Finden Sie es nicht auch merkwürdig, wie eine ganze Nation in nur einer Generation ihre Gewohnheiten, ihre Eigenart und selbst ihre Lieblingskrankheiten ändern kann? Noch vor gar nicht langer Zeit trugen Männer Hüte und rauchten. Als wäre es vorgeschrieben. Schauen Sie sich nur öffentliche Versammlungen in alten Wochenschauen an, von Ascot bis zu Wahlveranstaltungen, und Sie werden mit Kopfgenüssen aller Art bedeckte Männer sehen, die, wo sie gehen und stehen, Zigaretten in den Händen halten. Über Kinos, Music Halls und Theatern lag unentwegt eine blaue Rauchwolke. Gute Nachrichten wurden von wildem Hochwerfen der Behutung begleitet; ich möchte nicht wissen, wie man in den Sekunden nach solch impulsivem Tun durcheinanderkrabbelte, um seinen eigenen Deckel zurückzubekommen. Hüte und Tabakwaren waren so allgegenwärtig, daß kein Komiker mit auch nur einem Quentchen Selbstachtung gewagt hätte, die Bühne zu betreten, wenn er nicht mit Hut und Fluppe umgehen konnte. W. C. Fields, ihrer aller Meister, konnte mit Kreissäge, Spazierstock und Zigarre Dinge anstellen, die einen daran erinnerten, was Mozart mit Viertelnoten, Versetzungszeichen und geborgten Violinschlüsseln zustande brachte.
Ich hatte eine Großtante, die inzwischen leider das Zeitliche gesegnet hat und die ich so oft wie möglich besucht habe. Sobald ich ihre Schwelle übertrat, wies sie mir einen Sessel an und schob mir eine silberne Dose zu, die eine Handvoll Zigaretten mysteriösen Alters enthielt.
»Nein danke, Tantchen, wirklich«, protestierte ich pausenlos.
»Blech und Blödquatsch«, sagte sie dann, sie erinnerte einen immer etwas an David Copperfields Tante Betsy, »ich seh’ Männer gerne rauchen.« Also mußte ich jedesmal einen ihrer unvorstellbar alten Glimmstengel nehmen und rauchen, während sie zusah und zufrieden nickte. Alles war, wie es sich gehörte: sie nippte an ihrem Sherry, ich rauchte. Sie selbst hat nie geraucht, und ich nehme an, daß es ihrer neunzig Jahre alten Lunge, wenn sie eine Meinung hätte äußern dürfen, lieber gewesen wäre, auch ich hätte davon abgesehen, Rauchschwaden in ihre Richtung zu pusten, aber nichts geht nun einmal über Konditionierung.
Heutzutage läuft die Konditionierung in die umgekehrte Richtung. Im Theater ist das am offensichtlichsten. Es gibt zahllose Dramen, eigentlich alle zwischen 1900 und 1970 geschriebenen, in denen Zigaretten geraucht werden müssen. Der Dramatiker Noël Coward setzte, wie man argwöhnen muß, Zigaretten strategisch in bestimmten Augenblicken ein, um sich selbst als Schauspieler Trost und Komfort zu spenden.
Nichts ist angenehmer im Leben, als in einer Salonkomödie aufzutreten. Die armen Hascherln, die in unseren großen subventionierten Ensembles arbeiten, müssen ohne die angemessenen Zigarettenpausen auftreten, auf abstrakten leeren Bühnen, in Leder und oft (mein ganz persönlicher Alptraum) mit nackten Armen. Dieser römische Gruß mit hochgerecktem Arm, den RSC-Schauspieler sich entbieten müssen, wenn sie auf die Bühne marschieren und drauflosplappern, daß des mächt’gen Caesar Macht im Norden wachse, ist der Grund dafür, daß ich mich immer vor den großen klassischen Rollen gedrückt habe. Das, und weil ich lose um mich rumgewickelte Stoffbahnen nicht ausstehen kann.
Zurück zum Thema. Coward, Maugham, Rattigan, Orton, Pinter, Osborne, Gray und Stoppard haben ausnahmslos Zigaretten in ihre Stücke hineingeschrieben. Und was ist heute los, wenn ein Schauspieler sich auf der Bühne eine Zigarette ansteckt? In einer Pikosekunde, bevor der Rauch auch nur Gelegenheit gehabt hat, in die Lungen des Schauspielers hinabzureisen, geschweige denn in die Lungen eines anderen, bekommen die Leute haufenweise laute, mißbilligende Hustenanfälle; Anfälle von der Art: »Wie können Sie es wagen, wußten Sie nicht, daß mein Arzt mir ausdrücklich versichert hat, daß ich auf Rauch allergisch reagiere?« Dieselben Leute hätten, wären sie eine Generation früher geboren worden, ganz selbstverständlich in einer rauchverschlierten Öffentlichkeit gesessen und ans Husten nicht einmal im Traum gedacht. Heute dagegen schnauben sie drauflos wie ein betrogener Wasserbüffel, sobald sie etwas sehen, das in der Regel ohnehin nur eine Herbalzigarette ist, schließlich sind Schauspieler inzwischen genauso abstinent wie alle anderen. Auch nur Konditionierung.
Seit die Nichtraucherlobby Hollywood ernsthaft dazu zwingen will, aus seinen alten Filmen die Rauchszenen herauszuschneiden (stellen Sie sich bloß Casablanca oder Reise in die Vergangenheit ohne Zigaretten vor), und seit in der Öffentlichkeit immer häufiger ein allgemeines und ohne Zweifel lobenswertes Rauchverbot besteht, fragt man sich, wie lange es noch dauert, bis man in Theaterstücken die Zigaretten streicht. Fiktionale Figuren dürfen ihre Frauen umbringen, Gelder ihrer Arbeitgeber veruntreuen und abscheulich schlecht sitzende Anzüge tragen – kein einziger vorwurfsvoller Muckser. Aber kaum baumelt ihnen eine Zigarette zwischen den Lippen, ist des Getöses kein Ende mehr.
Blödsinn, wie meine Tante gesagt hätte. Blödsinn, Stuß und Wörterplunder.