28.
Sean nippte an seinem Kaffee und beobachtete den Eingang des Apartmenthauses durch die Linse seiner Kamera. Es war ziemlich warm in Jacksonville, sodass Sean sein Jackett ausgezogen, auf den Beifahrersitz seines Mietwagens geworfen und die Klimaanlage hochgedreht hatte. Von hier aus war der Parkplatz des Apartmenthauses trotz des Zaunes davor gut einzusehen.
Eine Minute später setzte Sean sich auf und legte den Gang ein. Sein Ziel war soeben aus der Glastür des Gebäudes gekommen und hatte sich einen Moment Zeit genommen, sich die Designersonnenbrille zurechtzurücken. Sean fiel sofort auf, wie aufreizend Cassandra Mallory gekleidet war. Sie trug einen Minirock, High Heels und ein Tanktop mit einem derart tiefen Ausschnitt, dass kaum noch Raum für Fantasie blieb.
Cassandra drückte auf ihren Autoschlüssel; das typische Piepen ertönte, und sie stieg in ihren Wagen. Als sie sich in ihr Mercedes-Cabrio setzte, genügte ein leichter Windstoß, um zu zeigen, dass sie unter dem Minirock nur einen weißen Stringtanga trug. Sie drückte einen Knopf auf dem Armaturenbrett, und das Metalldach wurde automatisch zurückgefahren.
Dann jagte sie mit wehender Mähne los und gab dabei ein Bild ab, das die deutschen Hersteller ihres Wagens in jedem Werbespot hätten zeigen können. Sean fuhr ihr hinterher.
Cassandra hielt zuerst an einer Wäscherei, dann an einer Apotheke. Vielleicht hat sie sich die Pille geholt, überlegte Sean, während er sie von der anderen Straßenseite aus beobachtete.
Dabei konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen, denn die Frau wusste ihre Reize wahrlich einzusetzen. Wo immer Cassandra hinging - und sie konnte gehen -, gafften die Männer. Wenn sie in einen oder aus einem Wagen stieg, geschah es wie in Zeitlupe, und all die Dinge, die Männer des Nachts zum Schwitzen bringen, waren einen schier unendlich langen Augenblick zu sehen. Wenn sie langsamer ging, schienen auch sämtliche Männer langsamer zu werden. Und dann war einen Moment lang alles wie erstarrt, bis die gebräunten Beine, der perfekte Po und der verführerische Ausschnitt davonrasten, fortgerissen von brutaler Mercedes-Kraft.
Ihr nächstes Ziel, eine exklusive Wohngegend, war schon vielversprechender. Sean beobachtete, wie sie in die Einfahrt eines prachtvollen, stuckverzierten roten Hauses mit Palmen vor der Tür fuhr. Mit Hilfe des Zoomobjektivs seiner Kamera konnte Sean erkennen, wer Cassandra die Tür öffnete. Der Mann war groß und elegant, mit dichtem, leicht ergrautem Haar. Er trug eine Leinenhose, ein Polohemd und einen blauen Blazer.
Sean machte mehrere Fotos der beiden; dann verschwanden sie im Haus.
Sean bemerkte den Postwagen, der von Haus zu Haus die Straße hinunterfuhr. Nachdem der Bote die Post ausgeliefert hatte, wartete Sean, bis der Wagen um die Ecke verschwunden war. Dann fuhr er zum Briefkasten, öffnete die Klappe und schaute sich die Post an.
Greg Dawson, las er auf einem Umschlag. Er ging den Stapel weiter durch. Ein Brief erregte seine Aufmerksamkeit. Es handelte sich um ein Werbeschreiben, das offenbar an alle gerichtet war, die in einem bestimmten Geschäftsbereich arbeiteten. Greg Dawson, Vice President, Science Matters, Ltd.
Das wurde ja immer interessanter.
Sean steckte die Post zurück in den Briefkasten, fuhr bis zum Ende der Straße und schaute sich dort erst einmal um. Ein von Bäumen bestandenes Grundstück zwei Hausnummern von Dawson entfernt schien die Gelegenheit zu sein. Sean stieg aus, ging mit der Kamera in der Hand über das Grundstück, sprang über eine kleine Mauer, huschte über den Hinterhof von Dawsons Nachbar und spähte über die Stuckmauer, die beide Grundstücke voneinander trennte. Als er niemanden sah, kletterte er auch über diese Mauer und duckte sich auf der anderen Seite hinter Sträucher.
