Schlimme Zeiten

»Oh-oh«, flüsterte Nanfoodle Shoudra zu.

Als die Sceptrana zu ihm hinschaute, wies der kleine Gnom mit dem Kinn auf eine Gruppe, die am Klippenrand stand und sich unterhielt. Zu ihr gehörten Torgar und Shingles ebenso wie Catti-brie, Wulfgar, Banak und Tred aus der Zitadelle Felbarr. Tred war gerade aus Mithril-Halle zurückgekehrt, zweifellos um über Pikels Zustand Bericht zu erstatten, und hatte sicher auch die Neuigkeiten über die beiden aus Mirabar erwähnt.

Wie aufs Stichwort drehten Banak und die anderen sich nun um, um den Gnom und Shoudra anzusehen, und ihre Mienen sprachen Bände.

»Zeit zu gehen«, flüsterte Shoudra und legte Nanfoodle die Hand auf die Schulter.

»Nein«, erklärte der Gnom und riss sich los. »Nein, wir werden nicht fliehen.«

»Du unterschätzt offenbar –«

»Wir haben ihnen bei ihrem Problem geholfen. Zwerge vergessen so etwas nicht«, sagte Nanfoodle und schaute wieder zu der Gruppe hin.

»Ich habe es mir gleich gedacht«, sagte Torgar Hammerschlag, als Nanfoodle auf ihn zukam, gefolgt von der vorsichtigeren Shoudra. »Ihr habt diesen verdammten Markgrafen immer noch nicht durchschaut.«

»Wir sind nicht geflohen, oder?«, antwortete Nanfoodle.

»Es wäre wahrscheinlich das Klügste, den Mund zu halten, Kleiner«, sagte Shingles, und sein Tonfall war weniger bedrohlich als ehrlich, ja sogar von Mitgefühl geprägt. »Sonst brockst du dir nur noch mehr Ärger ein. Diese Leute hier werden dich gut behandeln und dich schon bald wieder nach Hause schicken.«

»Wir könnten schon längst auf dem Heimweg sein, wenn wir das gewollt hätten«, erklärte Nanfoodle störrisch. »Aber wir sind immer noch hier.«

»Weil du ein Dummkopf bist?«, fragte Torgar.

»Weil wir glaubten, nützlich sein zu können«, erwiderte Nanfoodle.

»Uns oder den Orks?«, warf Banak Starkamboss ein. »Ihr seid hierher gekommen, um unser Metall zu ruinieren; das hast du Verwalter Regis selbst erzählt.«

»Das war, bevor wir von der Ork-Armee wussten«, sagte Nanfoodle.

»Und das macht es irgendwie besser?«, fragte Banak.

»Als wir herkamen, hatten wir Befehl, genau das zu tun, was du gesagt hast«, gab Shoudra Sternenglanz zu. Sie trat einen Schritt vor und stand nun neben Nanfoodle, und es gelang ihr, die Aufmerksamkeit lange genug von Banaks herrischer Miene loszureißen, um ihrem kleinen Freund einen tröstlichen Blick zuzuwerfen. »Euer Weggehen hat in Mirabar Angst und Unbehagen ausgelöst«, fuhr sie fort, direkt an Torgar gewandt. »Und es hat unsere Stadt gewaltig geschwächt.«

»Das ist nicht mein Problem«, entgegnete der störrische Zwerg.

»Nein, das ist es nicht«, gab Shoudra zu. »Aber es ist die Pflicht des Markgrafen, seine Leute zu schützen.«

»Diese Pflicht könnte er besser erfüllen, wenn er wüsste, wer seine Freunde und wer seine Feinde sind«, erwiderte Torgar und zeigte anklagend mit dem kleinen dicken Finger auf Shoudra. Die Sceptrana machte eine halb abwehrende, halb beruhigende Geste.

»Das hier ist nicht der Zeitpunkt, um wieder mit dieser Debatte zu beginnen«, sagte sie.

»Der Zeitpunkt ist so gut oder schlecht wie jeder andere«, entgegnete Torgar.

