»Kommen Sie rein, junger Mann. Kommen Sie rein in die gute Stube. – Natürlich ist sie da! Wieso soll sie nicht dasein?!« rief Frau Krupaß mit lauter, fröhlicher Stimme. Aber leise flüsterte sie: »Seien Sie heute ein bißchen nett mit ihr, sie hat’s heute früh amtlich bekommen, daß ihr Verflossener tot ist …«
»Is er das endlich wirklich?« fragte der junge Mann sehr erfreut. »Na, Jott sei Dank!«
»Um Jottes willen – seien Sie doch bloß nicht so herzlos, Herr Schulze! Wenn er auch bloß ein Schweinehund war, traurig is se darum doch.«
»Tach, Amanda«, sagte der junge Mann, der Herr Schulze, Lastwagenfahrer der Papierfabrik Korte & Körtig. Er sagte es aber nicht in der guten Stube, er sagte es in der Küche, wo Amanda Backs noch abwusch. »Was hat’s bei euch jejeben? Bücklinge? Müßt ihr nich essen bei die Hitze, Fisch ist doch immer gleich stinkerig …«
»I wo! Wo er doch geräuchert ist!« widersprach die Krupaß.
»Tu man nicht so, Schulzing«, sagte Amanda, »als wenn du von nischt wüßtest. Ich habe wohl jehört, wie se mit dir an der Tür getuschelt hat. Jawohl, nu is er tot, mein Hänseken – und wenn er auch ein Lump war, so hat er mich doch auf seine Art geliebt, wie ich damals war, ohne alles, nichts als die rechte Hand von Mutter Krupaß.«
»Wenn du meinst, Amanda, daß ich dir darum …«
»Wer sagt denn das? Wer spricht denn von dir?« sagte Amanda und warf den Kupferschwamm in das Abwaschwasser, daß es klatschte. »Ihr Männer denkt immer, man redet bloß von euch. Nee, von meinem Meier habe ich geredet und daß ich nicht darüber wegkomme, daß er auch als Lump gestorben ist. In Pirmasens haben sie ihn auf dem Bezirksamt erschlagen, ein Separatiste is er jewesen – immer mit de Franzosen und gegen die Deutschen, ganz wie in Neulohe, wo ich ihm doch schon ein paar gelangt habe deswegen.«
»In Pirmasens«, sagte Herr Schulze verlegen. »Das ist doch schon wieder ’ne aasige Zeit her …«
»Am zwölften Februar is es gewesen, gut vier Monate is es her. Aber weil er bloß Meier geheißen hat und weil sie mich erst haben suchen müssen, hat es so lange gedauert, bis sie’s mir haben amtlich geben können. Wo es doch in seiner Brieftasche gestanden hat, daß ich seine Braut bin …«
Amanda Backs – ihre gebildete Zeit als Hausdame des Wolfgang Pagel lag weit zurück, und sie war auf dem Lagerplatz der Krupaß wieder ganz in das alte, heimische Berlin zurückgekehrt –, Amanda Backs zog eine verächtliche Schippe und sagte: »Dabei bin ick nie seine Braut gewesen, ick habe bloß mit ihm jeschlafen …«
Eine etwas bedrückte Stille entstand. Der junge Mann rutschte auf seinem Küchenstuhl hin und her, schließlich ließ sich Frau Krupaß vernehmen: »Es is ja janz schön, Mandeken, daß du so ’n offner Mensch bist. Aber allzuviel is auch unjesund, du trittst Herrn Schulzen unnötig auf die Zehen, wo er es doch janz ehrlich mit dir meint.«
»Na, lassen Se man, Krupassen, lassen Se man!« sagte der Chauffeur. »Ich kenne doch Amanda, die meint es ja gar nicht so.«
»Wie meine ich es denn?!« rief Amanda mit geröteten Backen. »Genau so meine ich es, genau, wie ich’s gesagt habe! Da gibt’s gar nischt von Amanda und kennen!«
»Na schön, auch gut«, sagte der Mann. »Dann haste es eben so gemeint. Darum wollen wir uns doch nich streiten.«
»Da hören Sie es, Krupassen! Und so was will ein Mann sein! Nee, Schulzing«, rief sie und war ganz ehrlich traurig. »Du bist ein guter Kerl, aber du bist mir zu lappig. Ich weiß, du bist solide, und du sparst, und du trinkst nicht, und sobald es geht, kaufst du dir einen Lastzug, und ich könnte Frau Fernspediteur werden, wie du mir gesagt hast … Aber, Schulzing, ick habe es mir den ganzen Tag hin und her überlegt, es kann doch nischt werden mit uns. Versorgt sein ist ganz schön, aber nur versorgt sein, det is ooch nischt. Ick bin doch erst grade dreiundzwanzig, und so eilig habe ich es noch nich. Und vielleicht kommt doch noch ein anderer, wo det Herze ’n bißken puckert. Bei dir puckert es gar nicht, Schulzing …«
»Ach, Amanda, det denkste jetzt bloß so, weil du den Brief gekriegt hast. Sage mir bloß nich uff. Ick weeß ja, ick bin een bißchen trantutig, aber in meinem Jeschäft is det grade gut. Scharf fahren, det können se alle, aber vorsichtig fahren und ’nen Lastwagen mit ’n Anhänger auf ’m Hof umdrehen, nich viel größer als eure Küche, ohne eine Schramme, det kann ick alleene …«
