Ich erinnere mich daran, daß vor einigen Jahren, als die Welt noch unschuldig war und alles passieren konnte, jemand bei einer Abendgesellschaft die Frage stellte: »Waren Sie je auf einer Party, wo man nicht im Laufe des Abends auf den Immobilienmarkt zu sprechen kam?«
Für unsere jüngeren Leser: das bezieht sich auf eine Zeit, die schon lange, lange her ist, als noch Immobilienmakler das Land durchstreiften, eroberten und auskundschafteten, wen und was sie verschlingen könnten, mit Schlüsselbunden klimperten, die Motoren ihrer Peugeot 205 GTIs aufheulen ließen und die Hauptstadt ganz allgemein in unsicheres Terrain für unbescholtene Bürger verwandelten. Dann geschah etwas. Niemand weiß genau, was. Uns ist unerklärlich, wie eine dominante, zuversichtliche Spezies in – geologisch betrachtet – weniger als einer Millisekunde ausgerottet werden konnte. Waren sie zu erfolgreich gewesen? Oder schrumpfte, wie gelegentlich angenommen wird, ihr warmer, fruchtbarer Lebensraum angesichts vordringenden ökonomischen Treibeises, und ließ diese Rezession sie aussterben? Vielleicht erzeugte ihr unaufhörliches Recycling von Phrasen wie »in hervorragendem Zustand«, »zunehmend begehrte Wohnlage« und »realistisches Preisangebot« so viel heißes Methan, daß der Sauerstoff der Glaubwürdigkeit aufgezehrt wurde und sie erstickten. Oder sind sie wie Bunbury »einfach explodiert«? Auf jeden Fall finden wir noch diverse mementote mori, Spuren ihrer Existenz in Form leerstehender Grundstücke in den Einkaufszonen und fossile Zu-Vermieten-Schilder. Et in Acacia Avenue ego, scheinen sie uns zu bedeuten.
Zurück zur Abendgesellschaft. Auf die oben zitierte Frage erwiderte ein anderer Gast: »Hat jemand je eine Party erlebt, wo nicht irgendwann jemand fragte: ›Waren Sie je auf einer Party, wo man nicht im Laufe des Abends auf den Immobilienmarkt zu sprechen kam?‹?« So allgegenwärtig war das Problem. Die Tatsache, daß Immobilien ein um sich greifendes Thema waren, war selbst ein um sich greifendes Thema. In kultivierteren Kreisen war auch diese Tatsache ein um sich greifendes Thema. Und so weiter.
Aber es gab noch ein anderes beliebtes Gesprächsthema: Wissenschaft. Die Veröffentlichung von Büchern mit so aufrüttelnden Titeln wie Eine kurze Geschichte der Zeit und Der Mann ohne Endorphine führte dazu, daß bei Tische Konversationsthemen wie Chaosphysik, morphische Resonanzen und Schrödingers Katze mit Immobilien um Aufmerksamkeit konkurrierten. Eines der meistgelesenen Bücher war – vielleicht allein seines Titels wegen – Dr Oliver Sacks’ Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte. Das exzentrische Verhalten des fehlfunktionierenden menschlichen Gehirns versorgte einen mit netten Anekdoten und Spekulationsmöglichkeiten für andere Gespräche als die ewigen Diskussionen um viktorianische Badezimmer, Wölbungen und echte Stuckrosetten – jedenfalls bevor der Käse gereicht wurde.
Letztes Jahr stellte die Zeitschrift ›New Yorker‹ einen Vergleich an zwischen einem Patienten aus Dr Sacks’ Fallstudiensammlung Zeit des Erwachens und Geschehnissen der Weltpolitik. In den fünfziger Jahren wurde Sacks konsultiert, um ein Mädchen mit hysterischen Anfällen zu untersuchen. Eine reine Routinesache, aber Sacks kam nicht umhin, einen alten Mann zu bemerken, der während der gesamten Untersuchung ruhig in einem Sessel am Fenster gesessen hatte. Ruhig? Der ohne jegliche Bewegung oder das geringste Geräusch dagesessen hatte. Fasziniert untersuchte Sacks den Mann, der, wie er erfuhr, seit Jahren in diesem Zustand verharrte: er rührte sich nie, aß kaum, sprach nie. Seine Körpertemperatur war erstaunlich niedrig, sein Puls lag unter vierzig. Sacks fiel außerdem ein unbedeutender kleiner Magentumor auf, der aber nicht Ursache seines wie eingefrorenen Zustands war. Er diagnostizierte eine Art Hormonmangel und injizierte ein entsprechendes Gegenmittel. In kürzester Zeit war der Mann wieder auf den Beinen; quicklebendig, gesprächig, wach und von seiner Siebenschläfrigkeit geheilt.
Drei Wochen später starb er an Magenkrebs. Der schlafende Tumor war ebenfalls erwacht.
Der ›New Yorker‹ verglich den Fall dieses Mannes mit dem großen sowjetischen Bären, erstarrt im Eis einer ineffizienten politischen Hegemonie, katatonisch verlangsamt durch die Bürokratie, eine nicht funktionierende Planwirtschaft und hoffnungslos verstopfte Verteilungskanäle. Die Krebsgeschwüre des Nationalismus waren lange Zeit genauso eingefroren gewesen wie der Rest des Systems. Sobald die Gegenmittel Demokratie und Freiheit verabreicht worden waren, erwachten diese bösartigen Geschwulste zusammen mit dem Rest des Körpers. Das sei natürlich kein Grund, argumentierte die Zeitschrift, die Therapie abzubrechen, aber, herrjemine!, wir sollten ihnen besser die Daumen drücken.
Inzwischen ist sichtbar geworden, wie genau und prophetisch diese These war. In kurzer Zeit werden Slowenen und Kroaten, Slowaken und Serben, Armenier, Aserbaidschaner und Georgier, Sibirier und Kamtschadalen, Anatolen, Letten, Pommern, Bosnier und Herzegowinier, Kleinrussen, Ruthenen, Ukrainer, Weißrussen und Moldau-Walachen miteinander um Grundstücke in der Londoner Innenstadt wetteifern, um dort Botschaften zu bauen. Die Immobilienmakler werden aus ihrem Eis auferstehen und sie willkommen heißen, die Grundstückspreise werden explodieren, und die Konversation auf Londoner Abendgesellschaften wird zurückkehren zum Thema Immobilien.
Und das ist der Lauf der Welt.