3

Weio von Prackwitz sitzt mit ihrer Mutter beim Abendessen.

Der Diener Räder steht in ernster Haltung an der Anrichte. Räder gehört, obwohl wenig über Zwanzig, zu dem ernsten Dienertyp. Er ist ganz von dem Gefühl durchdrungen, daß seine Herrschaft eines Tages aus dieser »Bruchbude« in das Schloß der alten Leute drüben ziehen wird, daß er dann dort nicht mehr der Diener, sondern der »Butler« sein wird, mit einem Dienerlehrling unter sich. Er sieht darum auch – trotz untadelig gewahrter äußerer Formen – den alten Geheimrat und seine Frau wie Leute an, die seiner Herrschaft etwas vorenthalten, was ihr eigentlich zusteht. Vor allem aber haßt er den alten Elias drüben, der über das Familiensilber gebietet – wie man schon Elias heißen kann! Der Diener Räder heißt Hubert – und so wird er von seiner Herrschaft auch gerufen.

Hubert hat ein Auge auf den Tisch, ob sie dort etwas brauchen, und beide Ohren auf das Gespräch. Trotzdem er keine Miene seines etwas faltigen Gesichtes verzieht, ist er doch von hoher Freude erfüllt, wie das gnädige Fräulein die gnädige Frau anschwindelt. Hubert hat nämlich in dem kleinen Haushalt neben der Köchin Armgard und dem Mädchen Lotte wenig zu tun, so hat er sich eine Beschäftigung daraus gemacht, alles zu erfahren, alles zu sehen, alles zu wissen. Hubert weiß sehr viel – er weiß zum Beispiel genau, wie das gnädige Fräulein seinen Nachmittag verbracht hat. Was die gnädige Frau nicht weiß.

»Hast du heute nachmittag auch nach Großpapas Gänsen gesehen?« hört Hubert Frau von Prackwitz fragen.

Frau Eva von Prackwitz ist eine sehr gut aussehende Frau, vielleicht eine Spur zu voll, aber das merkt man erst, wenn sie neben dem langen, mageren Rittmeister steht. Sie hat all den sinnlichen Reiz einer Frau, die gerne Frau ist, die glücklich ist, Frau zu sein, die zudem das Landleben liebt und der das Land diese Liebe mit unerschöpflicher Frische zu danken scheint.

Weio zieht eine vorwurfsvolle Schnute: »Aber, Mama, heute nachmittag war doch Gewitter!«

Hubert versteht: Fräulein Violet spielt heute abend das ganz kleine Mädchen; das tut sie gerne, besonders dann, wenn sie etwas besonders Erwachsenes ausgefressen hat. So kommen ihre Eltern nicht auf falsche – heißt auf richtige Gedanken.

»Du tust mir wirklich einen Gefallen, Violet«, sagt Frau von Prackwitz, »wenn du gut auf Großpapas Gänse paßt. Du weißt, Papa ärgert sich so, wenn die Gänse in seine Wicken gehen. Und das Gewitter fing doch erst um sechs an!«

»Wenn ich eine Gans wäre, möchte ich auch nicht in Großpapas ollem, feuchtem Park sein mit dem sauren Gras«, erklärt Weio, immer noch mit Flunsch. »Ich finde, der Park stinkt!«

Diener Hubert, wissend, wie oft und gerne das gnädige Fräulein geheim im geheimrätlichen Park weilt, ist von der vorsorglichen Naivität dieser Antwort hoch begeistert.

»Aber, Weio – stinken, und bei Tisch!« Ihr Blick streift (mit lächelnder Ruhe) den Diener Räder, der ein untadeliges, wennschon völlig unjunges und faltiges Gesicht macht.