»Wir sind nicht hergekommen, um das Metall zu sabotieren …«, begann die Sceptrana.

»Der Kleine hat es doch zugegeben«, sagte Tred, der die Nachrichten zur Klippe gebracht hatte.

»… sondern um zu ermitteln«, fuhr Shoudra fort. »Wir mussten wissen, ob Gefahr für Mirabar bestand – das könnt ihr doch sicher verstehen. Es gab Befürchtungen, die ausgewanderten Zwerge könnten so wütend sein, dass sie unsere Stadt mit einem Heer aus Mithril-Halle angreifen würden.«

»Das ist doch Unsinn«, sagte Torgar.

Shoudra setzte zu einer Antwort an, dann seufzte sie und nickte. »Ich sprach nur aus der Perspektive von Markgraf Elastul, der für die Sicherheit von Mirabar verantwortlich ist«, erklärte sie.

»Wie ich schon sagte …«, lautete Torgars trockene Antwort.

»Da keine direkte Gefahr für Mirabar bestand – was Nanfoodle und ich auch nicht erwartet hatten –, wollten wir die Formel ohnehin nicht anwenden. Und stattdessen hat Nanfoodle genau diese Formel eingesetzt, um die Katapulte der Riesen zu zerstören. Habt ihr unsere Hilfe so schnell vergessen?«

»Selbstverständlich nicht«, sagte Banak. »Und das macht diese Nachricht nur noch schmerzlicher. Wir stehen hier im Krieg, also kommt ihr entweder als Freunde oder als Feinde. Wenn Blut fließt, gibt es keinen Mittelweg.«

»Wir sind als Freunde hier«, sagte Nanfoodle ohne zu zögern. »Wir hätten nach Hause gehen können, aber wir haben es nicht getan. Wir waren im Tal der Hüter und hätten längst nach Westen verschwinden können, bevor ihr aus Mithril-Halle gehört hättet, was geschehen war. Aber wie konnten wir das tun, wenn wir wussten, dass ihr hier oben unseren gemeinsamen Feind bekämpft? Wie konnten wir das tun, wenn wir wussten, dass wir eurer Sache wertvolle Hilfe leisten könnten? Beurteile mich nicht nur nach meinen betrunkenen Worten gegenüber Regis – ich hatte nie vor, das Metall von Mithril-Halle zu vergiften. Ich habe mich auf jedem Schritt hierher gegen diesen Auftrag gewehrt, und ich habe ihn nur mit der Intention angenommen, ihn nicht auszuführen. Und das Gleiche trifft auch auf Shoudra Sternenglanz zu, die immer eine Freundin von Torgar Hammerschlag und Shingles McRuff gewesen ist.«

Banak, Tred, Catti-brie und Wulfgar wandten sich den Zwergen aus Mirabar zu, und die beiden nickten zustimmend zu Nanfoodles Worten.

»Was soll ich also tun, Kleiner?«, fragte Banak. »Soll ich euch zur Straße nach Mirabar bringen und laufen lassen?«

Nanfoodle warf einen Blick zu Shoudra, dann lächelte er den Zwerg an. »Nein«, antwortete er. »Bringt mich zu Regis, damit ich meine Argumente vortragen kann. In Ketten, wenn ihr es für nötig haltet.«

»Ihr habt uns geholfen. Ihr habt uns einen Aufschub verschafft, den wir dringend benötigen«, sagte Banak. »Wenn ihr davonlaufen wollt, ist jetzt der geeignete Augenblick. Wir werden uns so lange abwenden, bis ihr weg seid.«

Abermals warf Nanfoodle Shoudra einen Blick zu, bevor er sich wieder dem Zwergenkommandanten zuwandte. »Wenn wir glaubten, dass wir nicht mehr helfen könnten, würden wir dein großzügiges Angebot gerne annehmen, guter Zwerg.« Nanfoodle schaute wieder zu dem Gebirgskamm, wo bereits neues Holz aufgestapelt wurde, und sagte: »Aber ihr müsst immer noch etwas gegen diese Riesen tun, und ich glaube, ich kann helfen. Also nein, ich werde jetzt nicht gehen und lieber darauf warten, was Verwalter Regis zu sagen hat.«

»Das klingt, als hätte der Kleine einen Plan«, sagte Catti-brie.

