Sonntag, der 6. Januar

Nun sind sie endlich mit allem herausgerückt. Nicht nur, dass sie mich adoptiert haben, nein, ich bin auch noch ein Findelkind vom Klo. Superstart, Max! Gratuliere! Das muss ich obergeheim halten, sonst könnte ich mich nicht retten vor Leuten, die mich deswegen dizzen. Vielleicht erzähle ich es Chiara. Weiß nicht, mal sehen. Dass Maurice mein Zwillingsbruder ist, kann ich auch endgültig haken. Oma jedenfalls ist sich bombensicher, dass das Kind von der Bentheim nicht auch ein Findelkind ist, sondern dass ihre Freundin Brigitte die Geburt voll real miterlebt hat. Ich lege mal hier den Zeitungsartikel bei. Oma hat ihn mir überlassen. Als Sonja nicht mehr im Zimmer war, hat Oma mir gestanden, dass sie den Artikel damals ausgeschnitten hatte, weil sie hoffte, Andreas und Sonja könnten dieses Kind bekommen. Oma war daher zu Renate Herold gegangen, die auch hier in der Siedlung wohnt. Die war zu der Zeit Sozialarbeiterin beim Jugendamt, und Oma hat sie gebeten, dort ein gutes Wort für ihren Sohn und ihre Schwiegertochter einzulegen, damit sie das Findelkind vom Uniklo bekommen. Durch Renate Herold war Oma damals auch immer auf dem neuesten Stand, was die Fahndung nach der Mutter des Kindes betraf. Der Mann von der Renate Herold war nämlich bei der Kriminalpolizei. Der weiß wahrscheinlich bis heute nicht, was seine Frau alles weitergeplappert hat.

Aber so ist Oma. Sie macht immer hintenherum Politik und die wenigsten Leute merken, was sie so alles einfädelt. Insofern war das echt eine Sensation, als meine Oma eines Tages ganz offen und laut protestieren ging. Meine Oma! Wir haben noch Fotos, wie sie Transparente gemalt hat und in einer Riesendemo zur Klapperwiese gepilgert ist. Einmal hat sie mich mitgenommen und später einen Riesenkrach mit Andreas bekommen. Ich war damals acht und fand es lustig, die Oma und mich mit einem Vorhängeschloss an den nächsten Baum zu ketten. Es ging um die Gelbbauchunken im Moderbachtümpel, um die Hufnasenfledermaus und die alten Hochstamm-Obstbäume. Auf der Klapperwiese sollten damals weitere Wohnblocks gebaut werden. Oma ist heute noch voll stolz, dass sie es damals geschafft haben, das zu verhindern. Inzwischen ist die Klapperwiese sogar ein Naturschutzgebiet, und es würde mich nicht wundern, wenn Oma es mit ihrer Initiative noch fertigbringt, ganz Modertal als Weltnaturerbe casten zu lassen.

Eben habe ich eine SMS bekommen. Chiara kommt morgen. Ich werde sie am Flughafen abholen. Sie hat es wirklich fertiggebracht, ihre Familie herumzukriegen, dass sie die Woche alleine im Bentheim-Schlösschen wohnen darf. Chiara kann beinhart sein, wenn sie etwas will. Sturmfreie Bude, hat sie geschrieben. Na, das kann was werden.

Blitzschnell drehte Chiara mit der Gabel die Spaghetti in der Tomatensoße und führte dann ein perfekt gewickeltes kleines Knäuel zum Mund. Max probierte dieses Kunststück erst gar nicht, er nahm einen Esslöffel zu Hilfe, in dem er die Nudeln mühsam um die Gabel drehte. Trotzdem machte sich immer eine Nudel selbstständig und löste sich tropfend in Richtung Teller. Max stopfte alles schnell in den Mund und schlürfte dabei wie ein Karpfen im Schilf, was Chiara zu missbilligenden Seitenblicken veranlasste.

»Ich nix Italiano«, erklärte Max. »Wenn ich sie mit dem Messer klein schneiden würde, dann würdest du schreien.«

»Und wie!«, kicherte Chiara und führte die nächste Portion zum Mund.

