Stern von Bethlehem

Also, bei Star Trek waren alle Juden.
William Shatner

Jedes Jahr knapp zwei Wochen nach Weihnachten begehen die christlichen Kirchen das sogenannte Dreikönigsfest. Ihren Ursprung hat diese Tradition in der Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Matthäus, die dazu folgenden Text enthält: «Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Bethlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.» Selten enthielt eine so kurze Passage so viele Rätsel. Sie liefert keine Informationen über die Namen der weisen Sterndeuter (Kaspar, Melchior und Balthasar hießen sie sicher nicht), ihre Anzahl (wahrscheinlich mehrere, drei ist allerdings geraten) und ihre Herkunft (eventuell Persien oder Babylon). Außerdem: Nirgendwo wird erklärt, um welchen rätselhaften Stern es sich handelte. Der Stern von Bethlehem, der wohl einflussreichste Stern in der Geschichte der Sterne (die Sonne ausgenommen), ist ein großes Geheimnis.

Die folgende Diskussion geht von einigen Voraussetzungen aus, ohne die es sinnlos ist, nach dem Stern von Bethlehem zu suchen. Im Folgenden wird angenommen, dass es eine historische Figur Jesus aus Nazareth gab und dass die Evangelien des Neuen Testaments brauchbare Berichte von Zeitzeugen darstellen, in denen der Stern nicht etwa nachträglich dazugedichtet wurde, um der Begebenheit zusätzlichen Glanz zu verleihen. Alle diese Grundannahmen sind nicht hundertprozentig unumstritten; zum Beispiel taucht ab und zu die Theorie auf, das gesamte Neue Testament sei von den Römern nachträglich zusammengezimmert worden, um die Juden zu entzweien. Trotzdem sind diese drei Annahmen weniger fraglich als die astronomische Erklärung des Sterns von Bethlehem. Und man muss voraussetzen, dass es sich beim Weihnachtsstern um kein einmaliges Medienereignis handelte, das von einem gewissen Gott in Szene gesetzt wurde, denn ansonsten erübrigt sich sowieso jede Debatte.

Sind diese Voraussetzungen akzeptiert, wäre es als Nächstes hilfreich zu wissen, wann denn die Geburt von Jesus überhaupt stattfand. Das ist leider nur sehr grob bekannt. Übereinstimmend berichten Lukas und Matthäus, dass dieses Ereignis in die Regentschaft des König Herodes fiel, der, als er vom neuen König erfuhr, alle Neugeborenen in der Gegend von Bethlehem umbringen ließ, um sich unliebsame Konkurrenz vom Hals zu schaffen. Herodes wiederum starb kurz vor dem (nachträglich festgelegten) Start der aktuellen Zeitrechnung, also eigentlich «vor Jesu Geburt» – unser Kalender ist in dieser Hinsicht etwas ungenau. Die wichtigste Quelle zur Festlegung von Herodes’ Tod ist der römisch-jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus, der rund achtzig Jahre später berichtete, Herodes sei kurz nach einer Mondfinsternis, aber vor dem darauffolgenden jüdischen Passahfest gestorben. Lange ging man davon aus, dass die Mondfinsternis im März des Jahres 4 v. u. Z. gemeint sein müsse. Zwischen ihr und dem Passahfest liegen allerdings nur etwa vier Wochen, in denen zahlreiche belegte historische Ereignisse – unter anderem so zeitaufwändige Dinge wie Hinrichtungen, Verschwörungen und schließlich die ausgedehnten Trauerfeierlichkeiten für Herodes – stattgefunden haben müssten. Aus ungeklärten Gründen geben Kopien des Flavius-Reports aus der Zeit vor 1552 ein anderes Datum für den Tod des Herodes an, nämlich nach der Mondfinsternis im Januar des Jahres 1 v. u. Z., was genügend Zeitabstand bis zum Passahfest ließe. Das Kopieren von Dokumenten war bis vor einigen hundert Jahren leider etwas fehleranfällig. Es wurde vorwiegend von Mönchen durch einfaches Abschreiben vorgenommen, denn Mönchen im Mittelalter war die Benutzung von Fotokopierern aus religiösen Gründen untersagt. Vielleicht hat ein müder Mönch vor fünfhundert Jahren im Kerzenschein die Zahlen vertauscht.

