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An seinen freien Tagen, auf seinen Spaziergängen geht Herr von Studmann gerne auf den Friedhof eines Nachbardorfes. Er setzt sich da auf eine Bank, direkt vor ihm ist ein altes Grab. Als er es entdeckte, war es ganz von Efeu überwuchert, den Stein hat Herr von Studmann erst wieder frei gemacht.

Auf dem Stein ist zu lesen, daß Helene Siebenrot, ihres Alters sechzehn Jahre, beim Retten eines ertrinkenden Kindes selbst ertrank. Zum Schluß heißt es einfach: »Sie war des Schwimmens unkundig.«

Herr von Studmann sitzt gerne hier. Es ist still, in der Sommerzeit hat kein Mensch Zeit, auf den Kirchhof zu kommen, niemand stört ihn. Die Vögel singen, jenseits der Feldsteinmauer, auf der Dorfstraße, knarren die Erntefuder. Studmann sieht den Stein an, er denkt an das junge Mädchen. Helene Siebenrot hat sie geheißen, sechzehn Jahre – sie war des Schwimmens unkundig. Sie war hilfsbereit, aber sie brauchte selber Hilfe. Er war hilfsbereit – doch auch er war des Schwimmens unkundig.

Der Geheimrat Schröck ist sehr zufrieden mit ihm, die Kranken mögen ihn gerne, das Personal hat nichts an ihm auszusetzen – Herr von Studmann kann lange bleiben in diesem Sanatorium, er kann hier alt werden, er kann sterben in dem Sanatorium.

Der Gedanke hat nichts Abschreckendes für ihn. Es gefällt ihm, so wie er lebt, er möchte nicht wieder draußen sein in der Welt der Gesunden – er ist des Schwimmens unkundig. Er hat entdeckt, daß ihm etwas fehlt, was die andern haben: Er kann sich dem Leben nicht anpassen. Er trägt einen Maßstab in sich, er wollte, daß das Leben sich diesem Maßstab fügte. Das Leben tat es nicht, Herr von Studmann scheiterte. In großen und in kleinen Dingen. Er konnte keine Konzessionen machen.

»Ach was!« konnte der alte Geheime Sanitätsrat rufen. »Sie sind einfach eine alte Jungfer in Hosen!«

Herr von Studmann lächelte bloß. Er antwortete nicht. So weit war er nun doch, daß er dem keine Lehren gab, der unbelehrbar ist.

Des Schwimmens unkundig, das war es.

Im übrigen wird Herr von Studmann einen ausgezeichneten, unübertrefflichen Onkel für die Pagelschen Kinder abgeben. Er hat den Plan, seinen Urlaub mit Pagels zu verbringen. Nur der Gedanke an die junge, ihm noch unbekannte Frau stört ihn. Frauen sind so – unverständlich! Nein, er hat nichts von einer Frau an sich, nichts von einer alten Jungfer. Der Sanitätsrat hatte Unsinn geredet. Frauen, verheiratete und ledige, sind ihm ganz fremd. Aber schließlich kann man ja Onkel werden – ohne diesen schwierigen Umgang. Vermutlich wird er doch mit Pagels reisen. Unkundig des Schwimmens!

Wolf unter Wölfen
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