Nanfoodles Grinsen wurde breiter.

Regis lehnte sich in seinem gemütlichen Sessel zurück, stützte das Kinn auf die Hand und betrachtete die vielen Landkarten und Zeichnungen, die Nanfoodle auf dem Boden ausgebreitet hatte.

»Ich verstehe das nicht«, gab er zu und warf Shoudra einen Hilfe suchenden Blick zu.

Die Sceptrana schien ebenso verwirrt und konnte zur Antwort nur mit den Schultern zucken.

»Ist er immer so abstrakt?«, fragte der Halbling.

»Immer«, erklärte Shoudra.

Auf dem Sessel neben dem von Regis brütete Ivan Felsenschulter über einer Gruppe weiterer Zeichnungen, die Nanfoodle ihm gegeben hatte, und er brauchte einige Zeit, um zu merken, dass die anderen ihn fragend ansahen.

»Alles recht einfach«, sagte der Zwerg an Regis gewandt. »Zumindest der Kasten. Ein schlichtes Gerät.«

»Die Metallröhren sind auch nicht schwieriger«, erklärte Nanfoodle.

»Das stimmt, wenn man von der Anzahl einmal absieht«, erwiderte Ivan und warf einen Blick zu Regis. »Jeder Schmiedeofen in Mithril-Halle wird Tag und Nacht arbeiten müssen, um rechtzeitig fertig zu werden.«

Regis schüttelte den Kopf, aber eher perplex als verneinend.

»Wenn ich Recht habe …«, setzte Nanfoodle an.

»Du weißt nicht einmal, ob diese Gänge noch offen sind«, erwiderte Regis. »Und auch nicht, was du dort finden wirst.«

»Dann lass mich doch wenigstens nachsehen«, sagte der Gnom.

»Ich kann meine Schmiede nicht für diese Arbeit einsetzen, bevor wir sicher sind«, erklärte der Verwalter.

Trotz dieser vorsichtigen Antwort reichte Nanfoodles Grinsen beinahe bis zu seinen großen Ohren.

»Also gut, geh«, sagte Regis schließlich. Er warf noch einen Blick auf die Masse von Landkarten und Zeichnungen und schüttelte abermals ungläubig und skeptisch den Kopf. »Es klingt nach Zeitverschwendung, aber wir haben nichts Besseres.«

Nanfoodle verbeugte sich wieder und wieder, als wackele er vor Freude – und es freute ihn tatsächlich immer, wenn jemand, der genügend Macht hatte, ihm die Möglichkeit bot, einen seiner häufig recht gewagten Vorschläge in die Praxis umzusetzen. Schließlich schaute er wieder zu Ivan, dessen Ruf als geschickter Handwerker ihm nach Mithril-Halle vorausgeeilt war.

»Du wirst den Kasten bauen?«, fragte er.

»Ich habe alles, was ich brauche«, sagte der Zwerg. »Außer diesem Flammenwasser-Zauber.«

»Überlass das mir, wenn die Zeit gekommen ist«, erklärte Nanfoodle. Die Miene des Gnomen verdüsterte sich ein wenig, als er hinzufügte: »Wo finde ich deinen Bruder?«

»Er sitzt im Dunkeln«, erwiderte Ivan. »Und ich kann dir nur Glück wünschen, wenn du willst, dass er dich bei deiner Expedition in die Gänge begleitet. Er ist im Augenblick nicht in der Stimmung für solche Dinge.«

»Wir werden sehen«, sagte Nanfoodle.

»Mit deiner Erlaubnis werde ich zu Meister Starkamboss zurückkehren«, warf Shoudra ein.