Eine weitere Eingrenzung könnte ein Hinweis liefern, den zum Beispiel Lukas in seinem Evangelium hinterlassen hat: «Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.» Wegen dieser ominösen «Schätzung» zogen Josef und Maria nach Bethlehem. Im Wesentlichen kommen zwei historische Ereignisse infrage, die zu einer solchen allgemeinen Massenwanderung hätten Anlass geben können. Zum einen musste jeder Bürger aus steuerrechtlichen Gründen alle 20 Jahre seinen Geburtsort aufsuchen, für moderne Verhältnisse eine Zumutung. Eine dieser Steuererfassungen fand im Jahr 8 v. u. Z. statt, hinreichend lange vor dem Tod des Herodes. Zum anderen ließ Kaiser Augustus im Herbst des Jahres 3. v. u. Z. alle Bürger des Römischen Reiches einen Schwur auf den Kaiser, also sich selbst, leisten. Insbesondere mussten alle Juden geloben, nie und nimmer seinen Thron zu stürzen. Dazu begaben sie sich genauso wie zur Steuerschätzung in ihre Geburtsstadt. Akzeptiert man das Jahr 1 v. u. Z. als den Zeitpunkt von Herodes’ Tod, so könnten diese kaiserlichen Festlichkeiten leicht der Anlass für Maria und Josef gewesen sein, nach Bethlehem zu reisen. Insgesamt kommt man zu dem Schluss, dass Jesus irgendwann zwischen 8 v. u. Z. und 1 v. u. Z. geboren wurde. In diesem Zeitrahmen muss man nach dem berühmten Himmelsereignis suchen.

Dabei ist es wichtig, neben astronomischen auch astrologische Gesichtspunkte zu beachten: Der Stern muss nicht einmal besonders hell sein, sondern vor allem bedeutungsvoll. Vor 2000 Jahren waren Sternenkunde und Sternendeutung noch eins, Sterne wurden beobachtet, kartiert, man verfolgte ihre Bahnen, suchte nach Regelmäßigkeiten, und aus alldem sagte man die Zukunft voraus. Erst viele hundert Jahre später geriet die Zukunftsdeutung etwas ins Zwielicht, weil es Wissenschaftlern immer schwerer fiel, an einen Zusammenhang zwischen unserer Zukunft und extrem weit entfernten Gasbällen zu glauben. Sterndeutung war zwar zu Augustus’ Zeit populär, aber die Juden waren davon ausgenommen, bei ihnen galt Astrologie als Blasphemie. Wenig überraschend ist es daher, dass in Israel selbst niemand auf die Idee kam, ein Himmelsereignis mit der Geburt eines neuen Königs zu verbinden. Für die kundigen Weisen jedoch mussten die Vorgänge am Himmel so eindeutig gewesen sein, dass sie laut «Hurra» riefen, auf die Pferde stiegen und gen Westen ritten.

Einige lange diskutierte Kandidaten sehen zwar erhaben aus, kommen aber nach neueren Erkenntnissen eher nicht infrage. Ein gutes Beispiel ist der prominente Komet Halley, der immer wieder auf bildlichen Darstellungen als Stern von Bethlehem auftaucht. Halley erscheint regelmäßig alle 75 Jahre, unter anderem auch im Jahr 12 v. u. Z. Dies ist allerdings nach allem, was oben gesagt wurde, ein paar Jahre zu früh für einen Auftritt als Künder von Jesu Geburt. Man muss Halley aber wegen dieses Missgeschicks nicht bedauern, schließlich ist er trotzdem berühmt geworden. Andere Kometen, die von den aufmerksamen chinesischen Astronomen der damaligen Zeit dokumentiert wurden, etwa in den Jahren 4 und vielleicht auch 5 v. u. Z., kämen theoretisch zwar infrage. Jedoch gibt es zwei Probleme: Zum einen waren die Weisen eben weise und nicht dumm. Kometen lassen sich am Himmel leicht von Sternen unterscheiden, weil sie sich ganz anders bewegen und oft einen Schweif hinter sich herziehen, und diese Unterschiede waren damals bereits hinlänglich bekannt. Warum sollten die Weisen also von einem «Stern» berichten, wenn sie einen Kometen meinten? Zum anderen galten Kometen im Römischen Reich und Persien als Künder von Unheil. Man hätte sich bei so einer Entdeckung eher mit einer Papiertüte über dem Kopf im Keller verkrochen, als die Ankunft eines neuen, ruhmreichen Königs anzukündigen.

