8

Mit heftig brummendem Schädel erwachte ich aus meiner Ohnmacht. Der Wagen rollte wieder, und durch das Klingeln in meinen Ohren drangen der Hufschlag der Pferde und die Stimmen meiner Peiniger auf dem Bock.

Ich mühte mich in eine sitzende Stellung. Zwar war ich an Händen und Füßen gefesselt, aber dieses Problem hatte ich schon einmal zu lösen gewußt. Doch diesmal mußte ich feststellen, daß meine Gabe sich einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt hatte, um mich erneut im Stich zu lassen.

Ein Ausruf ließ mich innehalten und lauschen. Tom fluchte, und der Heiler zankte: »Nun laß es mich doch wenigstens einmal sehen!« Ich hörte Tom leise ächzen.

»Der Junge hat dich ordentlich zugerichtet, das muß ich schon sagen! Es wird besser sein, wenn ich das versorge.«

»Bleib mir bloß mit deiner stinkigen Salbe vom Leib! O ihr Götter, was gäbe ich darum, wieder in einer zivilisierten Gegend zu sein!«

»Keine Sorge, ich habe was Besseres als Salbe. Halt still.«

»Maddoc! Bist du wahnsinnig geworden? Weißt du, was passiert, wenn Quinn das hier sieht?«

»Dann stehe ich Auge in Auge mit meinem Erschießungskommando, ich weiß. Deshalb sorgen wir auch besser dafür, daß Quinn es nicht zu Gesicht bekommt.«

Es war wieder still. »Was jetzt?« brach nach einigen Minuten der Heiler das Schweigen.

»Ich verstehe das alles nicht«, sagte Tom mit belegter Stimme. »Der kleine Dummkopf muß irgend etwas in den falschen Hals bekommen haben. Worüber haben wir uns bloß unterhalten, bevor er aufwachte?«

Akim kicherte. »Über deine seltsame Auffassung von ewiger Treue, glaube ich. Kein Wunder, daß er dir eins aufs Maul ...«

»Ach, halt doch den Mund!« fauchte Tom. »Wir haben darüber nachgedacht, was wir mit Nikolai machen, wenn wir ihn endlich gefunden haben. Ich sage dir, von mir aus kann er hier in dieser verlausten Ecke des Universums verrotten! Ich hab die Schnauze gestrichen voll! Ich will endlich wieder nach Hause, raus aus diesen albernen Kleidern, ein anständiges heißes Bad nehmen, in die nächste Kneipe gehen und mich mit ein paar Leuten unterhalten, die so riechen wie ich und meine Sprache sprechen ...« Er schnappte nach Luft. Akim lachte nicht mehr.

»Weißt du«, sagte er nachdenklich, »du hast gar nicht so unrecht. Wir sind schon viel zu lange hier. Aber wir sind nun einmal Omellis Leute: mitgefangen, mitgehangen. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen es zu einem guten Ende bringen. Sei ehrlich, du wärst doch der Letzte, der Kolja hier zurückließe, solange noch ein Rest Hoffnung besteht, daß er am Leben sein könnte.« Der Spielmann antwortete nicht. Nur das Rollen der Räder und dumpfe Klopfen der Hufe auf dem weichen Boden des Waldweges erklang für eine lange Weile.

Mein schmerzender Kopf hatte eine ordentliche Nuß zu knacken bekommen. Endlich fiel mir ein, wo ich den Namen ›Omelli‹ zuvor gehört hatte. War ich denn völlig vernagelt gewesen? Ich hatte ihn doch häufig genug aus Nikals Mund vernommen! Was hatte er noch über Omellis Leute gesagt? Ich dachte fieberhaft nach, was mir schwerfiel, weil mir der Schädel noch von Akims Schlag brummte. Ja, das war es gewesen: Bin dann bei Omellis Truppe gelandet. War ein guter Haufen, aber ich habe sie verloren.

Mir stiegen Tränen in die Augen, als ich in meinem Kopf das vertraute Echo von Nikals Stimme vernahm. Entschlossen schüttelte ich sie weg. Diese dauernde Heulerei mußte ich mir dringend wieder abgewöhnen. Wie ein verdammtes Mädchen!

Ich ließ mich zurücksinken. Was hatte ich nur angerichtet! Wie es aussah, war alles ein riesengroßes Mißverständnis: Tom und sein Begleiter gehörten zu Omellis Leuten, die Nikal so schmerzlich vermißt hatte, und ich hatte den wohlmeinenden armen Tom geschlagen, bespuckt, aufs übelste beschimpft ... ich stöhnte laut auf.

»Halt den Wagen an!« rief Tom draußen aufgeregt. »Hast du das gehört? Was mußtest du das arme Kind auch so hart schlagen?« Ich hörte ihn vom Bock springen und um den Wagen herumlaufen. Er riß die Tür auf und war mit einem Satz bei mir. Sein besorgtes Gesicht beugte sich über mich. Begeistert sah ich auf seinen Mund. Dort war erstaunlicherweise keine Spur einer Verletzung mehr zu sehen. Dann wagte ich es, in seine Augen zu sehen. In ihnen stand kein Haß, wie ich eigentlich erwartet hatte, nur Sorge.

»Hast du Schmerzen?« fragte er. Ich schüttelte beschämt den Kopf, was ein Fehler war. »Natürlich hast du Schmerzen!« rief Tom empört. »Akim, du brutaler Mensch, gib dem Jungen was für seinen Kopf!« Er begann, meine Fesseln zu lösen, hielt inne, sah auf mich herunter. »Versprichst du mir, nicht gleich wieder auf mich loszugehen?«

»Versprochen«, flüsterte ich. Er band mich los und half mir hoch. Ich rieb meine Handgelenke und mied seinen Blick. Akim kletterte zu uns hinein und drückte mir eine kleine Kapsel in die Hand.

»Schlucken«, sagte er knapp und unfreundlich und ging hinaus. Kurz darauf ruckte der Wagen wieder an. Ich drehte die Kapsel unschlüssig zwischen den Fingern und spürte Toms Augen auf mir ruhen. Schwerfällig hob ich den Kopf und erwiderte seinen Blick. Er streckte mir eine Hand entgegen, die ich zögernd ergriff. Sein Gesicht hellte sich auf, und er zog mich an sich.

»Verzeih mir«, sagte ich leise. »Ich habe euer Gespräch mitangehört und wahrscheinlich alles schrecklich falsch verstanden.« Er strich sacht über meine schmerzende Stirn.

»Laß, chu-chula. Wir reden später darüber, wenn du dich wieder besser fühlst. Nimm jetzt deine Medizin.« Ich gehorchte, und wir saßen lange Zeit schweigend nebeneinander.

»Reiter hinter uns!« rief Akim. Ich fuhr hoch und hielt meinen schmerzenden Schädel.

»Verdammnis!« fluchte Tom. »Wie nah sind sie?«

»Zu nah, als daß der Junge noch vom Wagen springen könnte. Sie haben uns gleich eingeholt.«

Tom ergriff eine der Kisten mit seinen Requisiten und kippte sie aus. »Los, rein.«

Ich quetschte mich in das viel zu kleine Behältnis. Tom häufte Kostüme und Decken auf mich und warnte: »Mach keinen Mucks! Akim und ich werden versuchen, sie von einer Durchsuchung abzuhalten.« Ich bebte vor Furcht. Jeder, der auch nur einen etwas genaueren Blick ins Wageninnere warf, mußte erkennen, daß ich in dieser Kiste hockte.

