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Kapitel 16

Am Samstag wachte ich früh auf und ging im Bademantel nach unten, um Kaffee zu kochen. Auf dem Weg in die Küche schaute ich durch das Wohnzimmerfenster, um zu sehen, ob Quinns Auto immer noch in der Einfahrt stand. Ich bezweifelte, dass er bei diesen Temperaturen, die schon auf weit unter zehn Grad gesunken waren, die Nacht im Sommerhaus verbracht hatte. Das Auto war verschwunden, doch eine helle rote Spur von irgendetwas führte den Kiesweg hinauf zum Haus.

Ich öffnete die Haustür. Wenn ich nicht nach unten geblickt hätte, wäre ich über das blutige, ausgeweidete Tier auf der Türschwelle gestolpert. Ich schrie auf und schreckte zurück. Ein toter Fuchs.

Das sollte er zumindest darstellen. Ein ausgestopftes Tier. In der Stadt hatte ich ihn in etlichen Geschäften gesehen – Freddie the Fox, mit strahlenden Augen, spitzem Schwanz, gerade wie ein Pfeil, die Füße in einer Stellung, als sei er auf der Flucht, und ein albernes, schlitzohriges Lächeln im Gesicht.

Jemand hatte Freddie aufgeschlitzt, mit roter Farbe übergossen und seine ›Eingeweide‹ hinterlassen, damit ich sie fand. Ich horchte am Fuß der Treppe, ob mein Kreischen Pépé aufgeweckt hatte, doch im Obergeschoss war nichts zu hören. Gott sei Dank, denn ich wollte ihm den Anblick dieser verschrobenen Vorstellung eines Schabernacks ersparen.

Ich ging wieder nach oben und zog mich an. Freddies letzte Ruhestätte war ein schwarzer Plastikmüllsack, den ich in den alten Kutschenschuppen schaffte, der von uns als Garage genutzt wurde. Es schien ganz sinnvoll zu sein, Freddie wenigstens eine Weile zu behalten. Ein paar Minuten mit dem Gartenschlauch, die Düse auf harten Strahl gestellt, und schon war die Farbe weggespült. Die blassrosa Rinnsale verschwanden in den Beeten und Büschen.

Das war das Ende des Fuchses, außer dem Bild, das noch immer in meinem Geist herumspukte. Irgendwie erschien dieser kindische Akt nicht als etwas, was sich Claudia und Stuart Orlando einfallen lassen würden, um ihrer Ansicht über die Fuchsjagd Ausdruck zu verleihen. Doch wenn nicht sie es gewesen waren, wer sonst konnte wütend darüber sein, dass ich vorhatte, in drei Tagen die Goose-Greek-Fuchsjagd auf meinem Grundstück zu erlauben? An diesem Nachmittag wollten Pépé und ich uns ansehen, wie einige von Micks Stuten beim Point-to-Point-Herbstrennen des Goose-Creek-Jagdclubs an den Start gingen. Wer immer Freddie auf meine Türschwelle gelegt hatte, erwartete vermutlich, dass ich erschrocken genug sein würde, darauf zu reagieren – vielleicht sogar das Vorbereitungstreffen in Highland Farm abzusagen.

Ich brachte den Schlauch weg und beschloss, den Mund zu halten.

An einem durch Eichen beschatteten Höhenrücken, von dem aus man fast fünfzig Hektar grüner samtener Hügel überschauen konnte, versammelten sich die Zuschauer, die verfolgen wollten, wie die Vollblüter über das beeindruckende Gelände von Glenwood Park galoppierten. An den entfernten Ecken des sechs Kilometer langen Parcours wirkten Pferde und Reiter wie Spielzeuge, wenn sie die Hindernisse aus Buschwerk oder Holz übersprangen. Ich kam gerne hierher zu den Frühlings- und Herbstrennen. Trotz der atemberaubenden Schönheit von Glenwood war die Atmosphäre für Pferde, Besitzer und Jockeys weniger formell und weniger gezwungen als bei den Rennen für den großen Geldbeutel wie dem International Gold Cup, der in The Plains ganz in der Nähe stattfand.

