14.
Später an diesem Abend fuhren sie nicht weit am Haus der Duttons vorbei, bogen aber nicht in die Straße ein, denn die war von der Polizei gesperrt. Vor den Absperrungen standen Streifenwagen und Einsatzwagen des FBI, und auch dahinter wimmelte es von Fahrzeugen.
Jenseits der Sperrzone konnten Sean und Michelle geschäftige Journalisten mit dicken Mikrofonen herumlaufen sehen, dicht gefolgt von ihren beflissenen Kameramännern. An der ganzen Straße parkten Übertragungswagen, und Gaffer versuchten einen Blick auf das zu erhaschen, was vor sich ging. Das machte sie zu idealem Futter für die Reporter, die ohnehin nichts Besseres zu tun hatten, als dumme Kommentare von Passanten zu senden, wenn die Behörden schon nicht reden wollten.
»So viel zum Thema ›unauffälliges Erschleichen von Beweismaterial‹«, bemerkte Michelle.
Sean hörte gar nicht zu. Er starrte auf das Blatt Papier, auf dem die Zeichen standen, die die Täter Pam auf die Arme geschrieben hatten. Er versuchte, die Zeichen so anzuordnen, dass es einen Sinn ergab.
»Chaffakan. Hatka und Tayyi?«
»Chaffakan? Wie in Chaka Khan? Vielleicht sind die Typen Fans von Popsängern.«
»Würdest du bitte ernst bleiben?«
»Okay. Tayyi klingt Japanisch oder Chinesisch. Entweder eine Kampfkunst- oder eine Entspannungstechnik.«
»Was ist mit einem Code?«
»Wenn das ein Code ist, fehlt uns der Schlüssel.«
Sean holte sein Handy aus der Tasche und tippte auf dem Bildschirm.
»Was tust du da?«
»Was heutzutage jeder tut: Ich google.«
Er wartete auf die Suchergebnisse und scrollte dann die Liste herunter. Allzu hoffnungsvoll schaute er dabei nicht drein.
»Hatka ist entweder eine Schauspielerin oder ein Entertainment-Unternehmen. Und Tayyi hat irgendwas mit Arabern im sechsten Jahrhundert zu tun. Offensichtlich waren es irgendwelche Stammesgruppen.«
»Könnte es mit Terroristen zu tun haben?«
»Glaube ich nicht. Ich versuche es mal mit anderen Buchstabenkombinationen.« Wieder tippte er, und neue Suchergebnisse erschienen. Eines erregte seine Aufmerksamkeit.
»Yi.«
»Was ist damit?«
»Ich habe Yi statt Tayyi eingegeben, und das ist dabei herausgekommen.« Sean las vom Bildschirm ab. »Die Ursprünge der Yi-Schrift sind unbekannt, doch sie wurde stark durch die chinesische Schrift beeinflusst. Jedes Zeichen steht dabei für eine Silbe. Die Yi-Schrift wurde vornehmlich für religiöse Schriften und Geheimbotschaften verwendet. Die ihr zugrunde liegende Sprache wird von Millionen Menschen in den chinesischen Provinzen Yunnan und Sichuan gesprochen.«
»Dann ist also ein chinesischer Geheimbund mit religiösen Wurzeln und einer seltsamen Sprache für das alles verantwortlich?« Michelle war skeptisch. »Aber die Buchstaben stammen aus dem lateinischen Alphabet, nicht aus dem Chinesischen.«
»Ich versuche ja auch nur, einen Anhaltspunkt zu finden.« Sean wählte eine Nummer und hob die Hand, als Michelle etwas sagen wollte.
»Hallo, Phil. Ich bin's, Sean King ... Ja, ist lange her. Hör mal, ich bin wieder in D. C., und ich hab da mal eine sprachwissenschaftliche Frage. Nein, ich will keine Fremdsprache lernen, ich will nur wissen, ob es eine Sprache ist oder nicht ... Ja, ich weiß, viel Sinn ergibt das nicht. Kennst du zufällig jemanden, der eine Sprache mit Namen Yi kennt? Aus China?«
Michelle trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad, während Sean sprach.
»Ja, ich weiß, dass es keine der Hauptsprachen des Landes ist, aber könntest du mal nachhören, ob jemand in deinem Institut sie kennt? Danke. Ich schulde dir was.« Sean gab Phil seine Nummer und legte auf.
Als Michelle ihn fragend anschaute, sagte er: »Das war ein Kumpel von mir, ein Sprachwissenschaftler in Georgetown. Er ruft zurück.«
»Jippie.«
Sean blickte sie verärgert an. »Hast du vielleicht eine bessere Idee?«
Michelle wollte gerade etwas erwidern, als das Handy klingelte. »Ja?« Sean setzte sich auf und schaute aus dem Fenster. »Jetzt? Okay.«
Er legte auf und blickte verwirrt drein.
»Wer war das?«
»FBI Agent Waters. Er hat uns offiziell eingeladen, bei den Ermittlungen mitzuarbeiten.«
Michelle legte den Gang ein. »Wow! Jane Cox legt sich wirklich ins Zeug.«