Eine zweite, für moderne Astronomen offensichtliche Variante wäre eine Supernova, ein «neuer Stern» am Himmel. Solche Ereignisse werden heute mit großen Teleskopen routinemäßig beobachtet und entstehen entweder im Todeskampf sehr schwerer Sterne oder aber wenn ein schon verstorbener Stern explodiert. Aufgrund dieses Wissens würde man heute kaum auf die Idee kommen, eine Supernova für einen Künder von Glück und Ruhm zu halten, aber über Schicksalsschläge im Leben von Sternen war zur Zeit Augustus’ noch nichts bekannt. Der Effekt jedenfalls ist beeindruckend, plötzlich erscheint am Himmel ein neuer, sehr heller Stern, an einer Stelle, wo vorher nur Dunkelheit war. Johannes Kepler, der im Jahr 1604 Zeuge einer solchen Supernova wurde, schlug darum als Erster vor, den Stern von Bethlehem mit Hilfe eines solchen Ereignisses zu erklären. Seltsam dann nur, dass den akribischen Chinesen im fraglichen Zeitraum nichts Derartiges auffiel. Und zudem bewegt sich eine Supernova nicht relativ zu den Sternen, sie steht immer im selben Sternbild, was klar dem Bericht von Matthäus widerspricht. Darum scheidet auch die so bequeme Lösung einer Supernova für die meisten Experten aus.

Die heute allgemein für plausibel gehaltenen Theorien gehen nicht von einem einzelnen Himmelsobjekt aus, sondern vom Zusammenwirken mehrerer Planeten, manchmal mit Unterstützung des Mondes. Um der Wahrheit näher zu kommen, müsste man demnach alle Sterne mit Kometenschweif von den Weihnachtsbäumen entfernen und durch zwei oder drei sich bewegende Lichtpunkte ersetzen. Im fraglichen Zeitraum gab es eine Reihe von seltenen Konstellationen, bei denen sich zwei oder drei Planeten am Himmel nahe kamen. Im Jahr 7 v. u. Z. trafen sich Jupiter und Saturn gleich dreimal innerhalb von sieben Monaten, und zwar im Tierkreiszeichen Fische, ein uraltes Symbol des Judentums. Jupiter galt als Stern des Königs, Saturn als Beschützer der Juden, folglich könnte ihr Zusammentreffen die Geburt eines jüdischen Königs anzeigen, so argumentierte der österreichische Astronom Konradin Ferrari d’Occhieppo in den 1960er Jahren. Im Jahr 6 v. u. Z. trafen sich Jupiter, Saturn und diesmal noch Mars schon wieder im Sternbild Fische, ein zu dieser Zeit offenbar populärer Aufenthaltsort für Planeten. Auch dieses Ereignis käme theoretisch infrage.