Die ungezwungene Stimmung schwappte auf die Parkplatz-Picknicks über, wo Eltern mit ihren Kindern und Hunden im Schlepptau von Gruppe zu Gruppe bummelten, um zu schwatzen, zu trinken und zu essen. Man konnte fürstlich schlemmen bei diesen Gelegenheiten – Räucherlachs, Kaviar, Pasteten, Champagner in Waterford-Flöten serviert, Spitzenwein in Riedel-Gläsern und selbstgemachte Schokolade oder exquisite Kuchen als Dessert. Die Getränke wurden auf Eis gekühlt und aus der Heckklappe eines Range Rover oder Mercedes-Kombi gereicht. Das Essen – manchmal angeliefert, manchmal selbst gekocht – wurde an Tischen mit hübschen Tischdecken und dazu passenden Servietten serviert. Dekorationsobjekte, die auf die Jagd anspielten, und liebevoll arrangierte Blumen in antiken Silber- oder Kristallvasen dienten als Tafelaufsatz. Ich liebte den Charme und lässigen Ablauf dieser Partys und die Möglichkeit, an einem kühlen sonnigen Nachmittag so viele Freunde und Nachbarn zu treffen.

Amanda hatte immer ein kleines Wettbüro an der Heckklappe ihres Wagens aufgebaut und animierte die Leute, jeweils einen Dollar auf die einzelnen Rennen zu setzen. Die Stutenrennen waren reiner Spaß, denn die Pferde waren unbekannt und hatten noch kein Rennen bestritten. Das führte dazu, dass Wetten abgeschlossen wurden, weil jemandem ein interessanter Name oder der Renndress des Jockeys gefiel. Der Gewinner spendete sein Geld immer für eine von Amandas Wohltätigkeitsprojekte.

Ihre Stellung als Schriftführerin des Goose-Creek-Jagdclubs verschaffte ihr den Vorzug, sich für ihren Wagen einen Platz direkt an der Strecke neben der Ziellinie zu sichern. Obwohl die Rennen erst um ein Uhr gestartet wurden, wusste ich aus Erfahrung, dass ihre Party schon um elf Uhr begann, wenn sich die Tore für die Zuschauer öffneten. Es war halb eins, als ich meinen Mini auf der Wiese hinter dem Sattelplatz parkte, wo bereits Dutzende PKW und Lastwagen kreuz und quer abgestellt waren. Pépé und ich gingen an einer Reihe von leeren Pferdeanhängern vorbei zum abgetrennten Bereich für Gönner und Förderer. Heute gingen nur Jagdpferde an den Start, da das Point-to-Point-Rennen die jährlich stattfindende Wohltätigkeitsveranstaltung des Goose-Creek-Jagdclubs war. Mick hielt sich, so vermutete ich, im Zelt der Pferdebesitzer neben den Ställen und dem Jockey-Bereich auf, obwohl er versprochen hatte, zu uns zu kommen, sobald die Rennen begannen.

Als wir uns dem Sattelplatz näherten, entdeckte ich Shane Cunningham auf einem kastanienroten Vollblüter im Gespräch mit Sunny Greenfield. Er trug seinen Pinque für die Fuchsjagd, das rote Jackett, das seinen Namen vermutlich einem englischen Schneider zu verdanken hat, der es als Erster herstellte, und eine schwarze Jagdkappe. Obwohl er nicht an den Rennen teilnahm, würde er draußen auf dem Feld sein, sobald die Rennen begannen, da er einer der Vorreiter war, die alle Pferde zurückbrachten, die ihren Reiter verloren hatten. Er winkte uns zu, als er mich sah, und Sunny drehte sich zu uns um. Als wir den Sattelplatz erreichten, stellte ich sie meinem Großvater vor.

Sunny verhielt sich kühl, aber höflich. »Bitte entschuldigen Sie mich. Ich gehe wohl besser«, sagte sie. »Ich habe noch einen Termin mit einem Klienten in Charlottesville.«

»Sie verpassen Ihre eigene Point-to-Point-Veranstaltung?«, fragte ich.

»Das lässt sich leider nicht ändern. Es könnte sich um einen großen Auftrag handeln.« Sie wandte sich an Shane. »Wir unterhalten uns dann später noch.«

Sie nickte Pépé und mir zu. Nachdem sie gegangen war, herrschte peinliches Schweigen, und ich fragte mich, was sie und Shane wohl beredet hatten.

