Marion Nikola: Badefreuden
Harry erstarrte!Im wahrsten Sinne erstarrte er, drohte akut an mangelnder Zufuhr unentbehrlicher Atemluft zu verenden. Auf seinen Augäpfeln bildete sich ein zäher Film, welcher gottlob vereitelte, dass ihm diese aus den Höhlen hüpften. Sein Adamsapfel hüpfte dennoch. Vom trockenen Schlucken. Soeben wollte er dieses Sch…freibad, in diesem Sch…kaff, an diesem Sch…morgen missgestimmt abmelden, da trat SIE auf! Gerade verfluchte er noch die Sch…idee, ausgerechnet hier Entspannung zu suchen – und nun schwoll keineswegs nur sein Herz zur Größe eines Fesselballons, der seinen Brustkorb zu sprengen drohte. Das andere, tiefer gelegene Körperteil probierte ähnliches, übrigens mit der Badehose. Ihm fiel nicht auf, dass er, japsend, das schaurige Bild eines gefangenen Herings bot, der sein letztes Stündlein erahnte und die Realität ignorierte. Vielleicht warf ihm nur deshalb jenes göttliche Geschöpf einen Blick aus azurblauen Augen zu, denn sie schwebte ohne weitere Begutachtung auf endlosen Beinen vorbei.
Atme!, befahl sein Lebenserhaltungssystem gereizt.
Setz’ deinen Hintern in Bewegung!, ächzten seine verspannten Muskeln.
Reiß’ dich am Riemen!, raunzte sein Gehirn.
Gehorsam stieß er die abgestandene Luft aus, schubste die Pupillen ruckartig herum und brachte den Verstand wieder auf Trab. Letzteres war schwierig, aber nicht neu.
Er observierte, wie sie das Becken ansteuerte, dessen blaugrüne Farbe nostalgisch blätterte. Dabei schwang weizenblondes Haar rhythmisch mit dem strammen Hinterteil im spärlichen, giftgrünen Bikini, dessen noch geizigeres Oberteil offenbar heftig gewillt war, den Inhalt heraus zu katapultieren. Das Grün auf sonnengebräunter Haut brannte sich gnadenlos in seine Hornhaut. Jetzt erreichte sie die rostige Dusche. Litt er unter Halluzinationen? Oder warf sie ihm tatsächlich einen zweiten Blick zu, während sie sich aufreizend unter dem silbernen Strahl wand?
Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Das eben noch schleimig-feuchte Gras unter den Sohlen wandelte sich in einen samtenen Teppich. Imaginäre Engelsharfen übertönten das Gekreische der Gören, die sich in der Nähe um einen winzigen bunten Ball balgten. Verdammt, was war mit ihm los? Was brachte ihn derart aus der Fassung? Mittels eines durchtrainierten Körpers und einem routiniert melancholischen Weltfernblick war seine Libido sattsam ausgewogen. Und ausgerechnet ihm, der sich unwiderstehlich dünkte, fiel nichts ein, wie er diese Dorfschöne anbaggern sollte. Nein, korrigierte er, dieses Mädchen war nicht einfach eine Dorfschönheit. Sie würde wahrscheinlich sogar Claudia Schiffer neben sich blass aussehen lassen. Da! Jetzt tauchte sie mit einem eleganten Sprung ins Wasser, glitt geschmeidig durch die glitzernden Wellen – und warf ihm wieder einen Blick zu. Diesmal war kein Irrtum möglich. Er checkte exakt, dass diese Aufforderung ihm galt. Wem auch sonst, wenn nicht ihm, dem Adonis unter den Dorfhengsten? Hundertpro bekam sie nicht alle Nase lang ein solch vollkommenes Exemplar seiner Gattung zu Gesicht.
Steinzeitalter, primitiver Besitzerinstinkt zündete. Gereizt sicherte er nach allen Seiten, um etwaige Rivalen bereits im Vorfeld zähnefletschend aus dem Rennen zu knurren. Doch außer den kreischenden Bälgern befand sich niemand an so einem Sch…tag im Bad. Sogar die Terrasse des unmittelbar an das Becken grenzenden Restaurants war leer bis auf ein paar traurig im Wind flatternde, ausgebleichte Sonnenschirme.
Nun hatte er fast den Rand erreicht, bleckte im Voraus das Gebiss zu kumpelhaftem Grinsen. Sie lächelte zurück. Whouww!! Und rekelte sich aufreizend lockend im Gewässer.