Draußen ertönten Rufe und lauter Hufschlag. Ich erkannte Ioanns Stimme, und mein Herz sank mir auf die Füße. Nikals Stellvertreter war ein fähiger, gewissenhafter und äußerst gründlicher Mann, der Kommandant hatte seine Fähigkeiten sehr geschätzt.

Akim zügelte das Pferd und ließ einen freundlichen Gruß hören, Ioann grüßte ebenso beflissen zurück und entschuldigte sich, daß er den Heiler angehalten hatte. Die beiden tauschten noch einige Höflichkeiten aus, dann kam Ioann zur Sache.

»Wir suchen einen Ausreißer, den Jungen Elloran. Du erinnerst dich sicher an ihn, er war oft mit deinem Begleiter zusammen.«

Akim tat so, als müsse er überlegen. »Ach, sicher«, sagte er dann in gleichgültigem Ton. »Dieser lästige rothaarige Stallbursche. Was hat er denn angestellt?«

»Er ist ausgerissen, wie ich schon sagte«, brummte Ioann.

»Und da schickt der Burgherr seine halbe Wache hinterher? Einem ausgerissenen Stallburschen? Schätzt ihr all euer Gesinde so hoch?« spottete Akim. Ich preßte die Faust an den Mund, um nicht loszuprusten. Der brave Ioann war der spitzen Zunge des Heilers in keiner Weise gewachsen. Hoffentlich übertrieb Akim es nicht.

»Es handelt sich um den Sohn des Herrn«, druckste Ioann herum. Es war ihm hörbar peinlich. »Ein mißratenes Früchtchen, aber der Herr Morak wünscht, daß wir ihn zurückbringen.« Ich hörte ein Echo von meines Vaters Stimme, und es lief mir eiskalt über den Rücken: Ich will ihn wiederhaben, lebend oder tot ... Draußen leugnete Akim inzwischen, seit Verlassen der Burg auch nur ein Fädchen von mir gesehen zu haben. Es klang recht überzeugend. Er wünschte Ioann viel Erfolg bei seiner Suche und ließ den Wagen anfahren. Meine Erleichterung war allerdings nicht von langer Dauer.

Ioann sagte bedauernd, aber fest: »Bitte erlaube mir, einen kurzen Blick in deinen Wagen zu werfen. Ich muß meinem Herrn melden können, daß ich mich mit eigenen Augen davon überzeugt habe, daß der Junge nicht mit euch reist.« Ich hörte den hartnäckigen Unterton in seiner höflichen Stimme und unterdrückte ein Seufzen. Nikal hatte ihn wirklich ausgezeichnet und gründlich ausgebildet.

Akims Antwort ließ keinen Unmut erkennen. »Bitte, Kommandant, sieh dich ruhig um«, sagte er zuvorkommend. »Aber nimm ein wenig Rücksicht auf meinen kranken Begleiter, der hinten liegt und schläft. Er hat sich wohl bei euch auf der Burg ein böses Fieber zugezogen. Ich bin nicht ganz sicher, ob es ansteckend ist, also sei vorsichtig.«

Das war großartig! Woher wußte Akim von Ioanns Furcht vor ansteckenden Krankheiten? Jetzt würde er sicher nicht selbst den Wagen durchsuchen, sondern einen seiner Männer schicken. Das erhöhte meine Chancen, unentdeckt zu bleiben, gewaltig.

Die Tür öffnete sich ein kleines Stück, und durch den Spalt zwängte sich eine der Wachen. Tom ließ schwere, mühsame Atemzüge hören. Ich schielte unter den Decken hervor und wagte keine Wimper mehr zu rühren. Der Soldat trat einen zögernden Schritt auf den vermeintlich Schwerkranken zu. Tom wälzte sich herum und stöhnte, als sei er von gräßlichen Schmerzen geplagt. Der Soldat hielt respektvoll Abstand und rührte ein wenig zwischen dem Zeug auf dem Boden herum. Dabei kam er mir in meinem Versteck gefährlich nahe.

Tom schrie plötzlich mit gräßlicher Stimme gellend auf: »Nehmt es weg! Bitte, nehmt es weg!« Der Mann fuhr zurück und stieß hart gegen die Seitenwand des Wagens. Tom hatte sich halb aufgerichtet und seine Arme wie in höchster Angst abwehrend ausgebreitet. Sein Gesicht war totenbleich mit lodernden, kreisrunden Flecken auf den Wangenknochen. Die Augen lagen in tiefen, schwarzen Höhlen und brannten in einem irrsinnigen Feuer. Er hatte den Mund weit aufgerissen und starrte den armen Soldaten an, der dastand wie eine Kuh, wenn es donnert. Ich bekam eine Gänsehaut. Tom griff mit klauenähnlichen Händen, aus denen ich lange Krallen wachsen zu sehen vermeinte, nach dem Mann und stöhnte mit Grabesstimme: »Du bleibst bei mir! Aber zuerst nimm es weg!« Seine Stimme steigerte sich zu einem infernalischen Kreischen. Der Soldat riß sich los, stolperte über Toms Jonglierbälle und fiel fast aus dem Wagen. Tom tobte sicherheitshalber noch eine Weile weiter, dann ließ er seine Schreie und sein Stöhnen langsam abebben und verstummen.

»Du kannst aufhören«, hörte ich Akims trockene Stimme sagen. »Sie sind sicher schon über die Landesgrenze, so schnell sind sie abgehauen. Ich sehe nur noch ihre Staubwolke.« Ich kämpfte mich unter den staubigen Kleidern hervor und nieste erst einmal herzhaft.

»Wohlsein«, sagte Tom, der breit grinsend mitten in der Kabine hockte. Sein todbleiches, rotgeflecktes Gesicht war noch immer das eines Tobsüchtigen, mit tiefen schwarzen Ringen unter lodernden Augen und einem geifernden, verkrusteten Mund. Jetzt, da er im Licht saß, sah es womöglich noch erschreckender aus als vorher im Halbdunkel.

»Was so ein bißchen Schminke alles ausmacht, nicht?« erklärte er zufrieden und wischte sich mit einem angefeuchteten Tuch den Wahnsinn aus dem Gesicht.

»Diese Nummer klappt doch immer«, kommentierte Akim von draußen. Auch er klang ungewöhnlich befriedigt. Die beiden wirkten auf mich wie kleine Jungen, die einem mißliebigen Lehrer einen gelungenen Streich gespielt hatten.

»Ich danke dir«, sagte ich atemlos. »Daß du das für mich getan hast, wo ich doch gerade ...« Tom verschloß meine Lippen mit seiner großen Hand.

»Halt die Klappe«, murmelte er zärtlich. »Das hier hat mir sehr viel Spaß gemacht, und außerdem liebe ich dich, hast du das etwa schon wieder vergessen?« Ich sah ihn sprachlos an. Er beugte sich über mich und gab mir einen Kuß mitten auf meinen erstaunten Mund.

»Reiter hinter uns«, meldete Akim.

»Nicht schon wieder!« stöhnte Tom und ließ mich los.

»O Mist!« schrie ich und begann, die Sachen wieder aus der Kiste zu kippen.

»Entwarnung!« übertönte Akim unsere Aufregung. »Unser kleiner Liebling ist im Anmarsch.« Er ließ den Wagen anhalten.