»Ich komme mir dumm vor, weil ich euch nach dem, was er mir mitgeteilt hat, wieder vertraue«, sagte Regis zu ihr. »Ich sollte euch beide in Ketten legen und Markgraf Elastul eine hohe Summe für eure sichere Rückkehr zahlen lassen.«

Shoudra lächelte ihn an und erklärte: »Aber das wirst du nicht tun.«

»Geh zu Banak«, sagte Regis und winkte mit seiner kleinen Hand.

Shoudra setzte dazu an zu gehen, aber dann blieb sie noch einmal stehen und warf einen Blick zurück, als der großzügige Halbling hinzufügte: »Und danke.«

Als sie den Raum verließ, nahm sich die Sceptrana fest vor, nach ihrer Rückkehr nach Mirabar jedem Wort, das Markgraf Elastul gegen diesen Nachbarn und Verbündeten äußerte, heftig zu widersprechen.

Als er zu der Tür kam, hörte Nanfoodle schon das leise »Oooh« von drinnen und verzog mitleidig das Gesicht. Er hob die Faust, um anzuklopfen, tat es aber nicht, sondern senkte die Hand langsam auf den drachenförmigen Knauf und drehte ihn. Die hervorragend gearbeitete und gut geölte Tür ging ohne einen Laut auf.

Drinnen saß Pikel mit gesenktem Kopf in der Mitte des Zimmers und zeichnete mit der verbliebenen Hand Muster auf den Steinboden. Er war so verzweifelt und abgelenkt, dass er nicht einmal aufblickte, als Nanfoodle näher kam und sich direkt neben ihn stellte. Hin und wieder gab der Zwerg ein weiteres klägliches »Oooh« von sich.

»Tut es immer noch weh?«, fragte Nanfoodle leise.

Pikel blickte zu ihm auf.

»Mhm-mhm.« Er schüttelte den Kopf und hob den abgehackten Unterarm zu Nanfoodle empor.

»Dann bist du also traurig«, sagte Nanfoodle, und Pikel sah ihn an, als sollte das offensichtlich genug sein.

»Glaubst du, dass du der Heldenhammer-Sippe nun nichts mehr zu geben hast?«

»Eh?«, erwiderte der grünbärtige Zwerg.

Er hob die Hand und fuchtelte mit den Fingern.

»Du kannst also immer noch zaubern?«

»Ei, ei«, sagte Pikel.

»Was machst du dann hier auf dem Boden?«, fragte der Gnom.

Er beugte sich über Pikel und sah, dass der Zwerg seine Hand nicht nur in wirbelnden Mustern über den Stein bewegte, sondern den Stein selbst herumwirbelte. Ein Grinsen breitete sich auf Nanfoodles Zügen aus, denn genau deshalb war er zu Pikel Felsenschulter gekommen – unter anderem.

Er ging um den Zwerg herum, hockte sich vor ihn und sah ihm in die Augen.

»Dein Bruder arbeitet für mich«, sagte er.

»Eh?«

»Ich brauchte einen Handwerker, einen Ingenieur«, antwortete Nanfoodle. »Und man hat mir gesagt, Ivan gehöre zu den Besten.«

»Ei. Hi, hi, hi. Budder.«

»Und Regis war sehr daran interessiert, dass Ivan mir hilft, denn er begreift, dass mein Plan die Schlacht, die oben auf der Klippe tobt, endgültig zugunsten der Zwerge entscheiden könnte.« Er hielt inne und sah den Zwerg an, um sich zu überzeugen, dass Pikel auch aufmerksam zuhörte. »Du willst ebenfalls helfen?«

Pikels Miene wirkte vollkommen verdutzt. »Ei, ei.«

»Du musst verstehen, dass ich im Augenblick bei vielen unterschiedlichen Arbeiten Hilfe brauche«, versuchte Nanfoodle zu erklären. »Wichtige Dinge sind zu erledigen. Aber viele dieser Aufgaben weichen ein wenig von dem ab, was Zwerge üblicherweise tun. Oh, Verwalter Regis kennt ein paar, die mir vielleicht bei der einen oder anderen Sache helfen könnten, aber es gab nur einen Namen, der immer wieder fiel, bei jeder Anforderung, die ich nannte.«

»Pikel?«, fragte der Zwerg und zeigte auf sich selbst – mit einem Finger, der von schnell wieder fest werdendem Stein überzogen war.

