Taktischer Nachteil

Catti-brie drückte sich gegen einen Felsen und entging damit dem Stein, der hinter ihr vorbeipfiff, auf dem Boden abprallte und über den Klippenrand ins Tal der Hüter fiel. Sie konnte es sich jedoch nicht erlauben, ihm hinterherzuschauen, denn die beiden Orks, die von den drei Angreifern übrig geblieben waren, bedrängten sie heftig.

Sie hatte einen Ork bereits mit Taulmaril niedergestreckt, aber dann hatten die Riesen auf dem Kamm im Westen angefangen zu werfen. Sie konnten die Stellung der Zwerge nicht mit großen Steinen erreichen, also schleuderten sie stattdessen Schiefersplitter, und die dünnen, scharfen Geschosse drehten sich wild im Wind. Die meisten trafen nicht und fielen weit entfernt von den Zwergen nieder, aber einige kamen zu nahe, um sie ignorieren zu können.

Catti-brie legte abermals einen Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen, als der erste Ork um den Felsen herumkam, die Keule erhoben, die Zähne gefletscht.

Sie fegte ihn weg. Ihr Pfeil bohrte sich direkt in die Brust des Orks und schleuderte ihn ein Dutzend Schritte weit zurück und zu Boden.

Dann senkte Catti-brie den Bogen instinktiv, packte ihn am Ende und stach damit nach hinten, um den Angriff des zweiten Orks abzufangen. Die Biegung des Bogens brachte die freie Spitze unter das Kinn des Orks, und Catti-brie hielt den Druck aufrecht, als sie sich umdrehte, den Bogen neu fasste und weiterdrängte. Der Ork stand inzwischen auf den Zehenspitzen, und er streckte die Hände aus, um Taulmaril beiseite zu stoßen.

Aber Catti-brie war schneller, drehte sich ein wenig und drückte sich fest gegen den Felsen. Sie drehte den Bogen, drückte weiter, und der Ork musste einen Schritt zurückweichen und sich wegdrehen.

Leider stand er am Rand der Klippe. Es gelang ihm jedoch, als er zum Fall ansetzte, den Bogen zu packen, und Catti-brie musste loslassen. Sie verzog das Gesicht, als sie sah, wie Taulmaril über die Klippe fiel, aber sie hatte keine Zeit für weitere Gedanken, also zog sie rasch Khazid'hea und drehte sich zu den nächsten Angreifern um.

Ein hässlicher Ork stand vor ihr und starrte sie über den flachen Felsen hinweg direkt an. Er machte eine Finte nach rechts, und Catti-brie hob das Schwert in diese Richtung. Der Ork bewegte sich rasch wieder nach links, und Catti-brie reagierte entsprechend. Dann war der Ork wieder direkt vor ihr und tat so, als wollte er fliehen.

Catti-brie hatte genug von diesen Spielchen, sprang vorwärts, und ihr berühmtes Schwert schnitt durch den Stein und direkt in die Brust des Orks, der sich dagegen drückte.

Das Geschöpf starrte sie ungläubig über den zerschnittenen Stein hinweg an.

»Du hättest mich beinahe getäuscht«, sagte Catti-brie mit einem Zwinkern.

Dann sprang ganz plötzlich ein weiterer Ork auf sie zu.

Nein, erkannte sie, er sprang nicht – das um sich schlagende Geschöpf flog an ihr vorbei, über sie hinweg und ins Tal hinab.

Catti-brie verstand, was geschehen war, als Wulfgar hinter dem Felsen auftauchte, den Hammer in der Hand.

»Halte deinen Bogen bereit«, sagte er. »Hier gibt es noch viel zu tun.«

Catti-brie hob hilflos die freie Hand und wollte auf die Klippe deuten. Aber dann zuckte sie nur die Achseln, denn Wulfgar hatte sich schon wieder den Feinden zugewandt und konnte sie nicht mehr sehen. Sie kletterte über den Felsen und beeilte sich, dem Barbaren zu folgen.

Seite an Seite wateten sie in die nächste Gruppe von Orks, und Wulfgar vertrieb die Feinde mit weiten Schwüngen von Aegis-fang.

Catti-brie huschte zur Seite, wo ein Ork einen Schild gegen sie hob. Das half ihm nichts gegen Khazid'hea. Die Klinge schnitt durch den hölzernen Schild, durch den Arm auf der anderen Seite und drang bis in die Brust des Orks.

Catti-brie zog das Schwert zur Seite, um den Angriff eines zweiten Feindes abzufangen, und die Klinge drang abermals durch Knochen, Fleisch und Holz, als sie sie aus dem ersten Opfer herausriss. Rasch hackte sie dann die Spitze des Speers ab, mit dem der zweite Ork drohte. Catti-brie riss das Schwert hoch, stieß zweimal zu, und der Ork hatte zwei Löcher in der Brust. Das Geschöpf taumelte rückwärts und versuchte, sein Gleichgewicht wieder zu finden, aber Aegis-fang traf es im Rücken und schleuderte es auf Catti-brie zu.