Neugierig steckte ich den Kopf aus dem Wagen. Mein Brummschädel war inzwischen wie weggeblasen, sei es durch Akims Medizin oder wegen des ausgestandenen Schreckens. Hinter uns auf dem Weg, der uns inzwischen durch die üppigen Wiesen L'xhans führte, näherte sich ein riesenhaftes schwarzes Roß mit einer ebenso riesigen Frau auf seinem Rücken. Staunend betrachtete ich die herangaloppierende Reiterin, die jetzt fast in Rufweite war. Ihre weite, lose Kleidung flatterte, das kinnlange, rotblonde Haar flog um ihren Kopf, und ein breites Lachen lag auf ihrem ebenmäßigen Gesicht. So hatte ich mir immer die Sturmkriegerinnen von Nisgard vorgestellt.

»Heia, Tom! Ho, Akim!« rief sie und schwenkte den Arm. Ich hatte noch nie solch eine große Frau gesehen, mit derart breiten Schultern und langen, kräftigen Beinen und Armen. Sie war nicht dick, eher muskulös, dabei aber wohlproportioniert; mit festen, runden Brüsten unter einer offenherzigen weißen Tunika und vollen Hüften in einer rockweiten schwarzen Hose. Um ihre erstaunlich schmale Taille schlang sich ein breiter gelber Stoffschal und darüber ein schmaler Ledergurt mit einem daran befestigten Beutel. Die sommersprossigen Hände peitschten die Zügel, und um die weißen Handgelenke lagen breite schwarze Lederbänder.

Sie hatte uns nun erreicht und zügelte ihren prachtvollen Hengst, daß die Kiesel unter seinen Hufen nur so spritzten. Kaum, daß er stand, war sie schon aus dem Sattel gesprungen und flog erst Akim, dann Tom um den Hals. Erstaunlicherweise trug sie keinerlei Schuhwerk, ihre Füße waren bloß wie die eines Bauernmädchens beim Ziegenhüten.

»Ich hatte schon Angst, ich hätte euch verloren, wie Kolja«, lachte sie atemlos und sprudelte dann einige schnelle Worte in einer fremden Sprache heraus. Tom erwiderte ihre Umarmung sehr herzlich, und ich verspürte einen kurzen, heftigen Stich – Eifersucht?

»Sei nicht unhöflich, Kleine«, mahnte er sanft. »Wir sind nicht allein.« Sie hörte auf, zu sprechen und sah sich um.

»Oh?« rief sie erstaunt und reichte mir dann strahlend die Hand. »Ranan Millen, zu deinen Diensten.« Ich murmelte meinen Namen. »Wie schön!« sagte sie nachdrücklich. »Eine Frau in meiner Größe, das ist selten hierzulande.«

Tom lachte laut auf, und ich wurde rot. Ranan sah freundlich verwirrt von einem zum anderen. Ihre arglosen meerblauen Augen hefteten sich fragend auf den unterdrückt kichernden Heiler.

Der sagte kopfschüttelnd: »Ran, Ran, ich glaube, mir würde wirklich was fehlen, wenn es dich nicht gäbe.« Er stieg wieder auf den Bock. Ranan schüttelte den Kopf, zog die Nase ulkig kraus und grinste verdutzt. Ich stimmte in Toms Lachen ein. Der Kontrast zwischen dem Äußeren dieser Riesenfrau und ihrem einfältigen Auftreten war wirklich zu frappierend.

Tom wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ran, Liebes, verzeih. Wir haben dich nicht auslachen wollen. Elloran ist der Sohn des Schloßherren von Salvok.« Ihre Augen wurden kugelrund vor Staunen. Um Verzeihung bittend, sah sie mich groß an. Ich nickte ihr lächelnd zu. Sie hatte mich nicht beleidigen wollen, und sie war kein Mensch, dem man ernsthaft böse sein konnte.

Tom fuhr grinsend fort: »Außerdem ist dein Irrtum sehr verständlich. Der Bursche könnte langsam einen Haarschnitt vertragen.« Er nahm eine Strähne meines Haars zwischen die Finger und zog neckend daran. Tom hatte recht. Ich hatte schon lange keinen Spiegel mehr zu Gesicht bekommen – zumindest nicht, um mich mit Muße darin zu betrachten – aber meine Mähne mußte inzwischen schulterlang sein und fühlte sich zudem recht zottelig an. Ranan lächelte wieder, ihr sommersprossenübersätes Gesicht wirkte fröhlich.

»Ich kann sie dir schneiden«, bot sie mir an, »ich bin ziemlich gut mit sowas.« Ich sah unwillkürlich auf ihre Hände. Sie schienen trotz ihrer Größe feingliedrig und geschickt zu sein.

»Ja, gerne«, antwortete ich bereitwillig. Sie machte eine Bewegung, als wolle sie sogleich ihr Messer zücken, aber Akims unwirsche Stimme hielt sie zurück.

»Wollen wir hier Wurzeln schlagen, oder soll es heute noch weitergehen? Wir sind lange genug aufgehalten worden.« Er wartete keine Antwort ab, sondern ließ den Schimmel antraben. Ich kletterte hastig neben Akim auf den Sitz, und Tom band, neben dem anrollenden Wagen herlaufend, das Biest los und sprang auf seinen ungesattelten Rücken. Er ritt lieber ohne Sattel, aber das Biest schätzte dies nicht sehr. Es bockte und versuchte ihn abzuwerfen, doch Tom saß wie festgenagelt.

»Wo hast du Quinn gelassen?« fragte er, als wir wieder auf dem Weg waren. Ranan rieb zerstreut mit den Fingern über eines der breiten Armbänder, als würde es sie stören.

»Etwa einen Tagesritt hinter mir. Wir haben in einem Gasthof übernachtet, dessen Wirtin einen eigenartigen Dialekt sprach ...«

»Ran, reite schon mal voraus. Ich glaube, das muß ich mir etwas genauer ansehen«, unterbrach Akim sie mit einer fremd klingenden, heiseren Stimme. Ich sah verdutzt zu ihm hinüber.

»Und sag den beiden Jungs, sie sollen keinen Unfug machen«, echote Tom von der anderen Seite des Wagens. Dann brachen alle drei in Gelächter aus.

»Ja, so etwa«, gluckste Ranan. »Der Cap – Quinn stößt spätestens in der Kronstadt zu uns. Wir sollen dort auf jeden Fall warten.« Sie hatte sich mittendrin unterbrochen und mir einen unsicheren Blick zugeworfen. Jetzt drehte sie sich zu Tom um, der zurückgefallen war und mit dem Biest schimpfte, und rief ihm in fragendem Tonfall etwas zu. Er holte auf und lenkte sein Pferd neben ihren Schwarzen. Das Biest schnappte nach Ranans Rappen, aber Tom brachte es zur Räson.

»Ranan, du bist wirklich zu unhöflich«, tadelte er. »Warum sprichst du nicht so, daß Elloran dich auch verstehen kann?« Sie fauchte eine erbost klingende Erwiderung und verstummte. Tom sah mich an und hob die Schultern.

