Postkarte Nummer zwei

 

STIMME: Donald Trefusis, emeritierter Professor für Philologie und Fellow am St Matthew’s College, Cambridge, setzt seinen Aufenthalt in New York fort.

 

Desaströse Begebenheiten! Kalamitöse Ereignisse! Gute Güte, wo soll ich bloß anfangen? Letzte Woche habe ich Ihnen von meiner anfänglichen Aufregung über New York berichtet. Ich muß zugeben, daß ich das Leben in dieser zielstrebigen, kraftvollen Stadt inzwischen etwas ermüdend finde. Mein Vortrag bei den Philologen der Columbia University ist gut gelaufen. Er behandelte die Ursprünge des verschliffenen »r« in verschiedenen englischen Stadtdialekten. Ich demonstrierte die grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen dem verschliffenen »r« des Cockney wie in »Round the ragged rock the ragged rascal ran« und dem der Brooklyner wie in »Round the ragged rock the ragged rascal ran«.[1] Mit sensationellem Erfolg, wie Sie sich bestimmt vorstellen können. Seit diesem akademischen Triumph kann ich über meine Zeit größtenteils frei verfügen. Ich habe mit großem Enthusiasmus und Interesse angefangen, New York zu erforschen. Welch ein ethnisches Kuddelmuddel. Diese Woche bin ich gen Süden, oder down town, wie man hier sagt, gezogen, mit faszinierenden, letztlich aber katastrophalen Folgen. Ich machte mich zur Canal Street auf, wo sich auf der einen Seite Mott Street und Chinatown erstrecken, eine wirklich bemerkenswerte Gegend. Es ist, als sei man durch einen Riß im Gewebe des Raum-Zeit-Kontinuums geschritten und habe sich geradewegs nach Hongkong versetzt. Ganze Straßenzüge mit chinesischen Banken, Restaurants, Supermärkten und Spielzeugläden. Aber man überquere die Canal Street, und eccolà! befinden wir uns in Mulberry Street und Little Italy. An diesem Tisch starb Joe Bandano in einem Kugelhagel. In diesem Restaurant wurde Louis Farnese voll Blei gepumpt, bevor er seine Zabaione verschmausen konnte. In diesen Gully tröpfelte das Blut von Vito Matteole, dem berühmten Belcanto-Tenor, nachdem er Nasenbluten bekommen hatte.

Solche geopolitische Verdichtung kann einen zermürben. Nach einem Leben in Cambridge, wo alle möglichen Typen zusammen malochen, Leavisiten auf demselben Flur hausen wie Strukturalisten, Phänomenologen denselben Waschsalon benutzen wie hegelianische Dialektiker, finde ich dieses Ghettoleben eine Spur konfus. Die Auswahl an nationalen Küchen war so verwirrend, daß ich es für das sicherste hielt, mir ein Taxi zu rufen und mich auf die Suche nach einer guten alten Fleisch- und Nierenpastete zu machen. Das folgende Gespräch habe ich in Trefusianisch festgehalten, meiner eigenen phonetischen Kurzschrift, einem unschätzbaren Mittel, Straßenszenen und Barkonversationen festzuhalten.

»Okay, Meister, immer rin in die gute Stube, wo soll’s denn langgehn? Restaurant? Scheibenkleister, Mann, was denn für n Restaurant? Wollnse Italienisch? Französisch? Indisch? Japanisch? Mexikanisch? Thailändisch? Chinesisch – da hamwa chinesisch Dim Sum, chinesisch Szechuan, kantonesisch, Mandarin, vietnamesisch, koreanisch, wir ham indonesisch, polynesisch, melanesisch, wollnse vielleicht tschechisch futtern, n leckeres Schnitzel mit Polychinkas? Russisch hamwa auch. Ungarisch? Bulgarisch? Mögense vielleicht Cajunküche? – stammt aus Louisiana, New Orleans, Mann – kennse Gumbo und Jambalaya? Auf der 26sten Ecke Lexington gibt’s n klasse Cajunrestaurant. Oder wollnse afrikanisch essen? Kanadisch? Skandinavisch? Sie sagen’s mir, ich fahr Sie hin. Häh? Englisch? Voll kraß, ey. Ein englisches Restaurant? Was rednse denn da? Gibt’s doch gar nicht. Wer hat denn schon mal was von nem englischen Restaurant gehört? Auf der East 19ten Ecke Park gibt’s n New-England-Style-Restaurant. Aber englisch, das hab ich ja noch nie gehört. Ceylonesisch, jugoslawisch, malaiisch, argentinisch, logo – aber englisch? Das meinse nich im Ernst!«