Sie stieß Schnitter noch einmal in die Seite des Orks, als er vorbeiflog.

Wie gut ich an diesem Abend speise!, drang ein Gedanke in ihren Kopf.

Catti-brie registrierte die Worte kaum, aber den Blutdurst des Schwerts konnte sie nicht ignorieren. Bevor sie auch nur darüber nachdenken konnte, bevor sie erkannte, dass das Bewusstsein der Klinge erwacht und in ihren Geist eingedrungen war, stürzte sie auch schon an Wulfgar vorbei nach vorn und griff eine dicht gedrängte Gruppe von Orks an.

Nein, das war keine ausgefeilte Schwertkunst mehr, nur noch wildes, bösartiges Zerfleischen, als Schnitter nach allem schlug, was Catti-brie nahe kam. Sie riss die Klinge nach links, quer über ihre Brust und durch einen Schild mit Arm. Dann zog sie sie rasch zurück, und das Schwert fegte vor ihr her und zwang zwei Orks auszuweichen. Als Nächstes schnitt sie eine Speerspitze ab, die von rechts kam. Sie drehte sich aus der Hüfte, stach mehrmals nach rechts und bohrte ein Loch nach dem anderen in den sich windenden und schreienden Ork.

Erst dann erkannte sie, wie verwundbar sie durch ihr Vorpreschen geworden war, wandte sich wieder den beiden verbliebenen Feinden zu und musste sich rasch ducken, als ein Gegenstand vorbeisauste.

Aegis-fang, erkannte sie, als einer der beiden Orks einfach verschwand.

Wir teilen unsere Beute nicht!, protestierte Khazid'hea, und das Schwert zwang Catti-brie, den verbliebenen Ork anzugreifen.

Entsetzt warf dieser seine Klinge nach ihr, drehte sich um und floh, aber obwohl die Waffe Catti-brie traf, wurde die Frau nicht langsamer. Sie holte den Ork ein, der zu zweien seiner Gefährten geflohen war, und verlor immer noch nicht an Schwung. Sie schlug zu, wurde selbst getroffen und ignorierte die Schmerzen, begierig, jeden einzelnen Schlag zurückzugeben, Ork-Waffen gegen das fabelhafte Khazid'hea.

Drei Orks lagen am Boden, und Catti-brie rannte weiter.

»Warte!«, erklang Wulfgars Stimme hinter ihr, aber der Ruf schien aus weiter Ferne zu kommen und war nicht besonders eindringlich. Nicht so eindringlich wie der Hunger in ihrem Geist. Nicht so eindringlich wie das Feuer in ihren Adern.

Ein weiterer Ork vor ihr fiel. Sie traf einen zweiten, hatte vor, an ihm vorbeizurennen und dabei noch einmal seitlich zuzustechen. Aber sie hatte zu heftig zugeschlagen, und die feine Klinge trennte den Oberarm des Orks ab, fraß sich dann tief in seine Seite und durchschnitt halb den Torso. Dann blieb sie stecken, denn der Schwung des Schlags wurde von Catti-bries eigenem Eifer gebremst, der sie schon an dem Ork vorbeigeführt hatte, bevor die Bewegung vollendet war. Der sterbende Ork schlug um sich und hätte Catti-brie damit beinahe die Klinge aus der Hand gerissen. Sie drehte sich um und zerrte an ihrem Schwert, wusste, dass sie es herausziehen musste, denn der nächste Feind war nur noch ein paar Fuß entfernt.

»Pah! Du lässt uns überhaupt keinen Spaß übrig!«, rief er ihr zu.

Erst jetzt hörte Catti-brie auf, an ihrem feststeckenden Schwert zu zerren. Erst jetzt erkannte sie, dass sie bereits das Ende der Zwergenfront erreicht hatte.

Sie lächelte den Zwerg verlegen an. Wenn ihre Klinge nicht zufällig in dem Ork stecken geblieben wäre, wäre ein Freund dem Hunger von Khazid'hea zum Opfer gefallen!

Erschocken über diese Vorstellung verfluchte sie das Schwert, das sie selbstverständlich genau hörte. Sie stellte den Fuß auf den toten Ork und versuchte noch einmal, Khazid'hea wieder herauszuziehen, aber eine große Hand auf ihrer Schulter hielt sie zurück.

»Immer mit der Ruhe«, sagte Wulfgar. »Wir kämpfen gemeinsam, Seite an Seite.«

Catti-brie ließ die Klinge los und trat einen Schritt zurück, dann holte sie tief Luft, um sich zu beruhigen.