»Mach dir nichts draus, Elloran«, rief er. »Die Kleine fremdelt noch ein wenig, aber das dürfte sich bald legen.«

Gegen Abend lagerten wir an einem Bach in der Nähe eines kleinen Gehölzes. Tom zog los, um ›unseren Speisezettel etwas interessanter zu gestalten‹, wie er es nannte. Ich war gespannt, mit welcher Art von Nahrung er wieder auftauchen würde. Falls er vorhatte zu jagen, fragte ich mich, wie er das anstellen wollte, da er wie immer keine weitere Waffe als sein kleines Messer am Gürtel trug. Ich kümmerte mich derweil um unser Feuer – dieses Mal, um Streitereien zu vermeiden, auf dem üblichen Weg, mit meinem Feuerstein – und Ranan räumte die Packtaschen ihres Pferdes aus und lud einiges daraus auf den Wagen. Es waren verschiedene in Tücher und Decken eingewickelte Packen dabei, die sie behutsam und mit großer Sorgfalt behandelte, als wäre ihr Inhalt wertvoll und zudem zerbrechlich.

»Ah, da ist es!« rief sie triumphierend und schwenkte ein gefährlich scharf aussehendes Messer durch die Luft. »Komm her, Elloran, jetzt stutze ich dir dein Haar.« Sie zog mich zu einem moosüberwachsenen Baumstamm und hieß mich niedersetzen. Mit zusammengezogenen Brauen und angestrengt gerunzelter Stirn, die volle Unterlippe zwischen den makellos weißen Zähnen, begann sie, an meiner Stirnlocke herumzusäbeln. Ihre erstaunlich schmalen Hände waren wirklich so geschickt, wie sie gesagt hatte.

Tom kam von seinem Beutezug zurück, ein Kaninchen in der Hand und vier Nebeltauben an seinem Gürtel baumelnd. Ich staunte ihn an. Er warf die Beute Akim zu, der sich freiwillig zum Küchendienst gemeldet hatte – Toms und meine Kochkünste schienen ihm nicht sehr zuzusagen – und steuerte Ranans improvisierte Barbierstube an. Er trat hinter mich und legte mir die Hände auf die Schultern. Wie jedesmal, wenn er mich berührte, durchfuhren mich kleine Schauer.

Mit beiden Händen griff er liebkosend in meine Haare und sagte bedauernd: »Eigentlich wäre es schade darum. Willst du sie ihm wirklich abschneiden?« Ranan hatte das Messer sinken lassen und sah ihn ganz überrascht an. Als er sich jetzt auch noch über mich beugte und mich auf den Mund küßte, fiel ihr Unterkiefer etwa bis auf Kniehöhe.

»Mach den Mund zu, Ran, und schneide weiter. Aber nicht zu kurz«, empfahl Tom und wechselte zu Akim hinüber, um ihm beim Ausnehmen der Tiere zu helfen. Ranan blickte ihm fassungslos hinterher, das Messer reglos in der Luft.

»Also gut. Dann lassen wir sie eben lang«, sagte ich enttäuscht. Hatte der wankelmütige Tom nicht selbst den Haarschnitt gewollt? Ich würde mir meine Haare zusammenbinden müssen, damit sie mir nicht ständig ins Gesicht flogen. Insgeheim war ich ein bißchen stolz darauf, daß mein Äußeres ihm etwas zu bedeuten schien. Ranan gab einen erstickten Laut von sich, löste sich aus ihrer Erstarrung und säbelte dann vorsichtig weiter.

Mit fettigen Fingern saßen wir später um das schwelende Feuer, satt und zufrieden. Akims Kochkünste konnten sich wirklich sehen lassen. Ich lehnte träge an Toms Knien, und er spielte mit meinen Locken. Er wickelte sich eine Strähne um den Finger und zog sanft daran. Ich wandte ihm mein Gesicht zu, und er küßte mich. Ranan, die an einem Kaninchenknochen saugte, sah sehr betont in eine andere Richtung. Akim stocherte zwischen seinen Zähnen herum und grinste in sich hinein. »Sag mal«, wandte er sich an sie. »Wie war es eigentlich in S'aavara? Du hast noch gar nichts davon erzählt.«

Ranan spuckte einen Knorpel aus und warf den Knochen ins Feuer. »Lustig«, sagte sie gedehnt. Akim zog die Brauen hoch und wechselte einen Blick mit Tom.

»Wieviele Tote?« fragte Tom gleichmütig. Ich starrte ihn an. Seine Finger hatten nicht aufgehört, mit meinem Haar zu spielen. Ranan zog wieder ihre kurze Nase kraus und spitzte die Lippen.

»Ich weiß gar nicht, was du von mir willst«, beklagte sie sich, aber es klang nicht sehr überzeugend.

»Wie viele ahnungslose S'aavaraner hast du auf ihre unwiderruflich letzte Reise geschickt?« Und, seufzend, als er ihre unschuldsvolle Miene sah: »Oder, anders ausgedrückt, wieviele dunkelhäutige Witwen und Waisen mehr als vor deinem kleinen Ausflug beherbergt dieses beklagenswerte Land nun?«

Ranan zuckte die Achseln und sah beleidigt aus. »Ach, geh doch und fang ein paar Mäuse!« schnappte sie.

Ich schluckte. Mir fiel die Unterhaltung der beiden Männer ein, die ich so schrecklich mißverstanden zu haben meinte – oder vielleicht doch nicht? Wie war das noch gewesen mit dem ›schmutzigen Metier‹ und den ›blutigen Angelegenheiten‹? Sollte diese unschuldig dreinblickende junge Frau wahrhaftig eine der legendären Mordsöldnerinnen sein, von denen nur hinter vorgehaltener Hand erzählt wurde? Jeder Soldat, den ich kannte, leugnete die Existenz käuflicher Mörder, aber es gab genügend Hinweise darauf, daß es sie geben mußte. Schließlich war sogar der Vater der jetzigen Krone dem Anschlag gedungener Mörder erlegen.

Wegen meiner düsteren Überlegungen hatte ich den Anfang einer Geschichte verpaßt, die Ranan jetzt auf Drängen der beiden Männer vortrug.

» ... dann bin ich dahintergekommen, daß dieser Schweinehund von Karawanenführer versuchte, mich an den minor, den jüngeren der beiden T'jana-Fürsten, zu verkaufen. Der hätte wohl gerne eine Frau meiner Farbe in seinem Harem gehabt.« Sie errötete mädchenhaft und fuhr fort: »Ich hab mir den Mistkerl gegriffen und ihm den Arm gebrochen. Als ich ihm damit drohte, seine Eier abzureißen und ihm durch die Ohrläppchen zu fädeln, hat er gejammert und mir drei seiner besten Kamele angeboten, wenn ich ihn laufen ließe.« Sie schlug sittsam die Augen nieder und wartete höflich ab, bis sich das dröhnende Gelächter der Männer gelegt hatte.

»Und, hast du sie genommen?« krächzte Tom und wischte sich die Augen.

»Ja, natürlich«, sagte Ranan fast empört. »Es waren drei wirklich schöne Tiere; ich habe sie dem Fürsten verkauft. Er wollte mich zwar gleich als Dreingabe dabehalten, aber als ich ihm sagte, daß er mit einem Kopf auf den Schultern sicher viel besser aussehen würde, ließ er mich gehen. Er hat einen sehr guten Preis für die Tiere bezahlt.«

Tom kicherte und zog mich fester an sich. »Du bist eine freche Göre, Ran. Hast du neben deinen privaten Vergnügungen auch noch das eine oder andere von dem erledigen können, weswegen Quinn dich nach S'aavara geschickt hat?« Seine Lippen gingen wieder auf mir spazieren, aber trotz der Ablenkung bemerkte ich den wachsamen Blick, den Ranan mir zuwarf, ehe sie widerstrebend antwortete.