»Nu redste wieder von deinem dußligen Auto! Heirate du doch deinen Daimler!«
»Jawoll rede ick von meinem Auto, aber du mußt mir auch ausreden lassen, Amanda! Ick bin trantutig, habe ick jesacht, aber wie ick mit meinem Wagen grade durch meine Tutigkeit zurechtkomme, komme ick ooch in die Ehe zurecht. Jloob mir, Amanda, da is es jenauso: Jroße Bogen spucken können se alle und scharf ranjehen, und denn kiek dir so ’ne Ehe nach sechs Monaten an! Alles zu Bruch jefahren! Bei mir bleibste heil, Amanda, bei mir passiert dir nischt – det habe ick so sicher wie meinen Führerschein!«
»Ein guter Kerl biste doch, Schulzing«, sagte Amanda. »Aber, glaub mir, es kann nich sein. Feuer und Wasser, das paßt eben nich zusammen. Du sagst, mir passiert nischt – schön, Schulzing, ick weeß ja nich, ob mir det recht wäre, wenn mir so gar nischt passiert. Gar zu stille is ooch doof.«
»Na ja«, sagte der junge Schulze und stand auf. »Ick will dir ja nich überreden. Wat nich is, det is nich. Dann bin ick eben der Doofe. – Nee, ick nehme dir das nich übel, Amanda, wo denn! Die Bäcker backen auch nich alle dasselbe Brot, du bist eben feurig, und ick bin tutig. Da kannst du nischt für, und da kann ick nischt für. Guten Abend, Frau Krupaß. Ick danke Ihnen ooch, daß Sie mir die Abende hier haben sitzen lassen, und für all das schöne Essen …«
»Nu redt er auch noch vons Essen!«
»Warum soll ick nich vons Essen reden?! Für alles, was man geschenkt kriegt im Leben, soll man sich bedanken. Mir haben se noch nich so viel jeschenkt in meinem Leben, daß mir das Danken zu ville jeworden is. – Gute Nacht, Amanda, ick wünsche dir auch alles Jute …«
»Danke schön, Schulzing. Ick dir auch – und vor allem ’ne nette Frau!«
»Na ja, ick werd ja woll noch ’ne andere finden. Aber es hätte mir doch jefreut, Amanda. Gute Nacht.«
Sie warteten beide, bis sie die Tür klappen hörten, sie warteten, bis sie seinen Schritt auf dem Hof hörten. Aber erst, als sie ihn dem Aufseher Randolf draußen auf dem Platz gute Nacht sagen hörten, sagte Frau Krupaß: »War det auch richtig, Amanda? Er is doch ein sehr reeller Mann.«
Amanda Backs schwieg.
Die Krupaß fing wieder an: »Nicht, daß ich mir beklage. Mir soll’s nur recht sein, und wenn du noch zehn Jahre bei mir lebst hier auf dem Platz. Die Petra habe ich sehr jerne, aber so reden wie mit dir kann man doch nich mit ihr. Und im Jeschäft bist du auch tüchtiger als sie – bloß im Schreiben, da is sie dir über.«
»Vergleich mich bloß nich mit der Frau Pagel, Mutter Krupaß«, sagte Amanda. »Du weißt auch gar nich, was sich schickt!«
»Habe ick was gegen die Petra gesagt?! Du weißt auch nicht, was du redest! Ick hab jesagt, du paßt besser zu mir. Und das is wahr!«
»Na ja«, sagte Amanda. »Du meinst: ’ne Kuh soll nich auf ’n Ball jehn.«
»Du verstehst mir janz jut, Mandeken«, sagte die Krupaß und stand gähnend auf. »Du willst mir bloß nich verstehen. Weil du nämlich auf alle wütend bist, daß dein Verflossener kein besserer Kerl war. – Na, jetzt gehe ich in die Mulle. Wir haben morgen den Waggon Flaschen, da müssen wir um fünfe raus – gehst du noch nicht?«
»Ick sitz hier noch ’n Weilchen und sehe aus ’m Fenster. Und wütend bin ick nich auf dich, ick weiß schon, daß ick alleine mit ihm schuld gehabt hab.«
»Nu werd man bloß nicht trübetimplig. Denk man an die Petra – die hat dringesessen im Dreck, schlimmer als du, und was is se jetzt? Ne richt’je Dame!«
»Ach, Dame!« sagte Amanda verächtlich. »Auf Dame pfeife ich! Aber er hat sie lieb, det is es – und so trantutig der Schulze auch war, der hat mehr an deinen Lagerplatz jedacht und daß du jesacht hast, du willst mir versorjen, als an Liebe …«
»Jott, Liebe, Mandchen, nu fang nich ooch noch von Liebe an! Abends in den Himmel gucken und denn ooch noch Liebe – det is nich jesund, da holste dir bloß ’n Schnuppen! Komm man bald ins Bette. Richtich ausschlafen, det is besser als die janze Liebe. Von Liebe wird man bloß dußlig.«
»Jute Nacht, Mutter Krupaß. Ick möchte bloß wissen, wat du jesacht hättest, wenn dir det jemand vor vierzig Jahren jesacht hätte.«
»Ja, Kindchen, det is ja ’ne janz andre Sache! Vor vierzig Jahren und die Liebe! Det waren ooch andre Zeiten! Aber heute – da taugt doch ooch de Liebe nischt mehr!«
»So siehste aus«, sagte Amanda, rückte sich den Küchenstuhl ans Fenster und sah in den Berliner Himmel.