»Das Schwert ist hungrig«, erklärte sie.

Wulfgar lächelte, nickte und sagte: »Du solltest diesen Hunger mit Vernunft bremsen.«

Catti-brie blickte zurück und sah die Metzelei, die sie angerichtet, die Spur toter Orks, die sie zurückgelassen hatte, und dann schaute sie an sich selbst hinunter. Sie war von Kopf bis Fuß blutüberströmt.

Nicht alles davon war Ork-Blut, erkannte sie erst jetzt, und sie spürte brennende Schmerzen. Das Schwert, das der Ork nach ihr geworfen hatte, hatte ihr eine lange Risswunde am Arm verursacht, und sie hatte eine weitere Wunde an der rechten Hüfte und noch eine, wo eine Speerspitze sie am rechten Fuß getroffen hatte.

»Du brauchst einen Priester«, sagte Wulfgar.

Catti-brie biss die Zähne gegen die Schmerzen zusammen, trat störrisch vor und griff nach ihrem Schwert. Sie riss es grob heraus – und eine weitere Fontäne von Ork-Blut ergoss sich über sie.

»Und ein Bad«, fügte der Barbar halb erheitert, halb bekümmert hinzu.

Banak Starkamboss schob zwei dickliche Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Die Orks waren wieder im Rückzug begriffen, und die Zwerge jagten ihnen hinterher, ohne die Formationen aufzugeben. Aber diesmal änderten die Orks die Richtung, stellte Banak von seinem Aussichtspunkt hinten am Klippenrand fest. Sie bewegten sich bei ihrer Flucht den Hang hinunter immer weiter nach Westen.

Banak pfiff abermals und wies seine Befehlshaber an, ihre Leute zurückzuholen.

Noch bevor dieser Befehl die Verfolger erreichte, hatten bereits alle Zwerge, einfache Soldaten und Befehlshaber, begriffen, um was es hier ging. In ihrer Blutgier hatten sich die Zwerge zu weit nach Nordwesten bewegt, zu nah zu dem hohen Gebirgskamm, auf dem die Riesen warteten. Sofort kam die Formation zum Stehen und wendete, aber die Steine begannen bereits zu prasseln.

Die präzise Drehung wurde zum abrupten Rückzug, und die Orks, die die Zwerge so weit gelockt hatten, drehten sich ebenfalls und machten die Verfolger zu Verfolgten.

»Verdammt schlaue Schweine«, knurrte Banak.

»Mit diesen Riesen auf dem Kamm haben sie einen taktischen Vorteil«, stimmte Torgar, der neben Banak stand, zu.

Dieser Vorteil würde wahrscheinlich zur Katastrophe führen. Die Orks, unterstützt durch die Geschosse der Riesen, stießen tief in die Zwergenlinien vor.

Die beiden Kommandanten oben am Klippenrand hielten den Atem an und beteten, dass ihre Leute bald aus der Schussweite der Riesen gelangen und im Stande sein würden, sich gegen die Orks zu verteidigen. Banak und Torgar versuchten Entfernungen abzuschätzen und riefen Befehle, die alle verbliebenen Zwerge in eine Position bringen sollten, von der aus sie ihre fliehenden Verwandten abfangen und schützen konnten.

Das Geschehen nahm jedoch eine plötzliche Wendung, als eine Gruppe der fliehenden Zwerge sich von der Haupttruppe trennte und mit plötzlicher Wildheit gegen die Orks wandte.

»Das ist wohl Pwent«, murmelte Banak.

Torgar tippte in Bewunderung der tapferen Knochenbrecher grüßend an den Helm.

Pwent und seine Jungs brachen mit schrecklicher Wut über die Orks herein, und die feindliche Front brach beinahe sofort auseinander.

Nun wandten die Riesen ihre Aufmerksamkeit diesem Bereich zu. Sie ließen Steine auf die Zwerge niederprasseln, selbst wenn sie dabei riskierten, ihre eigenen Verbündeten zu treffen.

Die Verfolgung war vorüber, und die meisten Zwerge waren im Stande, zu ihren Stellungen zurückzukehren. Alle Blicke wandten sich nun der Stelle zu, wo immer noch ein paar Knochenbrecher – weniger als die Hälfte jener, die sich so mutig umgedreht hatten, um anzugreifen – im Zickzack den Hang hinauf rannten.

Banaks Leute jubelten ihnen zu, feuerten sie an, riefen: »Lauft!« oder »Duckt euch!« und »Weiter so!«

Aber weitere Steine fanden ihr Ziel, und jedes Mal, wenn einer von Pwents Jungs fiel, stöhnten die Zwerge wie aus einem Mund.

Eine Gestalt erregte die Aufmerksamkeit der Zuschauer besonders. Es war Pwent selbst, der den Hang hinauf rannte und nicht nur einen, sondern zwei verwundete Zwerge auf den Schultern trug.