»Ja, so gut wie alles. Omelli hatte recht; es sieht mehr als übel aus. Da versucht jemand, gründlichen Ärger zu machen.« Tom setzte sich auf, und ich konnte mich gerade noch mit den Händen abfangen, ehe ich ins Feuer rollte.

»Entschuldige«, sagte er geistesabwesend. »Was meint Quinn dazu?«

»Wir sollen Galen abholen und dann zu Omelli zurückkehren.« Ihre Stimme klang unglücklich.

Akim, der bis dahin stumm zugehört hatte, sog scharf den Atem ein. »Und Nikolai?« fragte er. Ranan antwortete nicht, aber ihr Gesicht sprach Bände. Tom sprang auf und entfernte sich ein paar Schritte vom Feuer. Sein Gesicht war angespannt und wirkte im flackernden Feuerschein wie eine fremde, böse Maske.

»Da spiele ich nicht mit«, sagte er wütend. Ranan sah ihn nicht an; sie drehte unruhig an ihren Lederarmbändern herum. »Akim«, sagte Tom beschwörend, »das können wir nicht machen!«

Akim seufzte. »Was willst du denn tun, Kater? Meutern?« Tom stieß einen erbitterten Fluch aus und trat gegen einen Ast, der aus dem Feuer herausragte. Die Funken stoben wie Glühwürmchen hoch in die Luft.

»Komm, laßt uns schlafen gehen«, sagte Akim begütigend. »Wir werden morgen weitersehen.« Tom fuhr mit einem Fauchen herum und verschwand in der Dunkelheit. Ich wollte ihm folgen, aber Akim hinderte mich daran.

»Laß ihn lieber allein, Landplage. Er beruhigt sich schon wieder.« Er reckte sich und klopfte Ranan auf den Rücken. »Komm, altes Mädchen. Wir wollen morgen nicht so spät los. Sonst ist Quinn am Ende noch vor uns in der Kronstadt.«

Mitten in der Nacht wurde ich dadurch geweckt, daß jemand unter meine Decke schlüpfte. Ich murmelte schlaftrunken: »Tom?«

»Psch. Schlaf weiter«, flüsterte er und zog mich an sich. Ich seufzte zufrieden und kuschelte mich eng an ihn. Er roch ungewöhnlich fremd: nach feuchtem Laub und harzigem Holz. Sein Arm legte sich um mich, und ich sank beruhigt zurück in den Schlaf.

Der Morgen dämmerte schwül und drückend herauf, die Sonne war leicht verschleiert, als hinge ein Gewitter in der Luft. Tom war mürrisch und schweigsam. Er ritt auf dem Biest voraus und ließ sich den ganzen Vormittag nicht sehen. Vorsichtig begann ich mich mit Ranan etwas besser bekannt zu machen. Ein Rest von Mißtrauen gegen die Beweggründe dieser seltsamen Reisegruppe war anscheinend in meinem Herzen zurückgeblieben, trotz der heftigen Zuneigung, die ich für Tom empfand. Ich war immer noch nicht restlos davon überzeugt, daß sie Nikal nicht übelwollten.

Bei unserer ersten Rast packte die große Frau eines der geheimnisvollen Bündel aus, die sie mitgebracht hatte. Aus der Umhüllung tauchte etwas auf, das ich nicht einordnen konnte. Ranan sah darauf nieder wie ein Kind auf sein erstes Rauhnacht-Geschenk. Fast zärtlich nahm sie den Gegenstand in die Hände und drehte ihn vor ihren Augen hin und her. Dann holte sie aus dem Beutel an ihrem Gürtel ein schlankes Metallinstrument und bearbeitete das Ding damit. Indem sie das Instrument beständig zwischen den Fingern drehte, löste sie nacheinander mehrere kleine Metallstifte aus dem Gegenstand heraus und nahm dann eine seiner Wände ab, die anscheinend mit den Stiften befestigt gewesen war. Neugierig ergriff ich eines dieser kleinen Dinger und betrachtete es genauer. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein sehr kurzer Nagel, aber sein breiter, flacher Kopf hatte Vertiefungen, in die der untere, flache Teil des Instruments, das Ranan jetzt beiseitegelegt hatte, genau hineinpaßte. Das Bein des Stiftes war eigentümlich in sich gedreht, nicht glatt wie ein Nagel. Ranan war jetzt völlig in das Innere des Gegenstandes vertieft. Ihre Finger steckten in seinem Inneren, und ihr Gesicht war ganz verkniffen vor Konzentration. Endlich fluchte sie und zog ihre Hand heraus.

»Mit meinen verdammten Wurstfingern komme ich nicht weiter«, schimpfte sie und rieb hektisch über das Armband an ihrem rechten Handgelenk. »Hölle und Verdammnis, ich halte das nicht aus!« Sie griff wutentbrannt nach dem Lederband und wollte es anscheinend abreißen, aber Akim, der auf ihren Ausruf besorgt herbeigeeilt war, hielt ihre Hand fest.

»Kleines, du weißt, daß du sie nicht abnehmen solltest«, sagte er fast liebevoll. Sein Gesicht wirkte mitleidig. Er hielt ihre Hand weiter fest und streichelte sie besänftigend. Ranan sträubte sich noch ein wenig, dann entspannte sich ihr verzerrtes Gesicht. Sie lächelte Akim an.

»Danke, Maddoc. Ich werde vernünftig sein, versprochen.« Er nickte und strich ihr im Fortgehen noch einmal über die Schulter. Sie seufzte und packte das seltsame Ding wieder in seine Umhüllung.

»Was ist das?« wagte ich eine Frage. Sie sah verstört auf, als hätte sie vergessen, daß ich neben ihr hockte.

»Oh, das. Das ist ein – Artefakt, das ich in S'aavara erstanden habe. Alt, uralt. Wahrscheinlich älter als alles, was du je gesehen hast.«

»Wozu hat es gedient? Oder ist es Zierrat?«

»Ich weiß es nicht – noch nicht. Wenn ich das richtige Werkzeug hätte, und meine Finger nicht so verdammt ungeschickt und grob wären ...« Ich mußte lachen. Sie sah mich verständnislos an.

»Die reinsten Blutwürste«, kicherte ich und deutete auf ihre schlanken weißen Finger. Sie sah verwirrt darauf nieder, dann grinste sie verlegen.

»Ich weiß, das klingt seltsam. Aber für solch feine Arbeit ...«, sie seufzte wieder und legte das Paket zurück in den Wagen. Dann streckte sie sich, daß die Nähte der engen roten Weste, die sie heute anstelle ihrer weißen Tunika trug, gefährlich knirschten. Sie reichte mir eine Hand und zog mich hoch.

»Gehen wir schwimmen«, schlug sie vor. Es war eine gute Idee, denn mir klebten die Kleider am Leib, und das seit Stunden über uns hängende Gewitter ließ auf sich warten.