Max beobachtete sie lächelnd. Seit er sie heute Mittag vom Flugzeug abgeholt hatte, war sie ununterbrochen am Reden. Sie erzählte von Sizilien. Dass dort das Wetter auch nicht besser sei als hier. Grau, 12 Grad. Nichts Halbes, nichts Ganzes. Zu warm für Winterklamotten, zu kalt zum Baden. Dazwischen schob sie Kurzberichte über ihren Vater und dessen neue Familie ein.

»Francesco ist ja ganz lieb und nett, er hat sich auch voll die Mühe gegeben und für einen Sizilianer echt viel geredet. Allerdings habe ich nur die Hälfte verstanden. Ich kann eh nicht mehr so fließend Italienisch, aber was ich kann, habe ich in Monza gelernt, das ist etwas ganz anderes.«

»Wirst du ihn wieder besuchen?«, fragte Max.

Sie zuckte mit den Schultern. »Glaube nicht. Wollte ja nur mal wissen, wer er ist, was er für ein Typ ist und so, aber jetzt ist mein Bedarf gedeckt.«

»Du willst ihn nicht wiedersehen, obwohl er dein Vater ist?«

Chiara schob Spaghetti nach und grunzte. Dann schluckte sie und sagte: »Es ist eine andere Welt. Meine Mama hat mich ja gleich gewarnt.«

Max sah sich in der modernen, geräumigen Küche um, in der viel Edelstahl blitzte. Sie saßen an der Granitplatte des voluminösen Esstisches, der in der Mitte des Raumes stand. Max schätzte, dass allein diese Küche die Hälfte der Grundfläche des Hauses einnahm, in dem er wohnte. Im Vergleich zu mir, wohnt sie in einer anderen Welt, dachte er. Umso mehr schätzte er es, dass Chiara damit so natürlich und unverkrampft umging. Tat sie das nur, weil er Maurice ähnelte? Weil Maurice einer gewesen war, der hierher gehörte? Würde sie den ganz normalen Max in ihrer Nähe dulden, den Max hinter der Maurice-Maske?

»Los! Und jetzt erzähl du endlich! Was ist los bei euch in der Family?«

Max tat eine Weile so, als müsse er die Spaghetti ausführlich kauen, dann begann er zögerlich. Chiara hörte ihm aufmerksam zu. Ihre Miene begleitete und kommentierte mitfühlend alles, was er sagte. Plötzlich fiel es ihm nicht mehr schwer, ihr alles zu berichten, und nach einiger Zeit war Chiara über sämtliche Details informiert.

»Das ist ja nicht zu glauben«, flüsterte sie. »Einfach in einem Klo abgestellt. Wer tut so etwas?«

»Sie hat sich nicht gemeldet, und die Fahndung nach ihr verlief ergebnislos, hat Oma mir erzählt.«

»Woher wusste sie das so genau?«, fragte Chiara.

Max sah durch das bodentiefe Fenster hinaus auf die perfekt gepflegte Rasenfläche. Kein Blatt lag da noch, alle Büsche rundherum waren ordentlich geschnitten. Ein wenig erinnerte ihn das an den Stadtpark oder den Friedhof. Maurice, dachte er. Wie oft hat Maurice hier so mit Chiara am Tisch gesessen?

Chiara wiederholte ihre Frage.

Max blinzelte, als wäre er gerade aufgewacht. »Oma kennt einen aus der Siedlung, der war früher bei der Polizei, seine Frau war beim Jugendamt, dadurch saß sie an der Quelle. Trotzdem denke ich …« Max sprach den Satz nicht zu Ende, sondern sah weiter grübelnd in die Ferne.

»Was denkst du?«, hakte Chiara nach.

Max sah sie prüfend an und meinte immer noch ehrliches Interesse zu spüren. »Willst du das wirklich wissen?«, erkundigte er sich probehalber.

»Ja!«, bestätigte sie überzeugt.

Er holte tief Luft. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie noch mehr über diese ganzen Geschichten von damals weiß und nicht alles erzählt.«

»Warum sollte sie dir jetzt noch etwas verschweigen?«

»Meine Oma schweigt immer aus einem einzigen Grund.«

»Und der wäre?«

»Sie will die anderen schonen. Meine Oma ist ein einziges wandelndes Schonprogramm! Mit schlechten Nachrichten rückt sie nur Löffelchen für Löffelchen heraus, damit ihre Lieben sich nicht daran verschlucken.«

»Und du meinst, sie weiß doch mehr über deine Herkunft, als sie dir erzählt hat?«

Max zuckte mit den Schultern.