»Na ja, Mama, ich geh nicht rein, ich find, er st…, riecht nach Leichen …«

»Nein, Weio!« Die gnädige Frau klopft sehr energisch mit ihrem Gabelstiel auf den Tisch. »Nun ist es aber genug. Manchmal finde ich jetzt wirklich, du könntest schon ein bißchen erwachsener sein.«

»Ja, Mama? Warst du schon erwachsener, als du so erwachsen warst wie ich?«

Weio macht bei dieser Frage ein ganz strahlendes, völlig unschuldiges Gesicht – trotzdem erwägt der Diener Räder, ob diese kleine Einfalt vielleicht etwas läuten gehört hat von den Jugendstreichen der Frau Mama. Es gibt da so ein Gerücht von dem alten Geheimrat, der einen Bauernjungen aus dem Schlafstubenfenster der Tochter geprügelt hat. Vielleicht ist dies Gerücht sogar wahr, jedenfalls findet Hubert, daß die nächste Frage der gnädigen Frau sehr gut zu diesem Gerücht paßt.

Sie lautet: »Was hattest du eigentlich heute nachmittag so lange mit Inspektor Meier zu reden?«

»Och!« sagt Weio wegwerfend und macht wieder eine Schippe. »Der olle Negermeier!« Plötzlich lacht sie. »Denk mal, Mama, alle Mädchen und Frauen hier im Dorf sollen ihm nachlaufen – und er ist doch so häßlich wie … ach, ich weiß nicht, wie der olle Abraham –!« (Abraham ist der im Pferdestall gehaltene Ziegenbock, der nach altem Kavalleristenglauben alle Krankheiten austreiben soll.)

»Der Nachtisch, Hubert!« mahnt die gnädige Frau mit aller Ruhe, aber mit recht gefährlich funkelnden Augen.

Räder marschiert aus dem Zimmer, wenn auch nicht ohne Bedauern. Fräulein Weio ist ausgerutscht, jetzt wird ihr todsicher der Kopf gewaschen. Sie hat ein bißchen dick aufgetragen in ihrem Übermut, völlig töricht ist die gnädige Frau nun auch nicht.

Hubert hörte gerne, was die gnädige Frau jetzt sagt, und vor allem, was das Fräulein antwortet. Aber Hubert lauscht nicht an Türen, er marschiert schnurstracks in die Küche. Wenn man einen männlichen Grips hat, gibt es viele Wege, etwas zu erfahren, man muß nicht das Vertrauen der Herrschaft auf einen musterhaften Diener durch solches Lauschen erschüttern.

In der Küche sitzt, am Küchentisch wartend, der alte Förster Kniebusch.

»Guten Abend, Herr Räder«, sagt er sehr höflich. Denn der ganz für sich lebende, schweigsame Diener Räder wird für eine Macht gehalten. »Ist das Essen schon vorbei?«

»Der Nachtisch, Armgard!« sagt Räder und fängt an, das Geschirr auf dem Tablett zurechtzustellen. »Guten Abend, Herr Kniebusch. Wen wollen Sie denn sprechen? Der Herr Rittmeister kommt erst morgen wieder.«

»Ich wollte mal die gnädige Frau«, sagt Förster Kniebusch vorsichtig. Nach langem Überlegen ist er nämlich zu dem Entschluß gekommen, daß er seine Wissenschaft besser bei der älteren Generation verwertet. Das gnädige Fräulein ist wirklich zu jung, um einem so alten Manne etwas nützen zu können.

»Ich werd Sie melden, Herr Kniebusch«, sagt Räder.

»Herr Räder!« bittet Kniebusch vorsichtig. »Wenn es sich so machen ließe, daß Fräulein Weio nicht dabei wäre –?«

Das faltige Gesicht Räders wird noch faltiger. Um Zeit zu gewinnen, fährt er die Köchin an: »Machen Sie doch zu, Armgard. Hundertmal habe ich Ihnen schon gesagt, Sie sollen die Käseplatte garnieren, ehe ich komme!«

»Bei der Hitze!« höhnt die Köchin, die den Diener haßt. »Die ganzen Butterkügelchen würden aneinanderkleben!«

»Die Butter nehmen Sie im letzten Augenblick aus dem Eisschrank! Aber wenn Sie jetzt erst den Käse schneiden –!« Und zum Förster halblaut: »Warum soll denn das gnädige Fräulein nicht dabeisein?«

Der Förster wird sichtlich verlegen: »Ja, wissen Sie … ich dachte so … Es ist doch noch nicht alles für junge Mädchen …«

Räder betrachtet den Verlegenen mit götzenhaftem Ernst. »Was ist denn noch nicht für junge Mädchen, Herr Kniebusch?« fragt er, aber ohne alle spürbare Neugier.