Nahe unserem Rastplatz hatte Ranan einen kleinen See entdeckt. Einladend lag er da, sein Wasser wirkte klar und kühl. Ranan stieß einen kleinen Schrei des Entzückens aus und riß sich die Kleider vom Leib. Sie war schon im Wasser, als ich mich noch zögerlich aus meinen Sachen schälte. Wie immer wollte ich meine Wäsche anbehalten, aber dann schalt ich mich einen Narren. Wen störte es noch, wie ich aussah, es wußten doch ohnehin alle über mich Bescheid. Und sollte Ranan es wahrhaftig noch nicht erfahren haben, dann wußte sie es eben jetzt. Ich warf meine Wäsche auf den Kleiderhaufen und lief zum Seeufer hinunter. Ranan tauchte gerade auf, die rotblonden Haare wie eine enganliegende Kappe an den Kopf geklebt.

»Na los, komm schon rein! Es ist wunderbar«, rief sie mir zu und tauchte wieder unter. Ich sah ihren weißen Körper wie einen riesigen Fisch durch das Wasser schießen. Mit einem entschlossenen Sprung tauchte ich neben ihr ein. Das eisige Wasser benahm mir zuerst den Atem, aber nach ein paar Schwimmstößen streichelte es nur noch angenehm kühl über meine prickelnde Haut. Ranan tauchte prustend neben mir auf und schüttelte sich lachend die Tropfen aus dem Gesicht. Sie legte sich auf den Rücken und ließ sich treiben. Zuerst wagte ich nicht, sie anzusehen, sondern richtete meine schamhaften Blicke ans gegenüberliegende Seeufer. Auf Salvok pflegte man sich nicht unverhüllt vor Angehörigen des anderen Geschlechtes zu zeigen, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals eine der Frauen der Burg ohne ihre Kleider gesehen zu haben.

»Was ist los mit dir?« neckte sie mich, als sie meine Verlegenheit bemerkte. Wassertretend nahm sie mein Gesicht zwischen die Hände und drehte meinen Kopf zu sich herüber. »Sieh mich ruhig an, das tut mir nicht weh«, lachte sie. Ihre runden weißen Brüste, die da vor meinen Augen schwammen, waren genauso von Sommersprossen übersät wie offenbar jeder einzelne Zentimeter ihres Körpers. Sie sah meinen gefesselten Blick und kicherte. Dann tauchte sie mich ohne Vorwarnung unter. Ich schluckte eine ordentliche Portion Wasser und schlug panisch um mich. Sie ließ mich los, und ich kam keuchend wieder an die Oberfläche und spuckte eine Mundvoll Entengrütze aus.

»Na warte«, knurrte ich und hechtete auf sie los. Wir umklammerten uns lachend und tauchten unter. Sie war glatt und wendig wie ein Fisch und genauso schlecht zu fassen. Ich griff nach ihren Handgelenken und fand schlüpfrigen Halt an einem ihrer Armbänder. Sie lachte Luftbläschen und riß sich los, doch das Lederband blieb in meiner Hand zurück. Plötzlich stand Panik in ihrem Gesicht. Ich tauchte neben ihr aus dem Wasser und grinste sie an.

»Komm, hol es dir«, lockte ich und wedelte mit dem Armband vor ihrer Nase herum. Sie umklammerte ihr nacktes Handgelenk mit der anderen Hand und schüttelte unglücklich den Kopf.

»Bitte, Elloran, gib es mir zurück«, bat sie leise. In ihrer Stimme lag etwas, das ich nicht recht deuten konnte – Furcht? Ich wollte sie nicht wirklich ärgern, und da sie die Angelegenheit derart ernst zu nehmen schien, reichte ich ihr das Armband. Dankbar griff sie danach, und ich konnte einen flüchtigen Blick auf ihr Handgelenk erhaschen, bevor sie es eilig wieder bedeckte. An dem Gelenk schien etwas zu wuchern: kleine, seltsam geformte Knospen, die Ähnlichkeiten mit dünnen hautfarbenen Wurzeln aufwiesen. Was für eine Art von Krankheit konnte solche Verwachsungen hervorrufen?

Ranan bemerkte meinen Blick und errötete. »Bitte, sag Akim nichts davon. Er würde sich schrecklich darüber aufregen, und es ist doch nichts passiert.« Sie sah mich flehend an.

Ich lächelte ihr aufmunternd zu. »Ich habe nichts gesehen.« Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, aber warum sollte ich sie noch weiter beunruhigen. Ich verstand ohnehin nicht, was ich da gesehen hatte, also war es nur halb gelogen. Sie warf mir einen dankbaren Blick zu, und in einträchtigem Schweigen stiegen wir aus dem Wasser und zogen unsere Kleider über die nassen Körper. Tom war inzwischen wieder in der Nähe. Immer noch verbissen schweigend, nahm er einige Barsche aus, die er gefangen hatte.

»Wie macht er das eigentlich?« fragte ich Ranan. Sie sah mich fragend an, die Zungenspitze zwischen den Zähnen. »Ich meine, wie fängt er ohne Hilfsmittel Kaninchen oder Tauben? Er hat weder Schlingen noch Pfeile, nur sein albernes kleines Messer.« Sie zog die Schultern hoch.

»Wozu braucht eine Katze Hilfsmittel?« fragte sie zurück. Es klang ganz und gar nicht nach einer scherzhaften Bemerkung, und ich verzichtete darauf, sie um eine Erklärung zu bitten. Etwas in ihrer Stimme und die Erinnerung an Toms Raubtiergebiß jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Wir brachten an diesem Tag eine erkleckliche Wegstrecke hinter uns. Das ersehnte Gewitter wollte und wollte nicht niedergehen. Schon kurz nach dem erquicklichen Bad mit Ranan klebten mir meine Kleider erneut am Leib. Ich beneidete sie um ihre weite, leichte Hose und die spinnwebdünne Seide der weißen Tunika, die sie nun wieder angezogen hatte. Meine groben Hosen und die beiden verschossenen Leinenhemden, die ich aus Salvok mitgenommen hatte, mochten gut geeignet gewesen sein, um darin Ställe auszumisten oder Kühe zu hüten, aber inzwischen waren sie nicht mehr allzu sauber und rochen etwas streng. Ich beschloß, alles bei unserer nächsten Rast zu waschen, ehe der Kater mit seiner empfindlichen Nase anfing, meine Gesellschaft zu meiden. Ich hielt vorsichtige Ausschau nach ihm. Das war jetzt der zweite Tag, an dem er sich mit dem Biest immer wieder von uns absetzte. Ich vermißte seine Geschichten und die unanständigen Lieder, mit denen er Akim zu ärgern pflegte. Ich vermißte sogar die Streitereien der beiden. Der Heiler, der ohnehin nicht zu den Gesprächigsten gehörte, saß stumm neben mir auf dem Bock, und Ranan machte im Wagen ein Schläfchen. Ich wischte mir eine feuchte Strähne aus der Stirn und band den Lederstreifen neu, mit dem ich mir angewöhnt hatte, mein Haar zusammenzuhalten.

»Wie weit fahren wir heute noch?« fragte ich Akim. »Ich würde gerne meine Sachen waschen.«

»Ausgezeichnete Idee, Landplage«, knurrte der Heiler. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. »Dann halte ich es vielleicht morgen auch ohne Nasenstopfen neben dir aus.« Ich wurde rot. Akim blickte mit zusammengekniffenen Augen auf den Weg vor uns und sah kurz zum Himmel. »Es ist nicht mehr weit zum Rabenfluß. Dort gibt es einen geeigneten Rastplatz und Wasser für eine gründliche Wäsche. Eine Stunde noch, schätze ich.« Sein Mund klappte hörbar zu und öffnete sich nicht wieder, bis wir dort waren.