Womit fing er an?
›Schönes Wetter heute …?‹
Zu dämlich.
›Sind Sie auch zum ersten Mal an diesem entzückenden Ort …?‹
Bloß nicht!
Fieberhaft fahndete sein Hirn nach geistvollen Floskeln. Es fand keine. So sehr er auch die Windungen durchforstete, es war wie verhext. Alles leer. Die Erleuchtung streifte seine Nasenspitze und rollte ihm geradewegs vor die Füße. In Gestalt eines kleinen Balles, welcher von einer johlenden Horde verfolgt wurde.
Blitzschnell, ohne sich um das Unlautere seines Unternehmens zu kümmern, schnappte er den albernen Ball und klammerte die Faust darum. Um nichts in der Welt würde er, der Harry unter allen Harrys, die Beute herausrücken. Die Plagen suchten die Umgebung ab. ›Sie haben es nicht gesehen‹, dachte er befriedigt. ›Ich bin eben zu clever‹ sonnte er sich in zweifelhaftem Heldentum.
»Hast du den Ball gesehen?« Harry musterte das winzige Mädchen vor ihm. Unbehaglich wand er sich unter dem scheinbar wissenden Kinderblick. Er war nahe daran, sich zu schämen, als er die Kleine anknurrte. »Dahinten irgendwo …« Er machte eine vage Handbewegung in die Richtung, wo einige Büsche so dicht standen, dass die Rotzgören eine Weile mit der Suche beschäftigt wären.
»Ich hab’ gesehen, wie der Ball hergeflogen ist«, beharrte das Balg nervtötend. Der gesamte Pulk scharrte sich allmählich um ihn herum und glotzte fordernd.
Seine Faust drohte das bunte Gummi zu zerquetschen.
»Ich habe euren dämlichen Ball nicht gesehen. Verschwindet!«
Unbekümmert marschierte er zur Dusche. Aus den Augenwinkeln registrierte er höhnisch, wie die Brut sich tatsächlich trollte. Er schleuderte der Badenixe ein massives Lächeln hinüber. Sie aalte weiterhin verlockend in den Fluten, forderte ihn schamlos zur Unzucht heraus. Seine Zähne glänzten in makellosem persilweiß, als er am Rad der Dusche drehte. Das heroische Lächeln blieb, wo es hingehörte, aber …
… Ein Indianer kennt keinen Schmerz …!! Ein Indianer kennt keinen Schmerz …!! Ein Indianer …!!!
Seine Gesichtszüge drohten abzudriften. Besaß die Traumfee eine Haut aus Stahl?? Ihn erklomm der Eindruck, klirrende Eiswürfel klickerten an ihm herab, positionierten sich an der empfindsamsten Stelle unter der Badehose und ließen auf Minimum schrumpfen, was sein stolzes Selbstvertrauen repräsentierte.
Ein Indianer kennt keinen ….
Er schraubte das Rad langsam zu. Bloß keine Regung, die das unrühmliche Ausmaß der Pein erkennen lassen könnte. Er warf sich in die Brust und mit dem letzten Quäntchen Haltung ins Becken.
Nach dem Kälteschock siedete das Wasser nahezu und provozierte seinen erlösten Geist – und nicht nur diesen – zum Angriff.
Vivat!
Er legte sich mächtig ins Zeug. Doch zu seinem Unmut kraulte die Trophäe aus der Zielbahn. Tat, als wäre er nicht vorhanden. »Okay, Baby«, knirschte er grimmig »wenn das Spielchen so läuft …« Er durchfurchte das Becken, bekundete Desinteresse und begnügte sich mit bescheidenem Brustschwimmen. Würde er sich auf dem Rücken fortbewegen, flöge die Tarnung des Nichtregistrierens unverzüglich auf, da die Badehose ein unförmiges Zelt bildete. Es sähe außerdem lächerlich aus, wenn sein bestes Stück wie eine Haifischflosse durch das Wasser pflügte. Aha! Sie zeigte wieder Neugier, trieb dezent näher. Endlich konnte er den Joker ausspielen. Er warf den Ball in die Luft, fing ihn auf und wiederholte das Spiel, bis sie in seinen Radius geriet. Wenn sie das Spielzeug auffing, hatte er gewonnen.