»Pikel«, bestätigte Nanfoodle. Er zeigte auf die Muster am Boden. »Und außerdem brauche ich die Hilfe von Tieren – ich versichere dir, ihnen wird kein Schaden zugefügt werden. Nicht, wenn wir schlau und schnell sind.«

»Hi, hi, hi.«

Es tat Nanfoodle gut zu sehen, dass er den verzweifelten Zwerg zum Lächeln gebracht hatte. Pikel war eine so sanftmütige Seele; schon der Gedanke, dass ein solches Geschöpf eine so schwere Wunde hatte hinnehmen müssen, quälte Nanfoodle sehr. Aber der Gnom verstand auch, dass Pikels Schmerz mehr emotionaler als körperlicher Art war und dass in solchen Fällen das Selbstwertgefühl einer Person häufig das erste Opfer ist.

»Also komm mit«, forderte er den Zwerg vergnügt auf und streckte die Hand aus, um Pikel auf die Beine zu helfen. »Wir haben viel zu tun.«

»Das soll wohl ein Witz sein«, sagte Wocco Starkamboss, Bruder von Brusco und stolzer Vetter des heroischen Kommandanten der Truppen im Norden.

»Nein, und wenn ich Witze machen würde, würdest du längst lachen«, erwiderte Ivan Felsenschulter.

»Dieser kleine Gnom ist wirklich ein Unruhestifter«, sagte Wocco. »Er hat doch nicht vor, so was wie Arkebusen zu bauen? Ich habe gehört, die Dinger explodieren oft lange, bevor man den Feind erreicht hat.«

»Nein, darum geht es nicht«, sagte Ivan.

Wocco und alle anderen Schmiede atmeten erleichtert auf. Ivan hielt Diskretion für notwendig. Wenn diese Zwerge, die allesamt Bergleute waren, begriffen, was Nanfoodle vorhatte, würden sie noch viel störrischer reagieren.

»Du brauchst also nur ein paar Metallrohre?«, fragte ein anderer Zwerg.

»Aber sie müssen alle den gleichen Durchmesser haben«, erklärte Ivan.

»Und die gleiche Länge?«

»So lange, wie ihr sie machen könnt.«

Die Schmiede sahen einander an.

»Und Regis will, dass wir das tun?«, fragte einer.

»Ich habe sein Zeichen hier«, sagte Ivan und zeigte auf eine Pergamentrolle, auf der außer den Zeichnungen und Anweisungen tatsächlich auch die Unterschrift des Verwalters von Mithril-Halle zu sehen war.

»Alle Schmiedeöfen?«, fragte einer der Schmiede.

»Wir haben bei den Kämpfen dort oben viele Waffen zu reparieren«, erklärte Wocco. »Wir kommen ohnehin kaum nach, nachdem wir die Truppe ausgerüstet haben, die Regis in die südlichen Gänge geschickt hat.«

»Das hier hat Vorrang«, sagte Ivan. »Pah, wenn ihr schnell genug seid und eine ordentliche Form verwendet, könnt ihr sie dutzendweise herstellen.«

Wieder sahen die Schmiede einander an, ein paar nickten.

»Wie viele braucht ihr?«, fragte Wocco.

»Fangt einfach an, sie zu machen«, sagte Ivan.

Er grinste, holte ein anderes aufgerolltes Pergament heraus und rollte es ab, damit die übrigen Zwerge es sehen konnten. Auf diesem Blatt befand sich eine Zeichnung, die erheblich komplizierter war als die Anweisungen für die schlichten Metallrohre.

»Und ich arbeite mit Wuchtöl«, sagte Ivan mit einem leisen Lachen.

»Bumm?«, fragte Wocco.

»Ich hoffe, dass mir nicht der Hammer ausrutscht«, sagte Ivan lachend, und die Schmiede lachten mit.