Der Rastplatz hielt, was Akim versprochen hatte. Ich schaffte alle Wäsche zum Fluß – in einem Anfall von Tatendrang griff ich mir auch die Kleidungsstücke meiner Mitreisenden – und machte mich ans Werk. Es war nicht so einfach, weil ich mich um solche Einzelheiten der häuslichen Arbeit auf Salvok nie gekümmert hatte. Die Sachen einfach nur ins Wasser zu werfen, machte sie eindeutig nur nasser, aber keineswegs sauberer. Ich walkte sie halbherzig ein wenig durch und hockte mich dann ans Flußufer, um nachzudenken. Oft genug hatte ich Julian bei seinem Reinigungszauber zugesehen. Er schien mir nicht schwierig zu sein, vielleicht sollte ich es einfach damit versuchen. Ich holte Luft und schloß die Augen. Flattern von Flügeln klang an mein Ohr und durchbrach meine Konzentration. Ein Vogel landete auf meiner Schulter, und ein vertrauter Schmerz durchzuckte mein Ohrläppchen.

»Hallo Mag«, sagte ich. Der kleine Räuber blinzelte mich an und ließ mein Ohr los.

»Hallo, Elloran«, rief Julians ferne Stimme.

»Julian, du kommst gerade rechtzeitig. Wie gelingt der Reinigungszauber?« Ich hörte den Magier lachen.

»Ich sehe schon, ein echter Notfall. Hör zu.« Mit seiner fernmündlichen Hilfe waren die Kleider bald in einem annehmbaren Zustand. Ich packte das Bündel zusammen und stellte die Frage, die mich wie immer am meisten bedrückte: »Wie geht es Nikal?«

Magramanir legte den Kopf schief und blinzelte. »Kaum Fortschritte«, antwortete Julians Stimme aus ihrem Schnabel. »Aber mach dir keine Sorgen.«

Ich seufzte und hob die Kleider auf. »Bleibt Magramanir jetzt bei mir?«

»Eine Weile sicher«, antwortete Julian. »Es mag sein, daß ich sie benötige, aber im Augenblick komme ich ohne ihre Hilfe aus.« Sie flatterte von meiner Schulter und kreischte schrill. Dann war sie fort. Das kannte ich schon, ich konnte Magramanir nie für lange Zeit ruhig halten, dafür war sie viel zu neugierig. Julian gelang es eher als mir, aber selbst er mußte vor dieser Aufgabe manchmal kapitulieren.

Akim nahm erfreut seine frischgewaschenen Sachen in Empfang. Sein Gesicht verlor für einen Augenblick den mürrischen Ausdruck, und er lächelte mich sogar an. Ranan grinste, enthielt sich aber klugerweise jedes Kommentars. Tom hatte sich inzwischen eingefunden und bereitete die Fische zu, die er vorhin ausgenommen hatte. Ich ging zu ihm hinüber und hockte mich neben ihn. Dann faßte ich mir ein Herz und beugte mich zu einem zaghaften Kuß zu ihm hinüber. Er erwiderte ihn zu meiner Erleichterung und legte kurz seinen Handrücken an meine Wange. Sein Gesicht wirkte immer noch angespannt, aber er sah nicht mehr so fremd aus. Der ironische Ausdruck seiner türkisgrünen Augen war schon fast wieder der alte. Und, was noch besser war, er roch wieder wie er selbst. Ich drückte meine Nase an seinen Hals und atmete wohlig ein. Ein schwaches Lächeln spielte um seinen Mund und war im selben Augenblick wieder fort. Aber es reichte aus, um mich zufriedener zu stimmen, als ich es den ganzen Tag über gewesen war.

Die Stimmung am Lagerfeuer war fast wieder vertraut. Einen kurzen Moment der Aufregung gab es, als Magramanir zurückkehrte, um ihren Anteil an der Beute zu verlangen. Sie landete zur Abwechslung auf meinem Kopf und lachte keckernd. Akim starrte sie mit offenem Mund an, Ranan verschluckte sich vor Schreck fast an einer Gräte und griff nach ihrem Messer. Tom lüpfte eine Augenbraue und bemerkte nur: »Du hast da was, Elloran.« Ich kicherte verwirrt und bat die hustende Ranan, ihr Messer wieder wegzulegen.

»Das ist Magramanir. Mag, sag guten Tag.« Magramanir öffnete gehorsam den Schnabel und kreischte durchdringend. Dann flog sie ungeduldig auf meine Hand und schnappte sich den Bissen daraus. Ranan lachte laut auf und lockte Magramanir mit einem Fischkopf. Der Rabe setzte sich auf ihr Knie, und die beiden betrachteten sich gründlich. Mir fiel ein, daß möglicherweise gerade Julian durch Mags Augen blicken mochte. Der Gedanke verursachte mir seltsames Unbehagen. Sollte ich anständigerweise meinen Gefährten von der Botinnentätigkeit Magramanirs erzählen? Aber wahrscheinlich würden sie es mir nicht glauben, wenn ich an Toms abwehrende Reaktion auf meinen Feuerzauber zurückdachte. Ich schwieg also, doch das unbehagliche Gefühl blieb. Selbst später, als wir uns zum Schlafen gelegt hatten, verfolgte es mich noch. Ich drehte und wälzte mich herum und fand keine Ruhe.

Tom legte mir eine Hand auf die Brust. »Was ist, Kleiner«, flüsterte er, »kannst du nicht schlafen?«

»Es ist so drückend, Tom«, antwortete ich ausweichend. Er strich mir über die Wange und bettete seinen Kopf an meiner Schulter. Ich lag auf dem Rücken und starrte mit brennenden, weitoffenen Augen in die undurchdringliche Finsternis. Am Himmel war kein Stern zu sehen, die Wolkendecke mußte inzwischen so dicht sein wie ein Wassersack. Die Luft war dick und sämig, ich spürte das Gewitter mit jedem meiner Sinne, es machte mich kribbelig und unruhig. Alles umher schien den Atem anzuhalten und auf den ersten Donnerschlag zu warten.

Meine Schwester hockte neben mir und sah mich an.

»Willst du mir nicht endlich deinen Namen sagen?« fragte ich. Sie seufzte ungeduldig.

»Elloran! Gibt es denn wirklich nichts Wichtigeres?« Ich hörte das leise Klappern von Knochenwürfeln. Meine Schwester stand leichtfüßig auf und blickte unruhig zum Fluß. Dann war sie wieder an meiner Seite. »Sei wachsam«, wisperte sie mir ins Ohr. »Das Spiel geht weiter! Es wäre besser, wenn du jetzt aufwachst.«

»Aber ich bin doch wach!« protestierte ich laut und erwachte mit einem Ruck. Ein Nachhall des Donners, der mich geweckt hatte, rollte noch durch die Luft, dann fegte eine heftige Bö über uns hinweg und trieb Staub und dürres Laub vor sich her. Ein Blitz zuckte und erhellte für Sekundenbruchteile unseren Lagerplatz. Ich war einen Augenblick lang blind, sah nur das helle Nachbild. Reglose Gestalten standen um unser Lager. Donner explodierte unmittelbar über unseren Köpfen, und der Himmel öffnete nun endlich seine Schleusen. Der Regen kam mit der Gewalt einer Springflut über uns. Ich drehte mein Gesicht zum Himmel, den Mund geöffnet und schrie, halbertrunken, vor Wonne. Neben mir sprang Tom aus seiner Decke und kreischte erbost wie eine Katze, der man einen Eimer Putzwasser übergeschüttet hatte. Ich hörte Ranan lachen und den Heiler fluchen, dann blitzte es erneut, und die reglosen Silhouetten um unser Lager, die ich für Büsche gehalten hatte, waren über uns.