Der Jubel wurde lauter. Alle riefen: »Pwent! Pwent! Pwent!«

Der Schlachtenwüter wurde jedoch langsamer, und so konzentrierten sich die Riesen auf ihn. Steine prasselten rings um ihn nieder. Immer noch stapfte er weiter und brüllte bei jedem Schritt, entschlossen, seine verwundeten Jungs in Sicherheit zu bringen.

Ein Stein schlug hinter ihm auf, polterte weiter, traf ihn im Rücken und ließ ihn vorwärts taumeln. Die verwundeten Zwerge fielen nach beiden Seiten herunter, und alle drei landeten auf dem Boden.

Oben am Hang wich der Jubel angespanntem Schweigen.

Pwent versuchte, wieder auf die Beine zu kommen.

Ein weiterer Stein streifte ihn und riss ihn erneut zu Boden.

Zwei Gestalten lösten sich aus der Zwergenarmee und sprinteten mit ihren langen Beinen den Hang hinunter zu den gestürzten Kameraden.

Erstaunlicherweise raffte Pwent sich wieder auf und wandte sich den Riesen zu. Er riss einen Arm hoch und schlug sich mit dem anderen in die Ellbogenbeuge, so dass seine Faust hoch in die Luft schnellte – die unanständigste Geste, die er machen konnte.

Ein weiterer Stein prallte vor ihm auf, sprang über ihn und polterte hinter ihm nieder.

Pwent blieb stehen und beschimpfte die Riesen weiterhin mit rüden Gesten.

Catti-brie wünschte sich so sehr, ihren Bogen zu haben! Dann hätte sie ihren Freunden vielleicht ein wenig Deckung gegen diesen mörderischen Angriff bieten können.

Wulfgar hatte eine größere Reichweite als sie, und seine Hände waren frei, denn er hatte Aegis-fang bei den Zwergen gelassen.

»Kümmere dich um Pwent!«, rief der Barbar und eilte auf einen der beiden schwer verwundeten Krieger zu.

Catti-brie packte den störrischen Schlachtenwüter an dem immer noch in die Luft gereckten Arm.

»Komm schon, du Idiot!«, rief sie. »Sie werden dich zerschmettern!«

»Pah! Die sind so dumm, wie sie groß sind«, rief Pwent.

Er riss seinen Arm los, hakte zu beiden Seiten die Finger in den Mund, zog ihn weit auseinander und streckte den Riesen die Zunge heraus.

Er wurde allerdings sofort ernst, als er Wulfgar sah, der mit einem bewusstlosen Zwerg auf der Schulter vorbeieilte. Dann beobachtete er, wie der Barbar den zweiten gefallenen Knochenbrecher mit seiner riesigen Hand am Kragen packte und ihn ebenfalls mühelos hochhob.

Als Catti-brie noch einmal an ihm zerrte, widersetzte sich der Schlachtenwüter nicht mehr, und sie konnte ihn hinter sich den Abhang hinaufziehen. Der Steinhagel ging mit voller Kraft weiter, aber die drei hatten Glück, ebenso wie Wulfgars bewusstlose Fracht, und der Barbar wurde trotz des Gewichts der beiden verwundeten Zwerge kaum langsamer. Bald schon waren sie außer Reichweite der Steine. Die frustrierten Riesen begannen wieder, Schiefersplitter zu werfen, und füllten die Luft mit ihren scharfkantigen Geschossen.

Die Zwerge jubelten laut, als die fünf näher kamen. Wie ein einziger Mann hoben mehrere hundert Zwergenkrieger die Arme zu dreisten Gesten und stellten sich trotzig den Schiefersplittern.

»Halte deine Arzneien bereit«, rief Banak Pikel Felsenschulter zu, der an der Seite stand und aufgeregt auf und ab hüpfte.

»Ei, ei!«, rief der Zwerg zurück, drehte sich um und hob den Arm zu einem Gruß.

Ein Schiefersplitter wirbelte heran und traf Pikels erhobenen Arm am Ellbogen. Der grünbärtige Zwerg schaute verwirrt drein und taumelte vorwärts, dann zuckte er die Achseln, als verstünde er nicht, was geschehen war.

Seine Augen wurden groß, als er den abgeschnittenen Arm – seinen abgeschnittenen Arm! – neben sich liegen sah.

Sein Bruder Ivan reagierte sofort, stürzte auf ihn zu, wickelte seinen Umhang fest um den Blut spritzenden Armstumpf, und andere Zwerge in der Nähe schrien erschrocken auf und eilten den beiden zu Hilfe.

Pikel saß jetzt am Boden, weil sein Bruder ihn dazu gedrängt hatte.

»Oooh«, sagte er.