»Bumm!«, sagten mehrere gleichzeitig.

Wocco hob die Pergamente zum Gruß, dann bedeutete er seinen Kollegen, ihm wieder zu den Schmieden zu folgen.

Ivan, dessen Arbeit sehr viel komplizierter sein würde, ging in die andere Richtung, zurück in den kleinen Arbeitsbereich, den Regis ihm nahe den Audienzräumen zur Verfügung gestellt hatte.

Er hielt lange genug inne, um quer durch die Unterstadt nach Nordwesten zu schauen, zu den Toren, hinter denen die wenig benutzten Gänge unter dem Tal lagen, und das Lächeln verging ihm schnell. Pikel war dort unten, zusammen mit Nanfoodle.

Ivan konnte nur hoffen, dass es seinem Bruder gut ging und dass er sein Herz und sein Lachen wiederfinden würde.

Pikel hob den Armstumpf, und der kleine Vogel, der darauf saß, trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Der Zwergendruide hob das zarte Geschöpf näher an sein Gesicht und flüsterte beruhigend auf es ein, dann senkte er den Arm wieder und bog in einen Seitengang ab, der von einem weichen rötlichen Glühen erfüllt war.

»Bist du sicher?«, fragte Nanfoodle den Zwerg. »Wir haben nicht viele Waffen dabei, und ich bin nicht einmal sicher, ob selbst meine besseren Zauber etwas gegen solche Tiere ausrichten könnten.«

Zur Antwort blickte Pikel zurück zu Nanfoodle, verzog das Gesicht und kniff die Augen fest zu – in Erinnerung daran, dass der Gnom darauf bestanden hatte, in den möglicherweise gefährlichen Gängen kein Feuer zu benutzen.

»Ja, aber …«, setzte Nanfoodle zum Widerspruch an.

Pikel sagte nur: »Hi, hi, hi« und ging weiter.

Nanfoodle drehte sich um, warf den fünf Zwergenkriegern, die ihnen als Eskorte dienten, einen Blick zu und zuckte die Achseln, und sie reagierten gleichermaßen, wenn auch eher amüsiert als beunruhigt.

»Es sind nur Käfer, Kleiner«, erklärte einer aus der Gruppe. »Sie mögen groß sein, aber es sind immer noch Käfer.«

Um den Gnom zu beruhigen, präsentierten die Zwerge ihre Waffen, darunter auch die beiden verzauberten, schimmernden Langschwerter, die ihnen bisher als Lichtquelle gedient hatten.

Aber sie brauchten die Waffen nicht, denn Pikel hatte wenig Schwierigkeiten damit, den riesigen Insekten klar zu machen, dass es hier keinen Kampf geben würde, und schon bald mussten die sieben nicht mehr laufen, sondern ritten auf großen Käfern mit rot glühenden Drüsen. Feuerkäfer hießen sie, und diese nützlichen Drüsen waren bei Abenteurern des Unterreichs sehr begehrt, denn sie glühten noch tagelang, nachdem das Geschöpf tot war. Selbstverständlich war Pikels Methode noch viel praktischer, denn die lebenden Käfer lieferten ununterbrochen Licht.

Auf dem Weg durch die Gänge unterhielt sich der grünbärtige Zwerg mit Hilfe einer Reihe von Klopf- und Schnalzgeräuschen mit seinen neuen »Freunden«, und es gelang ihm angeblich sogar, ein paar nützliche Informationen von den großen Insekten zu erhalten.

Ob diese Behauptung nun zutraf oder nicht, Pikel führte die Gruppe zu einem äußerst merkwürdigen Gang, der schräg abwärts nach Norden verlief und ganz besonders widerwärtig roch. Streifen zogen sich über die dunklen Wände, aber es war in dem roten Licht schwer, ihre Farbe zu bestimmen.

