60.

Mit Daryls Hilfe verlegte Quarry die Kabel an strategischen Punkten in den Minenschächten bis hin zum Eingang.

Während sie arbeiteten, bemerkte Daryl: »Du siehst ziemlich glücklich aus.«

»Tippi ist wieder zu Hause. Wie könnte ich da nicht glücklich sein?«

»Sie ist nicht wirklich zu Hause, Daddy. Sie ist ...«

Daryl brachte den Satz nicht zu Ende, denn sein Vater drückte ihm den Unterarm auf den Hals.

Daryl spürte den heißen, stechenden Atem seines alten Herrn. »Warum gewöhnst du dir nicht endlich mal an, gut nachzudenken, bevor du den Mund aufmachst«, knurrte Quarry. »Ansonsten halt einfach dein verdammtes Maul!«

Quarry stieß seinen Sohn weg. Daryl prallte vom harten Felsen ab. Doch anstatt sich eingeschüchtert zusammenzukauern, stürzte er sich auf seinen Vater und stieß ihn gegen die Wand. Quarry drückte den Arm unter den dicken Hals seines Sohnes und zwang ihn zurück. Die beiden kämpften auf dem unebenen Untergrund; der heiße Atem schoss aus ihren Mündern, während sich unter ihren Achseln trotz der Kälte Schweiß bildete.

Daryl stolperte zurück, erlangte das Gleichgewicht jedoch rasch wieder, stürmte vor, schlang die Arme um die Hüfte seines Vater, hob ihn hoch und schleuderte ihn erneut gegen den Fels. Die Wucht des Aufpralls trieb Quarry die Luft aus der Lunge, und seine Vorderzähne bohrten sich in die Unterlippe. Doch als Daryl ihn wieder losließ, fand er die Kraft für einen kräftigen Schwinger in das Gesicht seines Sohnes, hinter den er sein ganzes Gewicht legte. Daryl fiel nach hinten und landete auf dem Hintern. Blut floss ihm aus dem Mund.

Quarry wäre vom eigenen Schwung fast ebenfalls zu Boden gestürzt. Er kauerte sich hin, hustete und spie Blut. »Du könntest mir noch nicht einmal in den Arsch treten, wenn ich im Rollstuhl sitze und Suppe durch einen Strohhalm schlürfe!«, brüllte er.

Daryl schaute zu der Dynamitstange mit dem langen Kabel auf dem Boden des Schachts. »Willst du mich auch in die Luft jagen, alter Mann?«

»Wenn ich muss, jage ich uns alle in die Luft, verdammt noch mal!«

»Wenn du glaubst, ich werde den Rest meines Lebens nur das tun, was du willst, hast du dich getäuscht.«

»Wenn ich nicht wäre, hättest du gar kein Leben. Als die Army gekommen ist, um dich zu holen, wer hat dich da gerettet? Ich! Und dann hast du die Scheiße mit dieser Frau gebaut, und anschließend hast du noch einmal versagt. Ich hätte dich schon beim ersten Mal erschießen sollen.«

»Und warum hast du es nicht getan, alter Mann? Warum nicht?«, schrie Daryl und ballte die Fäuste. Tränen rannen ihm über die Wangen und mischten sich mit seinem Blut.

»Ich habe Kurt getötet.«

»Dazu hattest du kein Recht! Ich war derjenige, der die Frau getötet hat, nicht Kurt.«

»Ja, ich hätte stattdessen dich erschießen sollen«, sagte Quarry erneut und spie Stücke seiner aufgeschlagenen Lippe aus.

»Und warum hast du es nicht getan, Daddy? Warum hast du mich nicht umgebracht?«

Quarry schaute ihn nicht an. Er stützte sich an der Wand ab und atmete schwer.

»Weil ich dich brauche, deshalb«, antwortete er in ruhigerem Ton. Er beugte sich vor und bot Daryl die Hand an, um ihm aufzuhelfen. Sein Sohn nahm sie nicht.

»Ich brauche dich, Daryl. Ich brauche dich, Junge.« Quarry blieb gebückt und wandte sich zum Gehen. Dann drehte er sich zu seinem Sohn um und stellte ihn sich als den kleinen Jungen mit großen blauen Augen und schiefem Grinsen vor, der er einst gewesen war. Sag mir, was ich tun soll, Daddy.

Doch als sein Blick sich wieder klärte, sah Quarry nur einen gedrungenen, wütenden Mann, der sich langsam aufrappelte.

»Ich brauche dich, Junge«, sagte Quarry erneut und streckte noch einmal die Hand aus. »Bitte.«

Daryl drängte sich an ihm vorbei. »Bringen wir es einfach hinter uns«, sagte er und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. »Je schneller, desto besser. Dann bin ich weg von hier.«

***

Quarry schloss die Tür auf und betrat das Zimmer. Das Licht der Laterne auf dem Tisch war heruntergedreht, sodass er sie nicht sehen konnte, aber er fühlte ihre Gegenwart.