»Ich hörte, Ihre Nachbarn versuchen, Sie dazu zu bringen, Highland Farm für die Jagd zu sperren«, sagte er. »Bereiten sie Ihnen großen Ärger?«

Ich dachte an Freddie. »Nichts, womit ich nicht fertig werden würde.«

»Das beruhigt mich. Dann bleibt es für uns also bei Dienstag.«

»Natürlich.«

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich vorher vorbeikomme und die Sprünge und Zäune kontrolliere?«

Shane war einer der Piköre des Goose-Creek-Jagdclubs, das heißt, er ging nicht nur dem Leiter der Jagd zur Hand, sondern fungierte auch als Aufseher der Hundemeute. Er fing Nachzügler ein und sorgte dafür, dass die Meute zusammenblieb, wenn sie den Fuchs hetzte. Auch wenn die Bezeichnung martialisch klingen mochte, ein Pikör malträtierte die Jagdhunde nicht. Stattdessen ritt er mit der Meute voraus, häufig allein, bevor die anderen Jagdteilnehmer zu ihm stießen.

Nach dem, was an diesem Morgen geschehen war, war ich froh, dass er gewissenhaft schon im Vorfeld sicherstellte, dass nichts beschädigt oder nicht in Ordnung war. Falls die Person, die mir Freddie vor die Haustür gelegt hatte, beabsichtigen sollte, draußen im Gelände richtigen Schaden anzurichten, konnte das zu Verletzungen von Reitern oder Pferden führen.

»Natürlich können Sie vorbeikommen«, sagte ich. »An welche Zeit hatten Sie denn gedacht? Wir haben vor kurzem einem Freund von Quinn die Jagd auf Rehwild erlaubt, da es bei uns zu viel davon gibt. Ich muss nur dafür sorgen, dass an dem Tag niemand zur Jagd draußen ist.«

»Wie steht es mit Montagmorgen?«

»Montag ist in Ordnung.«

Er berührte seine Kappe mit der Hand. »Danke! Ich muss jetzt los. Die Reiter werden zum Start gerufen.«

»Wir sollten uns auch aufmachen«, sagte ich zu Pépé.

Wir kamen zu Amandas belagertem Auto, als das Rennen, ein Flachrennen für Neulinge, gerade beginnen sollte. Die Pferde, alles Vierjährige oder älter, hatten noch nie ein Flachrennen gewonnen und mussten über die Distanz von zweieinhalb Kilometer auf dem Turf gehen – ohne Sprünge oder Hürden.

»Du kommst zu spät, um noch zu setzen.« Amanda klang enttäuscht, als wir uns am Zaun zu ihr stellten, wo ein Dutzend Jockeys und Pferde auf das Startsignal warteten.

»Ich werde beim nächsten Rennen wetten«, sagte ich. »Entschuldige, dass wir so spät kommen. Ich musste mich noch um etwas auf dem Weingut kümmern.«

»Die Reiter sind bereit.« Die Stimme, die aus dem Lautsprecher des Turms neben uns ertönte, klang beruhigend. Einen Moment später sagte dieselbe ruhige Stimme: »Und auf geht’s!«

Amanda verfolgte das Rennen durch ihr Fernglas, als sich die Pferde weiter entfernten. »Du meine Güte!«, sagte sie. »Ich glaube, ich habe auf einen Blindgänger gesetzt. Na schön, das Rennen kann ich vergessen.«

»Ist doch bloß ein Dollar. Und der ist auch noch für einen wohltätigen Zweck«, sagte ich.

Sie ließ das Fernglas sinken und hielt ihren breitkrempigen Hut fest, als ein Windstoß eine nahe Eiche zum Rauschen brachte und andere Blätter, die bereits abgefallen waren, in einem kleinen Wirbelwind um uns herumtanzen ließ.