Chiara überlegte laut: »Aber was kann das sein? Wenn sie zum Beispiel wüsste, wer deine Mutter ist, wäre es doch das Allerletzte, so was für sich zu behalten. So brutal kann sie nicht sein!«

»Vielleicht ahnt sie es ja auch nur. Schließlich kennt sie die Leute hier in der Siedlung ziemlich gut.«

»Aber es ist doch nicht gesagt, dass deine Mutter eine von hier aus der Siedlung ist, oder hängst du jetzt wieder aufs Neue der Idee nach, Maurice könnte dein Zwilling gewesen sein?«

Max schüttelte den Kopf. »Das hat Oma sogar widerlegt. Sie kannte die Hebamme, die Maurice auf die Welt gebracht hat. Maurice ist kein Findelkind wie ich.«

Chiara verzog schmerzlich das Gesicht. »Das hätte ich dir auch alles sagen können. Gero hat Mama und mir sogar erzählt, wie das damals war. Maurice wurde in dem Zimmer geboren, das dann später sein Kinderzimmer wurde. Gero hätte den kleinen Kerl im Arm gehabt und sei der glücklichste Mann der Welt gewesen. Ein gesunder, kleiner Junge! Ein Göttergeschenk, hat er gesagt.«

»Wann hat er das erzählt?«

Chiara verzog nachdenklich das Gesicht. »Es war, nachdem wir von Maurice’ Beerdigung zurückkamen. Ich habe Gero noch nie so aufgelöst gesehen, es war das Schlimmste, was ihm passieren konnte. ›Wie konnte er das nur tun?‹, hat er ständig gefragt.«

»Er glaubte also auch, dass es Selbstmord war?«

»Ja, es war Selbstmord!«, fuhr Chiara heftig auf.

Max verzog skeptisch die Mundwinkel. »Warum bist du dir da so sicher?«

Chiaras Augen wurden glasig. »In den letzten Wochen davor war er so – anders. Er war in sich gekehrt und nachdenklich.«

»Hast du ihn nicht gefragt, was mit ihm los war?«

»Doch, habe ich, und zwar genau einmal. Er hat zu mir gesagt, es ginge mich nichts an, ich soll lieber in die Stadt gehen und Klamotten kaufen, damit hätte ich genug Probleme bei meiner Figur. Da sollte ich mich mal besser drum kümmern.«

»Das war ja nicht gerade nett.«

Chiara sah Max mit bitterem Lächeln an: »So war er. Maurice war nicht gerade nett.«

Max schaute sie verblüfft an. »Ich dachte immer, ihr hättet euch so gut verstanden?« Chiara zuckte mit den Schultern. »Wir sind uns aus dem Weg gegangen, soweit das zu arrangieren war. Ich habe sogar meine Mutter bearbeitet, sie solle beantragen, dass ich in eine andere Klasse komme oder die Schule wechseln kann.«

»Und warum?«

»Maurice war ein Machtmensch. Einer, der sich nur gut gefühlt hat, wenn er über andere bestimmen konnte. Ich hatte die Nase voll davon, ihm ständig meine Hausaufgaben geben zu müssen und Referate für ihn zu schreiben und dafür verantwortlich zu sein, dass seine Noten einigermaßen auf Stand blieben.«

»Und warum hast du dann nicht gewechselt?«

»Weil Gero es nicht wollte. Er wollte, dass ich sozusagen als Back-up für Maurice einstehe und seinen Schulabschluss garantiere. Maurice war sein Kronprinz, sein Ein und Alles. Sein Stammhalter, der später einmal seine Firmen übernehmen sollte. Maurice und Michelle sollten erben, seine leiblichen Kinder eben. Und damit es nicht zu viele Erben gibt, hat er es auch schön vermieden, mich zu adoptieren. Darum heiße ich Chiara Plati und nicht von Bentheim. Scheiß drauf! Ich habe noch eine nette Familie in Monza.«

»Das ist die Mutter von deiner Mutter?«

»Ja. Mamas Schwester und ihr Mann wohnen auch noch im Haus und meine Cousine und mein Cousin. 15 und 17 Jahre alt, also ganz brauchbar.«