Kniebusch wird rot vor lauter Anstrengung, eine Lüge zu erfinden. »Na ja, Herr Räder, Sie verstehen doch, wenn man so jung ist, und dann ist da die Brunft …«

Räder weidet sich an seiner Verlegenheit. »Jetzt gibt es doch keine Brunft!« sagt er verächtlich. »Na, ich verstehe schon. Danke. Uniform – U-ni-form heißt die Parole!«

Er sieht den zerschmetterten und verwirrten Förster mit seinem ausdruckslosen, fischigen Auge an. Dann wendet er sich zu der Köchin. »Na endlich, Armgard! – Aber wenn die gnädige Frau schilt, sage ich es ihr, an wem es liegt. – Sprechen Sie mich bitte nicht an! Ich rede überhaupt nicht mit Ihnen!«

Er geht, das Servierbrett auf der Hand, aus der Küche, ernst, unjung, ziemlich geheimnisvoll.

»Wir sprechen uns noch, Herr Kniebusch«, nickt er und verschwindet, die erbetene Anmeldung völlig im ungewissen lassend.

»Was so ein Affe sich bloß einbildet!« schimpft die Köchin Armgard hinter ihm drein. »Lassen Sie sich bloß mit dem nicht ein, Herr Kniebusch! Der horcht Sie bloß aus – und hinterher tratscht er alles dem Rittmeister.«

»Ist er denn immer so mit Ihnen?« erkundigt sich der Förster.

»Immer!« ruft sie empört. »Nie ein nettes Wort zu Lotte oder mir! Herr Rittmeister ist lange nicht so fein wie der Affe. Glauben Sie, der ißt mit uns an einem Tisch?!« Sie starrt den Förster an, der verlegen irgend etwas Unverständliches murmelt. »Nee, den Teller in der Hand, geht er in seine Kammer! Ich glaube, Herr Kniebusch«, flüstert sie geheimnisvoll, »der ist überhaupt – anders. Der hat mit Frauen überhaupt nichts im Sinn. Der ist …«

»Ja –?« fragt der Förster erwartungsvoll.

»Nein, mit so etwas will ich nichts zu tun haben«, erklärt Armgard energisch. »Glauben Sie, er geht auch nur an die Zigaretten vom Rittmeister?«

»Ja, das tut er doch?« sagt der Förster voller Hoffnung. »Das tun doch alle Diener! Elias raucht auch immer die Zigarren vom alten Herrn. Ich rieche das, weil mir der Geheimrat manchmal eine schenkt.«

»Was?! Das wissen Sie von dem Elias?! Das werde ich dem ollen Knacker aber unter die Nase reiben! Von wegen, Zigarren von der Herrschaft klauen – und mich anpöbeln, weil ich mir die Schuhe am Schloßeingang nicht ordentlich abgetreten habe –!«

»Um Gottes willen, Armgard! Nein, nein, sagen Sie ihm bloß nichts! Ich kann mich ja auch irren!« Der alte Mann überstürzt sich in seinen Ängsten. »Es ist sicher eine ganz andere Zigarre, und Sie haben auch gesagt, daß der Hubert des Rittmeisters Zigaretten raucht …«

»Das habe ich nicht gesagt! Grade das Gegenteil habe ich gesagt! Daß er nicht raucht und daß er nicht trinkt und daß er nicht an den Türen lauscht, daß er sich für all so was viel zu fein hält, der dumme Lausejunge …«

