich wollte er erst sichergehen, dass er auf der richtigen Fährte war«, sagte sie schließlich.

Frank schaute zu seiner Tochter. Michelle glaubte, einen Hauch Dankbarkeit in seinen Augen zu sehen.

»Du hast also geglaubt, Reagan habe etwas mit dem Mord zu tun. Aber was ist mit Rothwell?«, fragte sie.

Frank antwortete: »Ich habe sie nie gemocht. Warum, weiß ich auch nicht. Es war ein Bauchgefühl. Nachdem Sally ermordet worden war, habe ich mir das Pärchen mal genauer angesehen. Wie sich herausstellte, ist vor zwanzig Jahren ein Paar in Ohio angeklagt worden, das Rothwell und Reagan verdächtig ähnelte, allerdings unter anderen Namen. Sie hatten versucht, einen reichen alten Mann auszunehmen, der so naiv gewesen war, den beiden eine Generalvollmacht zu erteilen. Als die Kinder misstrauisch wurden, hat man den alten Herrn tot in seiner Badewanne gefunden. Das Paar ist aus der Stadt verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Vermutlich haben sie diese Tour auch anderswo versucht. Solche Leute verdienen sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt. Die Katze lässt das Mausen nicht.«

»Dann war ihre Geschichte, ihr Mann sei ein ehemaliger Vorstandschef gewesen und sie lebe von dessen Rente, erstunken und erlogen«, sagte Michelle.

»Es ist leicht, sich eine Vergangenheit zurechtzustricken, besonders heutzutage«, sagte Sean. »Sie kommt als reiche Witwe her, die bis jetzt durch die Welt gejettet ist. Wer kann ihr das Gegenteil beweisen?«

»Dann hat ihr ›neuer‹ Freund Doug Reagan also schon seit Jahrzehnten mit ihr zusammengearbeitet und alte, reiche Leute ausgenommen«, sagte Bobby.

»Ich glaube ja«, erwiderte sein Vater. »Nur hatte ich keinen Beweis.«

»Aber warum haben die beiden sich Mom als Ziel ausgesucht?«, fragte Michelle. »Es ist ja nicht so, als würdet ihr im Geld schwimmen.«

Frank Maxwell schaute verlegen drein, senkte den Blick und umklammerte den Kaffeebecher. »Ich glaube nicht, dass sie sich uns als Ziel ausgesucht haben. Ich glaube, deine Mutter hat ... Sie hat Doug Reagans Gesellschaft genossen.« Er hielt kurz inne. »Und er ihre.« Er räusperte sich verlegen. »Sally stand schon immer auf so was. Der Bursche sah gut aus, hatte Geld und war charmant. Und ich war nur ein Cop. Da konnte ich nicht mithalten. Himmel, ich kann sogar verstehen, dass sie fasziniert von dem Burschen war.« Er zuckte mit den Schultern.

»Und Rothwell hat das herausgefunden?«, fragte Sean.

»Jemandem wie Donna Rothwell kommt man besser nicht in die Quere«, sagte Frank gereizt. »Ich habe sie zwar nicht gut gekannt, aber ich kenne ihre Art. Ich bemerke Dinge, die andere Leute übersehen. Das ist der Blick eines Cops. Ich habe gesehen, wie sie dreingeschaut hat, wenn sie mal nicht im Mittelpunkt stand, oder wenn ihr Loverboy anderen Frauen mehr Aufmerksamkeit schenkte als ihr. Sie war besitzergreifend und egoistisch. Selbst auf dem Golfplatz war sie geradezu fanatisch. Wenn sie mal verlor, war sie außer sich vor Wut.«

Michelle sagte: »Deshalb hat sie sich wahrscheinlich auch die Lüge ausgedacht von wegen, sie lasse Reagan bei dem Turnier mit Mom spielen. Sie wollte nicht zugeben, dass er es ohne ihre Erlaubnis tat.«

»Deshalb hat sie auch so hartnäckig erklärt, dass deine Mutter keine Affäre hatte«, fügte Sean hinzu.

Michelle fuhr fort: »Also hat sie geplant, Mom umzubringen, weil die mit Reagan herumgemacht hat. Als sie sich mit ihr zum Dinner verabredete, hat sie offenbar von der Party nebenan und dem Lärm gewusst. Sie ist in die Garage geschlichen und hat gewartet, bis Mom rausgekommen ist, und dann ...« Michelle stockte und räusperte sich. »Womit hat sie Mom eigentlich umgebracht?«, fragte sie Bobby, dem Tränen in die Augen gestiegen waren.

Er atmete tief durch. »Mit einem Golfschläger. Einem Putter, den man zum Einlochen benutzt. Das erklärt auch die seltsame Form der Wunde. Die Polizei hat den Schläger im Kofferraum ihres Wagens gefunden. Es war sogar noch Blut daran. Vergangene Nacht ist sie auch auf dich mit einem Schläger losgegangen. Nur dass es diesmal ein Driver war, wie man ihn zum Abschlagen benutzt.«

Michelle rieb sich über Arm und Bein, wo sich inzwischen große blaue Flecken gebildet hatten. »Die Frau ist eine Naturbegabung am Abschlag«, sagte sie mit bitterer Ironie. »Aber warum war sie hinter mir her?«

Ihr Vater beantwortete diese Frage. »Reagan war gestern Abend im Country Club. Ich weiß es, weil ich auch da war. Ich habe ihn verfolgt. Ich habe dich an der Vitrine gesehen. Er hat gehört, wie du mit dem Mann gesprochen hast, und hat dann vermutlich eins und eins zusammengezählt. Ist dir an dem Foto in der Vitrine etwas aufgefallen?«

»Donna ist Linkshänderin.«

»Ja. Reagan hat sich dann davongeschlichen und einen Anruf getätigt, vermutlich bei Rothwell. Und dann ist er abgehauen.«

»Zu deinem Haus?«

»Da war ich mir nicht sicher«, antwortete ihr Vater, »denn von da an bin ich nicht mehr ihm gefolgt, sondern dir. Wie sich herausstellte, hatten sie dir einen Hinterhalt gelegt.«

»Warum?«

»Weil du der Wahrheit immer näher gekommen bist.«

»Nein, ich meine, warum bist du plötzlich mir gefolgt?«

»Weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Weil ich nie zugelassen hätte, dass dieser Abschaum dir etwas antut. Aber das ist mir offenbar nicht ganz gelungen.«

Michelle legte ihm die Hand auf den Arm. »Dad, du hast mir das Leben gerettet. Wärst du nicht gewesen, läge ich jetzt in der Leichenhalle.«

Diese Worte hatten eine bemerkenswerte Wirkung auf ihren Vater. Frank Maxwell schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus. Seine Kinder standen auf, knieten sich neben ihn und nahmen ihn in den Arm.

Sean erhob sich ebenfalls, gesellte sich aber nicht zu ihnen. Er verließ das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.