Harry atmete tief durch und schmetterte ihn fort.
Sie erhaschte ihn mit einer leichten Bewegung! Ihm war nach Purzelbäumen und Siegesgebrüll. Gemächlich paddelte er zu ihr hinüber.
»Verzeihung«, sagte er, »ich wollte Sie gewiss nicht belästigen.«
»Gewiss nicht«, lächelte sie.
Entzückt lauschte er diesen beiden melodiösen Worten. Sie warf den Ball zurück. Er fing ihn – konterte. Seite an Seite, Haut an Haut, balgten sie sich nach einer Weile um diesen albernen bunten Ball.
Probehalber griff er mehrfach daneben und streifte ›unbeabsichtigt‹ die prallen, grünumrandeten Brüste. Sie wich nicht einen Millimeter zur Seite oder tat gar empört. Harry freute sich wie ein kleiner Bub.
Doch die Zeit und das angespannte Zelt unter ihm drängten zur echten Offensive. Er nötigte sie langsam in eine Ecke des Beckens.
Sie spielte mit!
Als die Falle zuschnappte, sah er ihr tief in die Augen. Beinahe unmerklich, für ihn jedoch bedeutsam wie eine schriftliche Aufforderung mit drei Durchschlägen, nickte sie. Verführerische Lippen teilten sich. Eine rosa Zungenspitze schnellte vor und leckte keck einen unsichtbaren Tropfen auf. Harry flehte innig, die Badehose möge den darin enthaltenen Naturgewalten trotzen. Ein wachsames Äugen schräg nach oben zur Terrasse hin – keine Menschenseele.
Yeaahh!! Die gammligen Schirme schienen ihm sogar auffordernd zuzuwinken.
Eine kleine, keineswegs kraftlose Hand schob sich jäh, unerwartet und hemmungslos zwischen den Stoff der Hose und dem reizbaren Fleisch darunter! In wonnige Stromstöße hinein durchzuckte es ihn fassungslos: ›Sie ändert die Spielregeln! Sie ändert einfach die Spielregeln! ICH bin doch …‹ Er stöhnte. Er hechelte. Seine Hände grabschten hektisch nach den feisten Wölbungen vor seinem Kinn, zerrten an hinderlichem Stoff und zwangen die hochaufgerichteten, von dunklen Vorhöfen gekrönten Brustspitzen darunter zur Freiheit. Madonna……!!!
Sein Mund schnappte ohne sein Dazutun einen der aufreizenden, prallen Nippel und saugte sich daran fest. Seine Finger schlitterten über ihren glatten Bauch, rissen Stoff beiseite und fanden ihren natürlichen Weg zu der kochenden Lava zwischen ihren Schenkeln.
Sie vibrierte! Er zerbarst!
Sie umkrallte seinen Stab, rieb und drückte daran herum, bis bunte Blitze an seinen Augen vorbeischossen. Die Spielregeln mussten erneut geändert werden. Heiß! Zu heiß, um noch einen Augenblick länger zu warten. Eifrig zerrte sie ihm die Badehose bis zu den Knien hinunter. Er legte die Hände auf den Beckenrand hinter ihren Kopf. Sie spreizte die Schenkel, umklammerte seine ungeduldig wippenden Hüften. Der Gegenstand seiner Mannbarkeit tastete bereits zielsicher den Ort seiner vorgesehenen Existenzberechtigung an ….
Neben ihnen explodierte die Wasseroberfläche!! Harry knebelte im letzten Moment den aufschäumenden Jähzorn! Wild mit den Augen rollend nahm er das pickelige Gesicht eines pubertierenden Halbwüchsigen ins Visier, der in nächster Nähe auftauchte. Wahrscheinlich war es jener Blick, samt dem unterschwelligen Knurren aus Harrys tiefster Kehle, der dem Burschen das anzügliche ›Hallo‹ unterhalb des Adamsapfels vereisen ließ. Das Grinsen erstarb jedenfalls augenblicklich. Verunsichert trat der Jüngling Wasser, wobei seine Badehose – eines dieser unaussprechlich hässlichen Dinger – wadenlang, viel zu weit und bunt gemustert – in Zeitlupe um die mageren, spindeldürren Beine schlotterte. Harrys mörderischem Ausdruck hätte auch kein erwachsener Rivale standgehalten. Und so stob der unreife Nebenbuhler verstört quer durch das Becken davon.