»Verbindlichsten Dank!« schnarrt es, und die beiden sehen tief erschrocken dem Diener Räder ins Gesicht (olles Froschgesichte! denkt die Armgard wütend). »Ich bin also ein dummer Lausejunge. Gut, wenn man das weiß, wie die Leute über einen denken. – Gehen Sie jetzt zur gnädigen Frau, Armgard, sie will mit Ihnen sprechen. Nicht, daß ich Sie wegen Ihrer Käseplatte verklatscht hätte, dafür sind Sie mir viel zu dumm! Sie können ihr aber sagen, daß ich ein dummer Lausejunge in Ihren Augen bin … Kommen Sie, Herr Kniebusch!«

Und gehorsam, aber sehr bedrückt von all den Komplikationen des täglichen Lebens, folgt ihm der Förster, verlegen nach der Köchin Armgard schielend, die hochrot mit Tränen kämpft.

Die Kammer des Dieners Räder ist nur ein schmales Handtuch, im Souterrain der Villa, zwischen Kohlenkeller und Waschküche. Schon dies ist wiederum ein Grund für den Diener Räder, dem Diener Elias zu grollen, denn Elias hat ein richtiges, großes, zweifenstriges Zimmer im Obergeschoß des Schlosses, sehr gemütlich mit alten Möbeln ausgestattet. Die Kammer des Dieners Hubert aber hat nur ein eisernes Feldbett, einen eisernen Waschständer, einen eisernen alten Klappstuhl aus dem Garten und einen alten, wackligen Schrank aus Fichtenholz. Nichts verrät, daß in dieser Kammer ein Mensch wohnt. Kein Kleidungsstück ist sichtbar, kein kleiner Gebrauchsgegenstand des Bewohners; nicht einmal Seife und Handtuch sieht man beim Waschständer, denn Hubert Räder wäscht sich im Badezimmer.

»So«, sagt der Diener Räder, lehnt die Tür aber nur an. »So – Sie können sich jetzt noch auf den Stuhl setzen, bis sie kommt. Dann stehen Sie auf und machen ihr Platz.«

»Wer kommt –?« fragt Kniebusch verwirrt.

»Sie sollten nicht soviel quackeln, Herr Kniebusch«, erklärt der Diener mit ernster Mißbilligung. »Ein Mann quackelt nicht – vor allem nicht mit Weibern.«

»Ich habe gar nichts gesagt«, verteidigt sich der Förster.

»Jetzt muß sie sich natürlich erst das Gesicht waschen, weil sie geheult hat«, sagt der faltige Götze. »Aber wenn sie dann bei der gnädigen Frau ist, kommt sie …«

»Wer kommt, wer ist bei der gnädigen Frau?« fragt der Förster, vollkommen verwirrt.

»Eine Uniform ist eine Uniform«, belehrt ihn der Diener. »Meine Livree gilt natürlich nicht, und Ihre grüne auch nicht, weil Sie bloß Privatförster sind. Wären Sie Staatsförster, wäre das auch wieder anders.«

Kniebusch sagt verloren: »Jaja. – Natürlich«, er hofft immer noch, daß er schließlich etwas von den Räderschen Rätselsprüchen verstehen wird.

»Ein Zivilist soll sich nicht in die Uniformen mischen«, verkündet der Diener ernst. Er denkt lange nach, die Stirn in vielen Falten. Dann drückt er die Tür ein wenig auf.

Er lauscht. Nun nickt er, geht quer durch die Kammer zum Förster hin und sagt leise, voller Vorwurf: »Sie sind ein Zivilist, Herr Kniebusch, und Sie wollten sich unter die Uniformen mischen.«

»Aber nein«, ruft der Förster entsetzt.

»Das ist Ihnen noch gar nicht aufgefallen, Herr Kniebusch«, sagt der Diener und ist auf seinen Horchposten bei der angelehnten Tür zurückgekehrt, »was der Herr Geheimrat am liebsten mag?«

»Nein. Wieso?« wundert sich der Förster. »Ich weiß überhaupt nicht, was Sie eigentlich wollen, Herr Räder.«

»Wissen Sie es wirklich nicht?«

»Nein. Ich glaube aber, seine Forst.«

Der Diener nickt. »Ja, die will er nicht hergeben, ehe er stirbt. – Und wem vermacht er sie dann?«

Er sieht erwartungsvoll den Förster an.