»Ich mag den Wind trotzdem«, sagte sie. »Komm! Lass uns einen Champagner trinken.«

Wir drängelten uns durch die Menge ihrer Freunde und Familienmitglieder, die um die Büfetttische herumstanden oder sich mit ihrem Essen und Getränken zu Grüppchen versammelt hatten. Ein paar ältere Gäste saßen auf den Campingstühlen, die der Rennstrecke zugewandt in Reihen aufgestellt worden waren. Die Leute warfen sich für diesen Anlass in Schale – Frauen trugen Kleider oder Röcke mit Jacken, an denen Juwelen glitzerten, oder Schals mit Fuchs- und Pferdemotiven darauf. Männer trugen Blazer, Button-down-Hemden und Khakihose; auf Krawatten, Manschettenknöpfen und Gürtelschnallen waren ebenfalls Pferde und Füchse zu sehen.

Mit ihrer Aufmachung aus der Rolle fiel ein junger Teenager. Das Mädchen lehnte an Amandas Auto mit dem gequälten Gesichtsausdruck von jemandem, dem man befohlen hatte, hier zu erscheinen, sonst gebe es Ärger. Schwarzes Make-up und schwarze Kleidung – Lippen, Augen, Nagellack auf abgekauten Fingernägeln und dazu enge zerrissene Jeans, zerfetzte schwarze Turnschuhe ohne Schnürsenkel und ein schäbiges Jackett. Unterlippe und Nase waren gepierct, und um den Hals trug sie ein Nietenhalsband wie für einen Hund. Es dauerte einen Moment, bis ich in ihr Amandas Tochter Kyra erkannt hatte. Als ich sie vor ein paar Jahren bei einem Landbesitzer-Fest des Goose-Creek-Jagdclubs zum letzten Mal gesehen hatte, war sie ein hübsches Mädchen mit süßem Gesicht und honiggelbem Haar gewesen. Jetzt war ihr Haar pechschwarz mit blutroten Streifen darin.

Amanda bemerkte sie ebenfalls. »Entschuldige mich bitte einen Moment«, sagte sie und ging zu ihrer Tochter. Sie sprach leise, doch Kyra, die den Eindruck machte, als wolle sie es auf die Spitze treiben und ihre Mutter in Verlegenheit bringen, dachte nicht daran, ihre Stimme zu senken.

»Ich hab dir doch gesagt, dass ich keinen Bock habe, hier zu erscheinen.« Sie verschränkte die Arme und schaute weg. »Wie ich rumlaufe, ist doch wohl meine Sache. Mir gefällt’s.«

»Kyra …«

Das Mädchen bückte sich und hob einen schmutzigen Rucksack auf. »Kann ich jetzt gehen? Ich muss jemanden treffen. Ich war da, oder etwa nicht?«

Amanda sah aus, als versuche sie, in dieser Situation zu retten, was zu retten war. »Ich möchte, dass du um Mitternacht zu Hause bist.«

Kyra warf sich den Rucksack über die Schulter und starrte ihre Mutter ungläubig und mit dem Ausdruck tiefster Verachtung an. »Ich komme, wann es mir passt.« Sie drehte sich um und ging. »Blöde Kuh!«

»Kyra!«

Amandas Tochter lief weiter, mit gesenktem Kopf, während der Rucksack auf ihrem Rücken auf und ab tanzte, doch mit einem Schwung in ihren Schritten, der ausdrückte, dass es ihr nicht leidtat, ihre Mutter gerade vor den Augen ihrer Freunde gedemütigt zu haben. Mir taten beide leid, doch ich wusste, dass das, was ich eben miterlebt hatte, wahrscheinlich nichts im Vergleich zu dem war, was bei ihnen zu Hause geschah.

Nach dem Tod meiner Mutter hatte Mia beschlossen, es Gott und der Welt für ihren Verlust heimzuzahlen, indem sie sich so schnell wie möglich in alle nur denkbaren Schwierigkeiten manövrierte. Ihre Abwärtsspirale und die lautstarken Auseinandersetzungen mit Leland über Jungen, Schule, Alkohol und Drogen waren schrecklich gewesen und hatten uns allen den letzten Nerv geraubt. Niemand wusste, ob sie sich darüber im Klaren waren, dass sie den Punkt erreichen würde, an dem es kein Zurück mehr gab, wenn sie sich nicht helfen ließ. Nachts lag ich schlaflos im Bett und fragte mich, wessen Leben zur Hölle geworden war – Mias oder das der restlichen Familie. Dann versuchte ich mir, die Vergangenheit ins Gedächtnis zurückzurufen, um zu ergründen, wann was schiefgelaufen war, bis ich schließlich eines Tages aufwachte und feststellte, dass meine kleine, süße Schwester zu einer tobenden, rebellischen Fremden geworden war. Obwohl sich Mia seitdem ein wenig beruhigt hatte, waren wir noch nicht aus dem Gröbsten heraus. Im Frühling war sie nach einem Unfall und mit in betrunkenem Zustand tödlichen Folgen beinahe ins Gefängnis gewandert.