Sie hatte die Augen geschlossen und sich zurückgelehnt, als wäre nichts geschehen. Die Schlagader an ihrem Hals pulsierte. Die perlenden Tröpfchen darauf elektrisierten ihn aufs Neue. Die Luft rundum knisterte und änderte ständig ihre Farbe, als er quälend langsam in ihr zuckendes, ihn willkommend umschließendes Fleisch stieß …
Es war unglaublich. So unglaublich, dass Harry seinen eigenen ekstatischen Schrei nicht vernahm. Und auch nicht registrierte, wie kurz dieser ihn überwältigende Akt tatsächlich war. Seine Selbstüberschätzung als begnadeter Liebhaber ließ eben die Definition eines einfachen Quickies nicht zu. Tiefe, wohlige Erschöpfung folgte.
Sie lächelten sich träge an. Harry angelte lahm nach dem grünen Höschen, das auf den aufgewühlten Wellen schaukelte und gab es ihr schweigend. Mühselig rupfte er an der eigenen klebrigen Hose. Dann ließ er sich entspannt zurücksinken und ein wenig treiben. Das Pulver war vorläufig verschossen. Im Hirn gleichermaßen wie in der Badehose.
Als er einen Blick zum Beckenrand warf, war sie verschwunden. Klasse. Alles bestens. Kein Händchenhalten danach oder was die Weiber sonst noch für Lästigkeiten hinterher auskochten. Er wedelte gemächlich zum Rand, hievte sich heraus.
Kaffee. Auf jeden Fall eine Zigarette. Beschwingt überquerte er die einsame Terrasse und fühlte sich wie Zeus, der gerade auf unfaire Weise Leda vernascht hatte. Ein wenig bedauerte er doch, nicht nach ihrer Telefonnummer gefragt zu haben. Er betrat das leere Restaurant in aufgeräumter Stimmung. Gleich neben der Tür führten Stufen hinunter. Womöglich barg dieses Etablissement sogar eine gemütliche Kellerbar. Der nasse Stoff klatschte unangenehm um seine Schenkel, aber er würde nicht lange bleiben. Dann würde er aus diesem Kaff verschwinden.
Stimmengewirr schlug ihm entgegen. War es oben öde und verlassen, so schien hier ein Treffen der Eingeborenen stattzufinden. Die Bar war tatsächlich überraschend angenehm. Und fast bis zum letzten Platz besetzt. Aus den Augenwinkeln nahm er sogar ein überdimensionales, modernes Kunstwerk mit überwiegend Blau- und Grüntönen wahr. Da er nach einem freien Platz Ausschau hielt, beachtete er das Gemälde nicht weiter. In einer hinteren Nische entdeckte er einen einsamen Tisch. Die Eingeborenen mussten ein lustiges Völkchen sein, überlegte Harry, denn während er sich durch Tische und Stühle zwängte, brandete hinter ihm und rundherum vereinzelt Gelächter oder verschämtes Kichern auf. Etwas unbehaglich spürte er förmlich die eigentümlich verstohlenen Blicke, die seine Person unter Beschuss nahmen.
Sch …! Er hätte sich doch zuerst umziehen sollen. Endlich erreichte er die auserkorene Nische. Der Kellner sprang dienstbeflissen herbei, was Harry angenehm berührte.
»Sie wünschen –?«
Harry zögerte irritiert.
Der eigenartige Unterton erinnerte befremdlich an unterdrücktes Lachen. Er bestellte Kaffee, nannte seine Zigarettenmarke und setzte freundlich hinzu: »Geht’s hier immer so munter zu? Ich bin zum ersten Mal hier und …«
»Ich weiß …!«, unterbrach ihn der Kellner in unnatürlich hoher Stimmlage. Harry begriff überhaupt nichts mehr. Man sah es ihm an. Jetzt deutete der Kellner mit spitzem Zeigefinger stumm zu dem riesigen »Gemälde« hinüber. Harry schaute argwöhnisch hin. Unerwartet geriet das Bild in Bewegung! Unzählige Wasserbläschen stiegen auf, pulsierten um magere, spindeldürre Beine, die in einer dieser unaussprechlich hässlichen Badehosen steckten, waden-lang, viel zu weit und bunt gemustert. Daneben ringelte sich ein kleiner bunter Ball empor …
Harry erstarrte!