»Da ist die alte gnädige Frau«, sagt der Förster nachdenklich, »und dann ist da der Sohn in Birnbaum. Und hier ist der Herr Rittmeister …«

Er überlegt den Fall.

»Na, wem wird er denn die Forst geben?« fragt der Diener gönnerhaft, wie man etwa ein zurückgebliebenes Schulkind nach etwas ganz Leichtem fragt. »Oder läßt er sie teilen, in zwei Stücke oder drei?«

»Teilen – seine Forst?!« Der Kniebusch ist völlig Verachtung. »Nee, so was bilden Sie sich bloß nicht ein, Herr Räder! Ich glaub, der käme noch aus dem Grabe und risse die Grenzsteine aus, wenn sie die Forst nach seinem Tode teilten. Aber er wird’s schon aufgeschrieben haben, wie es mit der Forst werden soll.«

»Und was wird er aufgeschrieben haben, Herr Kniebusch?« bohrt der Diener beharrlich weiter. »Etwa die alte gnädige Frau?«

»Ausgeschlossen. Wo sie doch immer sagt, sie geht nicht in den Wald wegen Schlangen. Nein, Herr Räder, kommt überhaupt nicht in Frage.«

»Oder der Birnbaumer?«

»Glaube ich auch nicht«, sagt der Förster. »Auf den schimpft er immer, weil er ihm zu fein ist und ewig nach Geld kommt – und jetzt hat er sich ein Rennauto gekauft … ›daß er vor seinen Schulden wegrennen kann!‹ hat der Alte geschimpft.«

»Das mit dem Rennauto weiß der alte Herr also auch schon«, meint der Diener Räder nachdenklich. »Das haben Sie ihm sicher erzählt, Herr Kniebusch.«

Der Alte will hochrot protestieren, aber Hubert achtet gar nicht darauf. Er sagt abschließend: »Dann erbt also die Forst die gnädige Frau hier oben.« Und er deutet mit dem Daumen zur Decke.

»Wo er doch den Herrn Rittmeister gar nicht leiden kann?« fragt der Förster besorgt dagegen. »Und das mit den Gänsen geht auch nicht gut aus.«

»Wer erbt dann also die Forst?« beharrt der Diener.

»Ja, ich weiß doch nicht …«, sagt der Förster verwirrt. »Er hat ja noch die Schwesterkinder in Hinterpommern, aber …«

»Hat er nicht ein Enkelkind?« fragt der Diener.

»Wen –?« Dem Förster steht der Mund offen. »Meinen Sie wirklich? Aber das Fräulein Violet ist doch erst fünfzehn …« Der starre Blick des Dieners verändert sich nicht, und der Förster überlegt laut: »Freilich, sie ist die einzige, die er auf den Anstand mitnimmt, soviel muß wahr sein … Und wenn er das Holz nachmißt, muß sie auch immer mit, mit Zollstock und Kluppe – o Gott, Herr Räder, und das weiß noch niemand, und das gnädige Fräulein weiß es vielleicht selber noch nicht …«

»Und Sie haben sich unter die Uniformen mischen wollen, Herr Kniebusch«, stellt der Diener Räder voller Verachtung fest.

Ehe aber der Förster noch hat protestieren können, klappt es eilig auf dem Gang, und Weio kommt herein.