»Ich wollte sie nicht abgeben«, sagte Diane Wohl, als sie aus dem Schatten trat.

Auch Quarry trat ins Licht.

»Sie bluten ja«, bemerkte Diane.

»Ach, das ist nichts«, sagte Quarry, setzte sich an den Tisch und strich sich mit der Hand über das verschwitzte Haar. Sein Atem ging noch immer schwer vom Kampf mit seinem Sohn.

Scheißraucherei.

Diane setzte sich ihm gegenüber. »Ich wollte sie nicht abgeben.«

Quarry atmete tief durch, lehnte sich zurück und musterte Diane aufmerksam.

»Okay.«

»Sie jagen mir eine Heidenangst ein, egal was Sie tun.«

»Sie machen mir auch Angst«, entgegnete Quarry.

Diane blickte ihn erstaunt an. »Wie soll ich Ihnen denn Angst machen?«

»Man kann auf verschiedene Arten Angst haben«, sagte Quarry. »Körperlich, im Kopf, beides ...«

»Und wie mache ich Ihnen Angst?«

Quarry faltete die Hände und beugte sich vor. Sein großer Kopf hing über der Tischmitte, und Blut tropfte von der Lippe auf das Holz. »Sie machen mir Angst, dass diese alte Welt nie wieder gut sein wird. Für keinen von uns.«

Diane lehnte sich zurück. Die Worte hatten sie getroffen. »Ich bin ein guter Mensch! Ich habe nie jemandem ein Leid angetan.«

»Sie haben diesem Mädchen wehgetan, auch wenn sie das nicht weiß.«

»Ich habe sie abgegeben, damit sie ein besseres Leben führen kann.«

»Das ist doch Schwachsinn! Sie haben sie abgegeben, damit Sie sich nicht um sie kümmern mussten.«

Diane schlug Quarry mitten ins Gesicht, sprang dann entsetzt und voller Angst zurück und starrte auf ihre Hand, als gehöre sie jemand anderem.

»Wenigstens haben Sie noch Kampfgeist«, bemerkte Quarry, den die Ohrfeige nicht sonderlich beeindruckt hatte.

»Ich habe also Ihre Welt zerstört?«

»Nein, das haben Sie anderen Leuten überlassen. Menschen wie Sie lassen Arschlöcher einfach über sich hinwegtrampeln, obwohl Sie ganz genau wissen, was diese Leute sind. Das macht sie genauso schlimm und böse wie die. Menschen wie Sie stehen für gar nichts ein, auch nicht, wenn sie für das Richtige kämpfen müssten. Sie kriechen nur im Dreck herum und schlucken die Scheiße, die Sie vorgesetzt bekommen. Sie tun es sogar mit einem Lächeln und betteln um mehr!«

Eine Träne aus Dianes rechtem Auge tropfte auf den Tisch und vermischte sich mit Quarrys Blut. »Sie kennen mich doch gar nicht«, sagte sie.

»Oh doch, ich kenne Sie. Ich kenne Sie, und ich kenne Menschen wie Sie.«

Diane wischte sich über die Augen. »Und was wollen Sie jetzt tun? Mich töten?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was ich mit Ihnen tun soll.« Quarry stand langsam auf. Dort, wo er gegen den Felsen geprallt war, tat ihm der Rücken weh. »Möchten Sie Willa wiedersehen? Das wird vielleicht das letzte Mal sein. Allmählich nähern wir uns dem Ende.«

Diane standen die Tränen in den Augen. »Nein, ich kann nicht.« Sie wiegte den Kopf hin und her, und ihre Hände zitterten.

»Kriechen Sie schon wieder im Dreck, Lady? Wollen Sie sich verstecken? Sie haben gesagt, Sie hätten Angst vor mir, aber dann haben Sie mich geschlagen. Sie haben endlich mal Rückgrat gezeigt. Sie können sich also wehren. All die Menschen, die alles zu haben scheinen, die Reichen und die Mächtigen ... In Wahrheit haben sie einen Scheißdreck. Sobald Sie sich gegen sie wehren, laufen sie einfach weg, denn sie sind weder stark noch hart. Ihr Hochmut gründet sich auf nichts.« Quarry schlug so fest mit der Faust auf den Tisch, dass die Laterne umfiel und das Licht verlosch. »Und?«, sagte er in der plötzlichen Dunkelheit. »Ich habe Sie gefragt, ob Sie Ihre Tochter wiedersehen wollen. Was ist jetzt?«

»Ja.«