Wahrlich ein harter Schlag für meinen Nationalstolz. Dieser Herr mit seinen etiolierten Labialen und Baumannschen Vokalen überzeugte mich, daß am ehesten noch Greenwich Village mit einem englischen Restaurant aufwarten könne, sollte ein solches Ding überhaupt existieren, eine Hypothese, die er offen anzweifelte. Ich teilte ihm mit, in England seien derlei Etablissements gang und gäbe – oder zumindest in Cambridge, außerhalb davon habe ich mich bislang nicht aufgehalten –, aber ich fürchte, er dachte, ich stünde unter dem Einfluß von Spirituosen. Ich wurde auf dem Washington Square abgesetzt, ein Umstand, der mich nur entzücken konnte. Ich stand inmitten des geschäftigen Treibens, starrte an den Häusern um mich herum empor und versuchte mir vorzustellen, welches davon Henry James wohl zu seinem großartigen Roman Die Erbin vom Washington Square inspiriert haben mochte.

Ich wurde aus meinen Träumereien aufgescheucht, als sich mir ein großer Schwarzer näherte, der mich in einer mir unverständlichen Sprache anredete. Ich probierte mein bißchen Küchensuaheli und Restaurantmatabele aus, doch vergebens. Der Mann wiederholte bloß die Worte crack, coke und dope. Mit meinem Latein am Ende, gab ich vor, seiner Meinung zu sein. Kaum waren mir die stockenden Worte der Zustimmung über die Lippen gegangen, da drückte er mir ein Päckchen in die Hand. Überrascht blinzelte ich und äußerte Worte des Protests und der Vorhaltungen. Das sei zu gütig. Doch aus dem Dunkel legten sich unversehens Hände auf meine Schultern, und etwas Hartes, Kaltes und Metallisches schnappte um meine Handgelenke zusammen. »Okay, ihr Wichser, euch hätten wir kassiert.«

Ich spreche zu Ihnen von einer Polizeistation oder einem Reviergebäude aus, hier in Greenwich Village, wo ich formell des illegalen Besitzes von Kokain und Cannabis bezichtigt worden bin. Mein schwarzer Freund hat jegliche Verbindung mit der beträchtlichen Menge dieser Narkotika, die bei mir entdeckt wurden, abgestritten und behauptet steif und fest, ich habe sie ihm zu verkaufen versucht. Die Polizei scheint um meinen akademischen Rang und meine intellektuellen Leistungen zu wissen, denn während all unserer Gespräche haben sie mich unablässig als »Schlaumeier« bezeichnet, das Kompliment nützt sich indes ab, und ich sehne mich nach der Freiheit.

Man bedrängt mich jetzt, das Mikrophon abzugeben, und so muß ich Sie verlassen. Mrs Miggs, sollten Sie zu Hause zugehört haben, so geraten Sie nicht in Panik. Gehen Sie zu Aufgang C und erzählen Sie Professor Steinitz von meinen Nöten, er lehrt Jura und wird wissen, was zu tun ist. Im übrigen füttern Sie bitte weiterhin Milton und stauben Sie meine Sammlung versteinerten dänischen Gebäcks ab. Nächste Woche werde ich versuchen, erneut auf Sendung zu gehen. Bis dahin alles Gute.

Paperweight: Literarische Snacks
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