»Gottlob, doch noch geschafft. Ich konnt und konnt ja nicht weg! Die Armgard hat der Mama so was vorgeheult, daß Sie immer so gemein zu ihr wären, Hubert – sind Sie denn wirklich so gemein –?«

»Nein«, antwortet Hubert ernst. »Ich bin bloß streng mit ihr, und ich mache mich mit Frauenzimmern überhaupt nicht gemein.«

»Gott, Hubert, wie ernst Sie mal wieder aussehen! Wie ein Karpfen aus den Teichen. Trinken Sie eigentlich viel Essig? Ich bin doch auch bloß ein Frauenzimmer.«

»Nein«, erklärt Hubert. »Einmal sind Sie eine Dame, und dann sind Sie meine Herrschaft, so kommt Gemeinmachen mit Ihnen gar nicht in Frage, gnädiges Fräulein.«

»Danke schön, Hubert. Sie sind wirklich großartig. Ich glaube, Sie platzen noch mal vor Eingebildetheit und Stolz.«

Sie sieht ihn sehr vergnügt mit ihren leicht vorstehenden, glänzenden Augen an. Plötzlich wird sie ernst, sie flüstert geheimnisvoll: »Ist es denn wahr, Hubert, was die Armgard der Mama gesagt hat, daß Sie ein Unhold sind?«

Der Diener Räder sieht das neugierige Mädchen mit seinen fischigen Augen unbewegt an. Nicht eine Spur von Farbe steigt in seine grauen, faltigen Wangen.

»Das hat die Armgard aber nicht vor Ihren Ohren gesagt, gnädiges Fräulein«, stellt er unerschüttert fest. »Da haben Sie wieder an der Tür gelauscht.«

Auch Violet ist nicht die Spur verlegen. Mit Staunen sieht der Förster, wie vertraut das seltsame Paar miteinander ist. Der Räder ist ja noch viel schlauer, als ich gedacht habe. Vor dem muß ich mich ja noch viel mehr in acht nehmen, denkt er bei sich.

Weio aber lacht bloß. »Seien Sie doch nicht albern, Hubert! Wenn ich nicht ein bißchen lausche, erfahre ich überhaupt nichts. Mama erzählt mir nie was, und wie ich Papa neulich auf der Wiese fragte, als wir den Storch sahen, ob es denn wirklich wahr sei, lief er ganz rot an. Gott, der arme Papa! Wie verlegen er war! – Und Sie sind also ein Unhold?«

»Da ist auch noch der Förster Kniebusch«, lenkt Räder unerschüttert ihr Interesse ab.

»Ja, natürlich. Guten Abend, Kniebusch. Was ist denn bloß los? Hubert tut ja so geheimnisvoll, aber Hubert tut immer geheimnisvoll. Was haben Sie denn nur?«

»Gott, gnädiges Fräulein«, sagt der Förster jämmerlich, denn er sieht mit Schrecken den Augenblick kommen, da er berichten muß. Und schon geht ihm alles durcheinander, und er weiß nicht mehr, was er wirklich gesehen hat und was er nur vermutet. Und dann hat er auch gar nicht den Mut, ihr das jetzt alles ins Gesicht zu sagen, und vielleicht hat der Negermeier nicht geprahlt, sondern sie liebt ihn wirklich, und dann ist er ja schön hereingefallen!

»Ich weiß ja nicht … Ich wollte ja nur mal fragen … Ich hab den Sechserbock wieder gespürt, den der Rittmeister so gerne kriegen wollte, und wenn der Rittmeister nun heute abend noch käme … Er stand doch im Klee, aber jetzt geht er in Haases Serradella …«

Weio sieht ihn aufmerksam an.

Räder aber betrachtet ihn kalt und verächtlich. Er wartet in aller Ruhe, bis der Förster sich vollständig verhaspelt hat, dann sagt er mitleidslos: »Es ist wegen der U-ni-form, gnädiges Fräulein! Und ohne mich hätte er es der gnädigen Frau und nicht Ihnen gesagt …«

»Pfui, Kniebusch!« schilt Violet. »Schämen Sie sich was! Immer petzen und hinter dem Rücken Geschichten erzählen …«

Und nun muß der Förster, schon um sich ein bißchen zu entlasten, alles auskramen, von dem Bestellgang durchs Dorf bis zum Anruf aus der Kneipe. Dann berichtet er stockend, halblaut, maßlos verlegen von dem besoffenen Geschwätz des Negermeier. Er möchte um den Brei herumreden, aber das gelingt ihm nicht. Weio wie Räder sind unerbittliche Forscher: »Nein, da fehlt noch was, Kniebusch, sagen Sie alles! Ich werde bestimmt nicht rot.«

Aber das wurde die fünfzehnjährige Weio doch. Sie stand an der Wand, sie hatte die Augen bis auf einen schmalen Spalt geschlossen, aber ihre Lippen zitterten, und sie atmete hastig.