Noch beeindruckender allerdings erscheint eine Abfolge von seltenen Ereignissen, die sich in den Jahren 3 und 2 v. u. Z. zutrugen, zeitgleich mit den Feierlichkeiten zur Ehrung von Kaiser Augustus. Im Mai des Jahres 3 begegneten sich Saturn und Merkur auf engstem Raum. Dann zog Saturn weiter und traf sich im Juni mit Venus. Damit nicht genug, denn die vergnügungssüchtige Venus hatte im August auch noch ein Rendezvous mit Jupiter und wenige Tage danach eines mit Merkur. Zehn Monate darauf, im Juni des Jahres 2 v. u. Z., trafen sich Jupiter und Venus erneut, und diesmal kamen sie sich so nahe, dass sie für das menschliche Auge zu einem einzigen extrem hellen Ding wurden, und zwar im Sternbild Löwe, dem Herrscher des Tierkreises. Hier verschmolz der königliche Planet Jupiter mit Venus im königlichen Sternbild, und gleichzeitig war auch noch Vollmond – könnte man stilvoller einen neuen König ankündigen? Wenige Wochen später kamen Jupiter, Venus, Mars und Merkur noch einmal im Sternbild Löwe zusammen, nur Saturn fehlte unentschuldigt. Im selben Zeitraum vollführte Jupiter zudem einen Schlenker am Himmel: Zunächst umkreiste er im Jahr 2 v. u. Z. den Stern Regulus, hellstes Objekt im Löwen und als Stern des Königs bekannt, bevor er im Dezember des Jahres 2 v. u. Z. für mehrere Tage nahezu zum Stillstand kam, und zwar mitten im Sternbild Jungfrau. Von Jerusalem aus gesehen stand Jupiter in diesen Nächten passend in Richtung Bethlehem – dort ist die Jungfrau mit dem König (Jupiter) in ihrem Leibe. Man könnte dem Sternenhimmel in diesem Fall nicht vorwerfen, sich missverständlich ausgedrückt zu haben. Der Historiker und Meteorologe Ernest L. Martin war es, der im Jahr 1991 dieses zwei Jahre andauernde Planetenspektakel als die astronomische Erklärung für den Stern von Bethlehem präsentierte. Allerdings darf Herodes dafür nicht schon im Jahr 4 v. u. Z. gestorben sein, was noch abschließend geklärt werden müsste.

Eine noch jüngere Theorie stammt wiederum von einem gelernten Astronomen. Michael R. Molnar sammelt in seiner Freizeit antike Münzen. Aus der Analyse römischer Münzen folgerte er, dass es falsch war, davon auszugehen, die Juden würden vom Sternbild Fische repräsentiert. Stattdessen sieht er eindeutige Hinweise auf eine symbolische Verbindung zwischen Judentum und dem Sternbild Widder. Das, so Molnar, ändert alles. Im April des Jahres 6. v. u. Z. standen die Sonne, Venus, Mars, Jupiter und zeitweilig der Mond, alles wichtige Leute im Sonnensystem, gleichzeitig im Sternbild Widder. Molnar folgert, dass dies der «Stern» von Bethlehem gewesen sein müsse. Oder, wie es sein Kollege Brad Schaefer ausdrückt: «Wow, das hätte jedem Astrologen den Turban weggeblasen.» Molnars Theorie verdeutlicht das eigentliche Problem bei der Weihnachtssternforschung: Es reicht nicht, einen hellen Stern zu finden. Zusätzlich muss man wissen, was der jeweilige Stern bedeutet haben könnte. Insgesamt entsteht eine Art verdrehte Astrologie – Sterndeutung nicht als Reise in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit.

Natürlich ist es wie bei den meisten alten Rätseln leicht möglich, dass die Geschichte um den Stern von Bethlehem nie aufgeklärt wird. Andererseits hat die jüngere Astronomie einige Fortschritte in dieser Frage erbracht, zum Beispiel den Ausschluss der Supernova-Hypothese und die genaue Datierung des Erscheinens des Kometen Halley. Zudem sind einige der vermutlich besten Theorien gerade in den letzten zwanzig Jahren ausgedacht worden, was hoffnungsfroh stimmt. Eines sollte man allerdings bedenken: Es besteht ein gewisses Risiko, dass sich am Ende alle ernsthaften Erklärungsversuche als untauglich erweisen. Denn vielleicht war es doch der große fliegende Hund, der einen Lampion zwischen den Zähnen hielt und so die Weisen in die Irre führte.

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