Der Garten war üppig und professionell gestaltet. Sean schaute auf den großen Pool, den Wasserfall und das Poolhaus, das aus dem gleichen Material erbaut war wie das Haupthaus. Dawson hatte eindeutig Geld. Neben dem Pool stand ein Tisch. Ein Pitcher mit Limonade und zwei Teller waren dort angerichtet. Sean stellte seine Kamera ein und wartete. Eine Latina in der Uniform eines Zimmermädchens kam mit einem Tablett Essen heraus, richtete es an und verschwand wieder im Haus.
Dawson und Cassandra kamen ein paar Minuten später. Dawson zog den Stuhl für Cassandra zurück, und sie setzten sich zum Essen. Cassandra lächelte, als sie den Blick über die luxuriöse Umgebung schweifen ließ. Sean konnte sich leicht vorstellen, was die Frau gerade dachte. Sie könnte sich ziemlich schnell an diesen Luxus gewöhnen.
Als Dawson einen Umschlag aus der Jackentasche zog und ihn zu Cassandra schob, gelang es Sean, auch das zu fotografieren. Dawson sagte irgendetwas, doch Sean konnte es über das Rauschen des Wasserfalls hinweg nicht hören. Cassandra öffnete den Umschlag, und Sean sah Bargeld. Auch davon machte er ein Foto.
Kurz darauf trat Cassandra ihre Stilettos von den Füßen, streckte ein langes Bein aus und legte ihren Fuß auf den Schritt ihres Tischnachbarn. Subtil war die Frau nicht gerade. Allerdings funkelte der Mann sie an und sagte etwas. Sean konnte auch diesmal nichts hören, aber Cassandra schien vor den Kopf gestoßen zu sein und zog sich rasch wieder die Schuhe an.
Sean kannte Dawson nicht, nickte aber anerkennend, dass er Cassandra, der Königin der Schlampen, hatte widerstehen können.
Nach dem Essen fuhr Cassandra nach Hause. Als sie dort ankam, beendete Sean die Beschattung und rief David Hilal an. Ohne ihm zu sagen, was er gerade erfahren hatte, erkundigte er sich nach der Firma Science Matters, Ltd.
»Das ist einer unserer Mitbewerber.«
»Kennen Sie einen Greg Dawson?«
»Er ist für das Gebot der Firma verantwortlich. Ein eiskalter Typ, der über Leichen geht. Warum?«
»Ich überprüfe gerade eine Theorie. Sie betrachten Cassandras Verbindungen zum Heimatschutzministerium als Vorteil für Sie, nicht wahr?«
»Nun, wir sind der Meinung, unser Angebot und unsere Technologie sind Dawsons Team ohnehin überlegen, aber Cassandra auf unserer Seite zu haben, hilft schon. Wenn es unentschieden steht, wird der Auftrag auf diese Art wohl an uns gehen.«
»Haben dann nicht viele Leute versucht, Cassandra zu bekommen? Science Matters zum Beispiel? Und die sind doch größer als Sie, stimmt's?«
»Sicher. Und ich weiß, dass sie Cassandra vermutlich sehr viel geboten haben - mehr als wir. Aber Tuck konnte sie überzeugen, für uns zu arbeiten.«
Sean nickte nachdenklich. »Und wissen Sie, wie ihm das gelungen ist?«
»Ich habe da eine Idee.«
»Lassen Sie hören.«
»Er könnte ihr einen Anteil an der Firma versprochen haben. Ich weiß, dass sie ein Gehalt bekommt, denn ich bezahle die Rechnungen. Aber vielleicht haben die beiden eine Anteilsübertragung unter sich ausgemacht.«
»Obwohl auch Sie ein Partner sind?«
»Wie ich bereits sagte, ich bin der Juniorpartner. Was in etwa heißt, ich muss meinen Brei auslöffeln und höflich um Nachschlag bitten.«
»Aber wenn Tuck und Cassandra eine Affäre haben, und es kommt heraus ...«
»Das wäre gar nicht gut für uns.«
»Könnte Cassandra sich aus irgendeinem Grund wünschen, dass die Affäre ans Licht kommt?«, fragte Sean.
»Ich wüsste nicht, warum. Wenn sie Anteile an der Firma hat, würde das auch ihr schaden.«
»Nicht, wenn sie einen viel lukrativeren Plan B hat, Dave.«