Es stinkt – es stinkt atemraubend auf allen Gängen, Treppen, in allen Schlafsälen, in jeder Zelle, in den Arbeitsräumen und Werkstätten des Zuchthauses Meienburg, Die Abortkübel, die Desinfektionsmittel, das alte Werg, das gezupft werden muß, der Geruch angegangenen Dörrgemüses, Klippfisch und alte Socken, Kokosfasern und Bohnerwachs – eine dicke, heiße, verbrauchte, stinkende Luft. Auch über das Zuchthaus Meienburg ist gestern das Gewitter hingegangen, aber die feuchte, kühle Regenluft hat nicht einzudringen vermocht in den Riesenbau, das weiße Schloß über der Stadt aus Zement, Stahl und Glas.
»Pfui Teufel! Stinkt das einmal wieder!« sagen die Beamten vom Morgendienst, die um drei Viertel sechs kommen.
»Mensch, wie stinkt das bloß bei Ihnen!« sagt auch der Stationswachtmeister, der seinen Kalfaktor Hans Liebschner mit einem kräftigen Rippenstoß weckt. »Hoch, Mann, in zehn Minuten wird gekübelt. O Gott, und es stinkt schon jetzt so, daß mir mein ganzer Morgenkaffee hochkommt!«
»Ich riech nichts, Herr Hauptwachtmeister«, beteuert Liebschner und fährt in die Hosen.
»Zehnmal habe ich dir schon gesagt, daß ich Oberwachtmeister bin, nicht Hauptwachtmeister«, brummelt der Alte. »Auf die süße Tour erreichen Sie bei mir doch nichts, Liebschner …«
»Und ich möchte doch so gerne bei Ihnen was erreichen, Herr Hauptwachtmeister«, schmeichelt Liebschner mit grinsendem, übertriebenem Augenverdrehen.
»Und was möchtste denn erreichen, mein Sohn?« Der Beamte lehnt an der Tür, wippt mit den Schultern die schwere Stahlplatte hin und zurück und sieht nicht ohne Wohlwollen auf seinen Kalfaktor. »Du bist ein richtiger Galgenvogel!«
»Ich möchte so gerne auf Außenarbeit, auf Erntekommando«, bettelt Liebschner. »Wenn Sie mich dafür eingeben würden, Herr Hauptwachtmeister?«
»Warum denn, Mensch? Du stehst doch hier nichts aus als Kalfaktor!!«
»Aber ich vertrag die Luft nicht!« klagt der Gefangene mit erbärmlicher Stimme. »Mir ist so benommen im Kopf, ich kann überhaupt nichts mehr essen, und dann wird mir immer so übel von dem Gestank …«
»Und eben noch hast du nichts gerochen! Nee, mein Sohn, ich will dir sagen, was dir ist. Nach Türmen ist dir – stiften möchtest du gehen – zu den kleinen Mädchen, was?! – Daraus wird nichts! Hier bleibst du!« – Ganz dienstlich: »Außerdem ist es unzulässig, daß ein Zuchthausgefangener vor Verbüßung von mindestens der Hälfte seiner Strafe auf Außenarbeit kommt.«
Der Gefangene knotet stumm, mit gesenktem Kopf, an seinen Schuhen. Der Oberwachtmeister wippt weiter mit seiner Stahltür und betrachtet dabei den gesenkten, geschorenen Schädel.
»Herr Oberwachtmeister …«, sagt der Gefangene Liebschner und sieht entschlossen auf.
»Nu –?«
»Ich verpfeif keinen gerne, aber was muß, muß. Ich halt’s nicht mehr aus in der Zelle, ich werd verrückt …«
»So leicht wird man nicht verrückt, mein Sohn!«
»Aber ich weiß einen, der ’ne Stahlsäge hat, und Sie schwören mir, daß ich auf Außenarbeit komme, wenn ich Ihnen dem seinen Namen sage …«
»Hier hat doch keiner ’ne Stahlsäge!«
»Doch – grade auf Ihrer Station!«
»Unsinn – außerdem schick ich nicht auf Außenkommando, das macht der Arbeitsinspektor.«
»Aber wenn Sie ’n gutes Wort für mich einlegen, komm ich raus.«
Lange Pause.
»Wer hat die Säge –?«
»Komm ich auf Außenkommando –?«
»Meinethalben – wer hat die Säge?«
»Leise, Herr Oberwachtmeister, bitte, leise! Ich sage es Ihnen ins Ohr. Verpfeifen Sie mich bloß nicht – die schlagen mich glatt tot, wenn ich auf den Arbeitssaal komme.«
Leise flüstert der Gefangene am Ohr des Wachtmeisters. Der nickt, fragt flüsternd, horcht, nickt wieder. Unten schlägt die Glocke an, von Station zu Station schallt der Ruf: »Kübeln! Kübeln!«
Der Wachtmeister richtet sich auf. »Also schön, Liebschner, wenn es stimmt, kommen Sie auf Kommando. – So eine verfluchte Schweinerei – da wäre ich schön reingerasselt! – Also los, Mensch, dalli, kübeln! Bißchen fix, daß wir rasch mit dem Gestank durch sind!«