Max lächelte. »Irgendwie sitzen wir beide im selben Boot.«

»Wie meinst du das?«

»Wir sind auf der Suche danach, wer wir sind und wohin wir gehören.«

Chiara stand auf, um die Teller abzuräumen. »Ist das nicht jeder, irgendwie?«

Max brachte Chiara das restliche Geschirr zur Spülmaschine. »Darf ich noch einmal in Maurice’ Zimmer?«

Chiara stöhnte. »Warum das jetzt?«

Max erklärte: »Das letzte Mal war ich dort, als ich noch fest überzeugt war, er sei mein Bruder. Jetzt möchte ich mich dort von dem Gedanken verabschieden.«

»Du weißt, dass Gero das letzte Mal fast ausgetickt ist, als er uns dort oben stehen sah. Er mag es nicht, wenn ich Besuch in den ersten Stock bringe, das ist absolute Familien-Sperrzone.«

Max nickte. »Ich hatte damals einen Moment den Eindruck, er hielt mich für Maurice und hat sich tief erschreckt!«

»Blödsinn!«, murmelte Chiara und stieg vor ihm die Treppe nach oben. Max folgte ihr lautlos über den weichen, tiefen Teppich.

»Ihr habt es noch immer so gelassen, wie es war?«

Chiara nickte und ließ die Tür aufschwingen. »Bitte sehr, tu dir keinen Zwang an, sing dein Abschiedslied!«

Max trat vorsichtig ein. Der Raum wirkte jetzt kleiner auf ihn, als er ihn in Erinnerung hatte. Er erklärte sich das damit, dass Maurice für ihn bei seinem letzten Besuch in diesem Zimmer, kurz nach den Herbstferien, so etwas wie ein übermächtiger Geist gewesen war. Automatisch war daher in seiner Vorstellung der Raum gewachsen.

Max’ Blicke wanderten umher. Hallo Maurice, habe gerade erfahren, dass du hier geboren worden bist. Hier hat dich dein stolzer Papa auf dem Arm getragen und vielleicht mit dir hier an der Balkontür gestanden und dir den schönen Park gezeigt, den du einmal erben wirst. Wie oft hast du selbst hier gestanden? Woran hast du gedacht in den letzten Wochen deines Lebens? Was hat dich gequält?

Der Raum sah extrem aufgeräumt aus. Aufgeräumt oder ausgeräumt? Auf jeden Fall so, wie Max’ Zimmer noch nie ausgesehen hatte.

Was hast du hier eigentlich gemacht, Maurice?

Max’ Blick fiel auf einen großen Flachbildschirm an der Wand.

Aha, du hast da drüben im Bett gelegen und ins Glotzofon gestarrt.

Max trat an die blanke Schreibtischplatte heran. Auf dem Holz zeichnete sich ein heller Fleck ab. Bestimmt hatte hier einmal ein Laptop gestanden. Max setzte sich auf den Schreibtischstuhl und rollte ein wenig hin und her. An der Pinnwand über dem Schreibtisch hing ein kleines, bedrucktes Schild. Max erhob sich, beugte sich weit vor und entzifferte, was dort geschrieben stand.

»Hat Maurice das dort hingehängt?«, fragte Max.

Chiara stülpte die Unterlippe vor. »Wer sonst? So, wie er damals drauf war, sieht ihm das ähnlich.«

Max las laut vor: »Stirb erst, wenn du tot bist!« Fragend sah Max zu Chiara hinüber. »Was ist denn das für ein unlogischer Spruch?«

Chiara sah nachdenklich zum Fenster hinaus. »So unlogisch ist das gar nicht. Es gibt Leute, die sind schon ein paar Jahre vorher tot.«

Max begegnete Chiaras Blick. Etwas in diesem Zimmer drückte auf die Stimmung. Lag es daran, dass Maurice’ Anwesenheit hier noch zu spüren war? Nein, im Gegenteil. Das Zimmer wirkte so unbewohnt und unpersönlich wie ein Hotelzimmer. Wenigstens ein bisschen Leben in die Trostlosigkeit brachte das hohe Regal mit den bunten Buchrücken, das sich neben der Tür bis zur nächsten Wand erstreckte. Max trat näher heran und schüttelte den Kopf. »Kalle Blomquist, Pippi Langstrumpf, Emil und die Detektive. War das die Lektüre, mit der sich Maurice vor dem Schlafengehen beschäftigt hat?«

