Wessen Stimme erwarten Sie am wenigsten zu hören, während sie allein in der Polo Lounge des Beverly-Hills-Hotels bei einem Essen sitzen?
Die Polo Lounge rühmt man in Legende, Lied und Taschenbuch als den Ort, wo Leute hingehen, die gesehen werden wollen. Am besten, indem sie sich ausrufen lassen. »Telephon für Herb Buckleman. Herb Buckleman bitte zum Telephon.« Ab und zu erklingen diese Worte, während Sie an Ihrem Long-Island-Eistee nuckeln oder Ihre Dungeness-Krebse aufbrechen. Bedeutende Produzenten und mächtige Vorstandsmitglieder sind anscheinend schwer beeindruckt, wenn sie hören, daß Herb Buckleman irgendwie irgendwo gesucht wird. Plötzlich wird Herb Buckleman interessant: genau der Mann, dem wir eigentlich die siebte Fassung des neuen Schwarzenegger-Skripts anvertrauen sollten.
Diese groteske Vorstellung führt zu dem unglaublichen Phänomen, daß Leute sich in der Polo Lounge oder am Pool selbst ausrufen lassen. Sie schleichen sich in eine Telephonzelle, geben der Hotelvermittlung die Nachricht an sich selbst durch, sofort eine bestimmte Nummer anzurufen, und schlendern zum Pool oder in die Polo Lounge zurück, um ihre Nachricht rechtzeitig in Empfang nehmen zu können. Um noch mehr Eindruck zu schinden, gibt man sich gern ein Pseudonym. Also: »Herb Buckleman, hier unter dem Namen Jerome Lassinger, bitte umgehend bei der Vermittlung melden!« Jetzt ist Herb Buckleman als so bedeutend eingeführt, daß er im Beverly Hills einen falschen Namen braucht, um sich die Weltpresse vom Hals zu halten.
Wie zu erwarten, erzeugt das eine Gegenreaktion. Die Selbst-Ausruf-Methode ist so weit verbreitet, daß man inzwischen von jedem, der ans Telephon gebeten wird, annimmt, er habe das selbst in die Wege geleitet und müsse also eine traurige, verzweifelte Gestalt sein, der man besser fernbleibt.
Die Stimmung in der Polo Lounge ist daher stets spannungsgeladen. Ich habe gestern abend dort gegessen, total nervös, weil verantwortungslose Freunde von zu Hause gedroht hatten, mich alle zehn Minuten ausrufen zu lassen, eine Schmach, die ich unerträglich gefunden hätte. Diese Angst machte es richtig schwer, durch die Finger zu Eddie Murphy und Michael Douglas hinüberzulinsen und es ganz allgemein zu genießen, zu dieser Zeit an diesem Ort zu sein. Zum Glück haben meine Freunde dann doch nicht angerufen; hauptsächlich, nehme ich an, weil es um halb acht in Los Angeles in England morgens halb vier ist und selbst der hingebungsvollste Lebenszerstörer irgendwann schlafen muß.
Dankbar schritt ich daher von der Cocktail-Bar der Polo Lounge ins Restaurant, bestellte einen Salat mit gebratenen Lendenstücken vom Huhn und zog ein Taschenbuch heraus. Es ist eine komische Vorstellung, daß Hühner Lenden haben und diese noch groß genug sind, um zerstückelt werden zu können; wahrscheinlich geht der Name zum Teil auf die liebenswerte Neigung der Amerikaner zurück, ihren Speisen harte Pioniernamen zu geben. Wir sind mit Französisch als der Sprache der Kochkunst ganz zufrieden, aber Amerikaner finden sie verweichlicht. Und ich finde, sie haben gar nicht so unrecht: »Getrockneter Bauch vom Nebraska-Eber in Sauerteig und geknackten Hummerscheren aus Maine« klingt wirklich männlicher und appetitanregender als, sagen wir, noisettes d’agneau à la Grecque dans un coulis de pamplemousse.
Da saß ich nun gemütlich und selig in meine eigene Welt eingekuschelt – denn allein zu essen gehört definitiv zu den größten Genüssen, die diese Welt zu bieten hat –, als eine bekannte, aber nicht englische Stimme an meinen Tisch drang. Eine Stimme, die meiner Generation bekannter ist als fast jede andere. Die Stimme eines Mannes, der seit fünfundzwanzig Jahren regelmäßig seine eigene Fernsehsendung präsentiert; ein Mann, der in England zahlreiche Platten in den Charts gehabt hat; ein Mann, der in dieser ganzen Zeit so liebevoll verspottet und nachgeahmt worden ist wie kaum ein zweiter. Trotzdem die Stimme, die ich in der Polo Lounge des Beverly-Hills-Hotels als allerletztes erwartet hätte.
Es war Rolf Harris’ Stimme. Warum seine Stimme eigentlich so gar nicht in diese Umgebung passen sollte, weiß ich nicht, aber eine heilsame Welle Heimweh überrollte mich wie eine feuchte Bergbrise. Ich vergaß Amerika und seine Milliarden-Dollar-Unterhaltungsindustrie, seine komisch benamsten Speisen und seine abstruse Hoteletikette. Rolf Harris war da, und plötzlich wußte ich, daß ich Engländer war und daß ich niemals etwas anderes sein würde.
Wenn unser internationaler Einfluß auch auf Aston Martins und Mrs Thatchers Hüte zusammengeschrumpft ist, so ist die Anziehungskraft der Heimat doch so stark, daß Dollars und Avocadosalate nicht mithalten können. Wenn du weitab vom Schuß Patagonien durchwanderst, so rüttelt der Anblick einer ramponierten Packung Scott’s Haferflocken in einer kleinen Tienda mit unvergleichlicher Macht an deinem Herzen. Wenn du allein in der Polo Lounge sitzt, so geleiten dich die Flötentöne der Stimme von Australiens größtem Sohn so sicher nach Hause wie ein Leuchtturm.
In dem Augenblick, als Rolf Harris’ wunderbarer Baßbariton mein Ohr durchdrang, erhob ich mich, eilte zur Rezeption und ließ ihn ausrufen. Es war das mindeste, was ich tun konnte.