Eine Stimme übertönte den Donner und das Rauschen des Regens: »Den Jungen, ihr Idioten!« Über uns am Himmel tobte ein schrecklicher Kampf; unablässig schmetterte ohrenbetäubender Donner, und Blitz um Blitz zuckte über das Firmament und tauchte das Getümmel, in dem wir uns fanden, in zuckend unterbrochene Helligkeit. Rauhe Fäuste packten mich, und ich schlug panisch um mich. Mein Angreifer hatte Pech, ich traf ihn mit meinen blindwütigen Hieben an einer sehr empfindlichen Stelle. Dadurch lockerte sich kurz sein Griff, und ich konnte ihm entschlüpfen. Er fluchte lästerlich und rannte hinter mir her, wild sein Schwert schwingend. Im zuckenden Blitzgewitter sah ich den unbewaffneten Spielmann, der einem der Angreifer gerade seine Hand durchs Gesicht hieb. Der kreischte auf und fuhr zurück, vier parallele Schnitte im Gesicht, und die Haut in blutigen Fetzen herabhängend.

Mein Gegner nutzte meine fatale Geistesabwesenheit aus und warf sich mit einem Satz auf mich. Ich landete hart auf dem Bauch, das Gewicht des Mannes drückte mir mit einem Schlag alle Luft aus den Lungen, und Sterne blitzten vor meinen Augen. »Hab ich dich«, knurrte er. Er packte meine Handgelenke und verdrehte sie schmerzhaft. Dann lockerte sich sein Griff, und die Augen quollen ihm aus dem Kopf.

»Was ...«, röchelte er und griff sich an den Hals. Eine schlanke Peitschenschnur zerrte ihn unbarmherzig von mir herunter. Eine zweite ringelte sich schlangengleich um seine hilflos um sich schlagenden Arme und riß ihn hoch. Ich kam taumelnd und nach Luft ringend auf die Beine. Ranan zerrte den wie einen Fisch an der Angelschnur zappelnden Mann bis vor ihre Füße und zog dann die Peitsche mit einem heftigen Ruck an. Mit einem häßlichen Knacken brach sein Genick. Mir war nicht klar, wo Ranan dieses seltsame und wirkungsvolle Gerät so schnell herbekommen hatte. Aber ich hatte keine Muße, darüber nachzudenken, denn zwei der noch übriggebliebenen Angreifer steuerten nun mit finster entschlossenen Gesichtern auf mich zu. Drei dunkle Gestalten lagen inzwischen still und sehr friedlich auf dem zertrampelten Boden.

Auf der anderen Seite des Lagers hatte sich Tom in den Messerarm eines Mannes verbissen und rollte stumm mit ihm über den schlammigen Boden. Akim verteidigte sich mit etwas, das verblüffend nach einer Bratpfanne aussah, gegen einen brüllenden, schwertschwingenden Riesen, und Ranan sah sich genötigt, sich mit dem Kerl zu unterhalten, den Tom vorhin so übel zugerichtet hatte. Die zwei Dunkelmänner vor mir stellten somit mein ureigenes Problem dar. Ich trat dem einen erst einmal heftig vors Knie. Das brach mir zwar fast den Fuß, stoppte aber fürs erste seinen Angriff.

Der andere versuchte, in meinen Rücken zu gelangen. Ich drehte mich verzweifelt; dadurch kam ich wieder in Reichweite des ersten, der damit aufhörte herumzuhüpfen und mir einen mörderischen Schlag auf den Kopf versetzte. Ich fand mich auf dem Bauch liegend in einer Pfütze wieder, den Mund voll Erde und matschigem Gras, und mehr als halbbetäubt von dem Hieb. Einer der Männer fesselte mir die Hände auf den Rücken.

Ein Reiter galoppierte schlammspritzend auf uns zu. Er ritt fast beiläufig den immer noch brüllenden Gegner Akims über den Haufen und erreichte uns. Ich machte mich gefaßt zu sterben, etwas so Unausweichliches hatte dieser Ansturm. Meine Gegner griffen nach ihren Schwertern; das Pferd bäumte sich auf und trat dem einen in die Rippen. Er stürzte, ohne noch einen Laut von sich geben zu können, mit eingedrücktem Brustkorb in den Matsch, blutigen Schaum vor dem Mund. Der andere fluchte und hieb nach dem Reiter, der sich eilig außer Reichweite brachte. Die Stimme aus meinem Traum sagte: »Ein guter Zug, verehrter Schüler.« Mein Blick verschwamm, ich wurde wohl für kurze Zeit bewußtlos.

Als ich wieder zu mir kam, schien alles vorbei zu sein. Der fremde Reiter stand neben seinem Pferd, ein seltsam verzerrter Schattenriß vor einer wetterleuchtenden Morgendämmerung. Das Gewitter war weitergezogen, der Regen tropfte kaum noch auf den zertrampelten Schauplatz des Überfalls. Tom schien seinen letzten Gegner erledigt zu haben, und auch Ranan rappelte sich gerade vom Boden auf und befestigte ihre verrutschten Armbänder neu. Mit entferntem Interesse stellte ich fest, daß ihre Waffe erneut spurlos verschwunden war.

»Meldung, Commander!« forderte schroff der heisere Tenor des fremden Reiters. Tom, schwankend und mit einer blutigen Schlammschicht überzogen, nahm etwas an, was wie der mißlungene Versuch einer militärischen Haltung aussah, salutierte knapp und sagte: »Alles unter Kontrolle.« Dann klappte er ohne weitere Formalitäten vor dem Fremden zusammen. Akim kniete neben ihm nieder und untersuchte ihn. Der andere kümmerte sich nicht weiter um das Geschehen zu seinen Füßen, sondern drehte sich in meine und Ranans Richtung, straff und schlank wie eine Klinge – und genauso tödlich. Jetzt konnte ich endlich sehen, daß der seltsam verzerrte Umriß dieses Menschen nicht von meinem immer noch stark getrübten Blick herrührte, sondern daß ihm der rechte Arm von einer Handbreit über dem Ellbogengelenk ab fehlte. Mein benebelter Kopf gaukelte mir ein schmales olivfarbenes Gesicht und erbarmungslose Augen vor, einen strengen Mund und straff zurückgekämmtes graues Haar, das in einem fast hüftlangen geflochtenen Zopf endete.

»Ranan? Was hat dieser Kampf zu bedeuten, und warum schleppt ihr das Kind dort mit euch herum?« In der kühlen, heiseren Stimme klang kein Gefühl mit, aber Ranan zuckte zusammen und schrumpfte förmlich in ihren weiten Kleidern.

»Das ist – das war ...«, sie holte unter dem kalten Blick der grauen Augen tief Luft und sagte beherzt: »Keine Ahnung, Quinn!«

Ich fiel erneut in Ohnmacht.