Doch sie gibt nicht nach, sie fragt unermüdlich weiter: »Los, Kniebusch, was hat er dann gesagt?«

Und nun kam die Sache mit dem Brief.

»Hat er alles vorgelesen? Was hat er vorgelesen? Sagen Sie jedes Wort, das er vorgelesen hat … So, und Sie Idiot haben geglaubt, ich hab ihm das geschrieben, ihm, diesem Kerl –?!«

Nun kam die Erleuchtung unter dem Haaseschen Brettergiebel.

»Was?! Sie haben den – Herrn gesehen, und Sie haben ihm nichts gesagt?! Nicht einmal einen Wink gegeben?! Von allen Schafsköpfen, Kniebusch, sind Sie der größte!«

Der Förster steht verdattert und schuldbewußt vor ihr; jetzt sieht er auch ein: er hat alles ganz falsch gemacht.

»Der Schulze war dabei«, ließ sich Räder vernehmen.

»Richtig! Aber den Brief hätt er ihm doch zustecken können!«

»Den Brief hat der Förster ja gar nicht gehabt!« (Wieder Räder.)

»Ach ja, ich bin ganz durcheinander! Aber Meier hat ihn noch – sitzt vielleicht mit ihm im Krug, zeigt ihn andern … Sie müssen sofort los, Hubert!«

»Der Meier ist doch längst wieder auf seinem Zimmer«, sagte Hubert unerschüttert. »Ich hab Ihnen doch selbst erzählt, daß er ganz betrunken nach sechs aus der Schenke heimgekommen ist. Aber ich schlage vor, die U-ni-form …«

»Stimmt! Los, Hubert, sagen Sie ihm Bescheid. Sie finden ihn schon, sicher ist er noch bei Haase. Nein, erzählen Sie ihm gar nichts, sagen Sie ihm bloß, ich muß ihn sofort sprechen. Aber wo? Sagen Sie, an der alten Stelle … Aber wie kann ich hier weg? Mama läßt mich doch jetzt nicht mehr fort!«

»Pssst! Die gnädige Frau!« warnt ganz unerschüttert Hubert Räder.

»Nun, was ist denn hier für eine Verschwörung?« sagt Frau von Prackwitz und steht sehr erstaunt auf der Schwelle der Dienerkammer. »Ich such dich überall, Violet, und hier finde ich dich –!« Sie sieht von einem Gesicht zum andern. »Warum seht ihr denn alle so verlegen aus?« Mit schärferer Stimme: »Ich will wissen, was hier los ist! Wird’s bald, Weio?!«

»Verzeihen, gnädige Frau, daß ich spreche«, läßt sich der Diener Räder vernehmen. »Es hat ja doch keinen Zweck mehr, gnädiges Fräulein, wir müssen es der gnädigen Frau sagen.«

Atemlose Stille, verzweifelte Herzen.

»Es ist, gnädige Frau, gradeheraus gesagt, wegen des Bocks!«

Stille, Schweigen.

»Wegen welchen Bockes?! Was ist das für ein Unsinn?! Weio, ich ersuche dich –!«

»Doch wegen des Bocks im Klee, von dem der Herr Rittmeister auch gesprochen hat«, sagt Räder. »Verzeihung, gnädige Frau, daß ich es gehört habe. Es war vorgestern beim Abendessen, ich servierte grade die Schleien.«

Räders leidenschaftslose, immer leicht belehrende Stimme hüllt alles in einen grauen Nebel ein.