Chiara grinste. »Maurice hat nie gelesen. Das Regal hier steht schon seit ich mich erinnern kann. Hier sind die Kinderbuchklassiker mehr oder weniger dekomäßig untergebracht. Ich glaube, das Regal hat die Innenarchitektin vor Maurice’ Geburt so eingerichtet.«

»Wow, Innenarchitektin!«, kommentierte Max, woraufhin Chiara sich genötigt fühlte zu sagen: »Mein Zimmer habe ich selbst eingerichtet, und dort gibt es Bücher, die gelesen wurden! Bist du jetzt fertig mit dem Kapitel Maurice?«

Max nickte und verließ mit ihr den Raum. Die Art, wie sie die Tür hinter ihnen beiden zuzog, hatte etwas Endgültiges.

»Du willst nicht mehr, dass ich mich noch weiter mit Maurice beschäftige, nicht wahr?«, fragte Max.

Chiara sog schnaubend die Luft ein. »Richtig! Ich möchte, dass du endlich merkst, dass du Max bist und dass dieser Max zum Glück sehr wenig mit Maurice zu tun hat!«

Max fuhr auf: »Aber du selbst hast doch am stärksten darauf reagiert, wie ähnlich wir beide uns sind!«

»Nein, das hast du falsch verstanden. Ich war sehr verwundert darüber, wie jemand, der äußerlich wie Maurice wirkt, so ganz anders sein kann. So nett, so zurückhaltend, so ganz ohne blöde Sprüche. Selbst wenn du versucht hast, dich wie er zu stylen, hast du mir immer vorgeführt, wie die andere, die positive Version von Maurice hätte ausfallen können. Deshalb konnte ich nicht aufhören, dich anzuschauen und in deiner Nähe zu sein.«

Max gab immer noch nicht auf. »Aber du hast doch das Zwillingsfoto von uns zusammengebastelt und gepostet.«

Chiara machte eine abwehrende Geste. »Ich habe das nicht montiert, damit man sieht, wie ähnlich ihr euch seid, sondern wie unterschiedlich ihr seid bei aller scheinbaren Ähnlichkeit.«

»Das klingt ziemlich kompliziert«, kommentierte Max.

Chiara zog Max in ihr Zimmer, klappte ihr Laptop auf und zeigte ihm das Bild. »Bei der Vergrößerung müsstest du es erkennen. Hier, sieh doch, es ist ganz unmöglich, dass ihr Zwillinge seid. Sein Haaransatz ist gerade, du hast in der Mitte der Stirn so eine kleine Spitze. Seine Augen sind schmal, er hatte leichte Lupflider, bei dir ist das rund und glatt um die Augen. Seine Oberlippe ist schmal, deine geschwungen. Und dann der Gesichtsausdruck! Er sieht in die Ferne so mackermäßig wie der Cowboy aus der Zigarettenreklame. Du aber siehst in die Welt mit so einem kleinen Lächeln um die Mundwinkel. Geheimnisvoll. Fast wie die Mona Lisa.«

Max ließ sich auf Chiaras Bettcouch fallen und schlug sich auf die Schenkel. »Wie die Mona Lisa, na das sind vielleicht Komplimente! Ich bin doch keine Tunte!«

Chiara kicherte und warf ihr Stuhlkissen nach ihm. »Es sollte aber eins sein. Du merkst es nur nicht, du Vollpfosten!«

»Rache!«, schrie Max und warf ein Kissen nach ihr. Sie fing das Kissen, sprang zu ihm hinüber und schlug auf ihn ein. Max schlug mit einem großen Stofftier zurück. »Lass meinen Schlaf-Elch in Ruhe!«, quiekte Chiara. Max hielt ihr den Elch direkt vor das Gesicht und mimte mit tiefer Stimme: »Die größten Kritiker der Elche, waren früher selber welche!« Chiara krümmte sich vor Lachen. Irgendwann lagen sie mit erhitzten Gesichtern und atemlos nebeneinander auf der Couch. Max hob die Hand und strich ihr vorsichtig die feuchten Locken aus dem Gesicht. In dem Moment klopfte es kurz an der Tür. Zugleich schwang sie auf und Herr Köhler stand im Türrahmen.