»Gelb«, sagte Nanfoodle, denn der Gnom kannte den Geruch von Schwefel gut. »Pass gut auf deinen Vogel auf, Pikel. Du willst sicher nicht, dass er tot umfällt.«

Pikel stieß ein protestierendes Quieken aus und hob den mutigen kleinen Vogel dicht vor sein Gesicht. Beinahe sofort geriet das Tierchen in Panik, und Pikel flüsterte ihm etwas ins Ohr und schickte es zurück in saubere Luft.

Der Gang endete in einer weiten, hohen Höhle voller Stalagmiten, die nach oben immer schmaler wurden und dann wieder breiter, wenn sie sich mit den großen Stalaktiten verbanden, die von der Höhlendecke hingen. Eine Art Dunst schwebte im Raum, und selbst die widerstandsfähigen Zwerge mussten sich Tücher, die Pikel vorbereitet hatte, vors Gesicht ziehen.

»Ich spucke gleich mein Frühstück aus«, verkündete einer, und die anderen nickten zustimmend.

Nanfoodle jedoch war schlicht zu aufgeregt, um sich an dem Gestank zu stören. Er drängte seinen Käfer weiter, dann stieg er rasch ab und ging zwischen den Steinsäulen zum Rand eines unterirdischen Teichs.

Er begann zu lächeln, als es ihm schließlich gelang, durch den Dunst zu spähen, und er die Quelle dieses schwefligen Nebels vor Augen hatte, denn das Brodeln und Blubbern des Wassers wies eindeutig auf Gase hin.

»Wenn ihr hier eine Fackel entzünden würdet, würden wir alle brennen«, verkündete der Gnom ernst.

»Dann kann ich nur hoffen, dass das Frühstück nicht zu feurig gewürzt war«, lachte ein Zwerg und deutete auf einen anderen, der am Boden kniete und sich übergab.

Die anderen gingen zu Nanfoodle, um sich das Spektakel anzusehen.

»Das Gas, das wir brauchen, ist unsichtbar und hat keinen Geruch«, erklärte der Gnom.

»Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte ein Zwerg.

»Nein, nein«, erklärte der Gnom, »es mischt sich in dem Druck dort unten mit anderen Gasen, aber siehst du, wie es aufsteigt?«, sagte er und zeigte auf die Blasen. »Ja, wir haben alles, was wir brauchen.«

»Ich hab keine Ahnung, wovon du redest, Gnom«, sagte ein Zwerg. »Aber du hast es gefunden, ja? Können wir jetzt wieder gehen?«

»Bald«, erwiderte Nanfoodle. »Wir müssen wissen, welche Struktur das Gestein hier hat. Wir müssen gut vorbereitet sein, wenn wir zurückkehren, denn das hier ist keine leichte Aufgabe.«

Er schaute zu Pikel, der sich bereits am Boden niedergelassen hatte, die Augen schloss und die Finger bewegte. Als er mit der Rezitation fertig war, kicherte der Zwerg und legte sich hin, dann schmolz er einfach in den Stein und verschwand.

»Der da ist nicht ganz richtig«, murmelte ein vollkommen erschütterter Zwerg.

»Halt die Klappe und steig auf deinen Käfer«, bemerkte ein anderer bissig.

»Ein Druidenzwerg …«, sagte ein Dritter kopfschüttelnd.

Nanfoodle lächelte einfach nur.

Kurz darauf erschien Pikel wieder aus dem Stein, zunächst wie ein Relief, das aus dem Boden gemeißelt war, dann sprang er vollständig heraus und wischte sich den Staub ab.

»Puh!«, sagte er.

»Wie dick?«, fragte der aufgeregte Nanfoodle.

Pikel zeigte dreimal auf seinen Kopf.

»Fünfzehn Fuß«, murmelte Nanfoodle.

»Woher weiß er das?«, fragte ein Zwerg einen anderen.

»Drei Pikel tief«, erklärte ein anderer.

»Du machst mir Angst, Gnom«, sagte ein Dritter.

»Können wir durchkommen?« Nanfoodle konzentrierte sich ganz auf Pikel und ignorierte die anderen.

»Hi, hi, hi«, sagte der grünbärtige Zwerg.