»Und nun war der Bock doch plötzlich verschwunden, grade, als Herr Rittmeister auf den Ansitz ging, und Herr Rittmeister legte doch solchen Wert darauf, gnädige Frau haben es selber gehört …«

»Ich habe noch immer nicht gehört, was das hier für eine Versammlung ist –!«

»Und nun hat der Förster den Bock doch heute ausgemacht, gnädige Frau, in Haases Serradella, und heute abend muß er geschossen werden, weil er immerzu hin und her wechselt. Und da hatten wir gedacht, weil der Herr Rittmeister doch weg ist, daß das gnädige Fräulein den Herrn Rittmeister überrascht. Es war ja nicht recht von uns, gnädige Frau, daß wir es heimlich tun wollten … Aber ich bin es gewesen, der es vorgeschlagen hat, daß wir warten, bis die gnädige Frau schlafen geht, weil wir Vollmond haben, und es ist Büchsenlicht genug, sagt Herr Kniebusch …«

»Nun hören Sie aber endlich mit Ihrem schrecklichen Gedröhne auf, Hubert!« sagt die gnädige Frau, merklich erleichtert. »Sie sind ein gräßlicher Mensch. Tagelang wünscht man sich: wenn er doch endlich mal den Mund auftäte! Aber wenn Sie ihn dann aufmachen, hat man bloß den einen Wunsch, daß Sie ihn recht schnell wieder schließen. – Und zu den Mädchen könnten Sie auch etwas netter sein, Hubert, davon fällt Ihnen kein Stein aus Ihrer Krone!«

»Jawohl«, sagt Diener Räder unbewegt.

»Und du, Weio«, fährt die gnädige Frau in ihrer Strafpredigt fort, bist eine rechte Gans. Dies hättest du mir ruhig erzählen dürfen, die Überraschung für Papa wäre dadurch nicht kleiner geworden. Eigentlich sollte ich dich zur Strafe nicht gehen lassen, aber wenn der Bock nur diesen Abend in der Serradella ist … Sie gehen ihr aber keinen Schritt von der Seite, Kniebusch … Gott, was haben Sie denn wieder, Kniebusch, was weinen Sie denn –!?!«

»Ach, es ist ja bloß der Schreck, gnädige Frau, der Schreck, wie Sie in der Tür standen«, jammerte der alte Mann. »Und ich kann es dann nicht halten. Aber es war ein freudiger Schreck, es sind Freudentränen …«

»Ich denke, Hubert«, sagte die gnädige Frau trocken, »Sie machen sich auch ein bißchen zurecht und gehen mit. Sonst, wenn sie im Wald einen Holzdieb treffen, bricht unser guter Kniebusch auch in Freudentränen aus, und Weio kann dann sehen, wie sie allein fertig wird …«

»Ach Mama«, sagte Weio, »ich hab vor Holz- und Wilddieben keine Angst.«

»Du solltest lieber vor vielen Dingen Angst haben, meine liebe Violet«, sagte Frau von Prackwitz energisch. »Vor allen Dingen solltest du Angst vor Heimlichkeiten haben. – Also, es bleibt dabei, Hubert kommt mit.«

»Jawohl, Mama«, sagte Weio gehorsam. »Wartet bloß einen Augenblick, ich hab mich gleich umgezogen.«

Damit lief sie nach oben, die gnädige Frau aber war mit den beiden Männern allein und wusch ihnen wegen der »Heimlichkeiten mit dem Kinde, der Weio« gehörig den Kopf. Sie tat es sehr gründlich, aber mit dem Ergebnis war sie nicht ganz zufrieden. Als rechte Frau hatte sie nämlich das untrügliche Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmte. Da die Weio aber noch ein rechtes Kind war, würde es am Ende so schlimm nicht sein, und sie beruhigte sich bei dem Gedanken, daß Weios Untaten sich immer noch ziemlich harmlos aufgeklärt hatten. Ihre schlimmste Untat war bisher das Verschandeln ihres schönen langen Haars zu einem Bubikopf gewesen. Und ein so schlimmes Verbrechen läßt sich gottlob nur einmal begehen.

Wolf unter Wölfen
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