Amanda stand mit dem Rücken zu uns und sah zu, wie Kyra verschwand. Als sie zu uns kam, leuchteten zwei flammend rote Flecken auf ihren Wangen.

»Ich möchte mich für meine Tochter und ihr unmögliches Verhalten entschuldigen.« Ihre Stimme klang verlegen.

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte ich. »Wahrscheinlich wirst du es nicht glauben, aber sie wird daraus herauswachsen. Mia hat es auch geschafft.«

Amanda schaute mich an, als versuche sie, sich auf meine Worte zu konzentrieren. »Nicht, wenn ich sie nicht vorher umbringe. Ich kann sie einfach nicht erreichen, es gibt nichts, was wir tun oder sagen können.« Sie deutete mit einer Geste auf die Umgebung. »All dies hier – sie sagt, es sei materialistisch und protzig. Sagt, sie verabscheue die Art, wie wir leben. Natürlich hielt sie das nicht davon ab, das Auto zu nehmen, das wir ihr gekauft haben. Oder das Pferd. Oder im Sommer mit dem Rucksack in Europa herumzureisen, als wir es ihr bezahlten.«

Während sie noch redete, ging Pépé zur Kühlbox mit den Getränken. Als er zurückkam, reichte er uns zwei Gläser mit Champagner.

Amandas Hand zitterte, als sie ihr Glas nahm. »Vielen Dank, Luc!«

»Alles wieder in Ordnung?«, fragte ich sie.

»Es wird schon. Entschuldigung! Ich sollte gar nicht darüber reden. Schau, das Rennen ist fast beendet. Lass uns sehen, wer gewonnen hat.«

Mick kam direkt vor dem dritten Rennen, um Sweet Emma zu beobachten, eine seiner dreijährigen Stuten, die im Flachrennen der Stuten lief. Zum ersten Mal sah ich die Farben seines Rennstalls – blaue und weiße Quadrate mit einem roten Streifen darin und rote Bordüre an Kragen und Manschetten. Die rot-weiß-blaue Jockeymütze erinnerte mich vage an den Union Jack.

Er küsste mich auf die Wange und schüttelte Pépé die Hand. Nach einigen Scherzen gesellte er sich zum Rest der Menge – weitere Küsse für die Damen und ein freundliches Arm-auf-die-Schulter-Legen für die Männer. Sein Kuss war kühl und trocken gewesen und schien bar jeder Zuneigung zu sein. Dies war eines der zahlreichen Dinge, die ich an ihm nicht verstand – seine Fähigkeit, Gefühle einfach ein- und ausschalten zu können –, und es brachte mich völlig aus dem Gleichgewicht. Vielleicht wollte er es so, oder er versuchte, unsere Beziehung geheim zu halten, doch der Zweifel und die Ungewissheit, woran ich an einem bestimmten Tag mit ihm war, ermüdeten mich immer mehr.

»Ich würde deinen Freund gerne zum Abendessen einladen«, sagte mir Pépé ins Ohr, nachdem Sweet Emma gewonnen hatte und Mick eine zweite Flasche Champagner mit einem lauten Knall öffnete, wobei ihm die Flüssigkeit über die Hände sprudelte.

Mick lachte, und unsere Blicke trafen sich. Er warf mir eine Kusshand zu, und ein paar Frauen, die neben ihm standen, registrierten es.

»Das ist eine nette Idee, Pépé, aber ich weiß nicht …«

»Ich möchte diesen Mann kennenlernen, der vor aller Augen mit meiner Enkelin flirtet.«

»Er flirtet nicht …«

Er schnalzte mit der Zunge. »Lucie«, sagte er, »ein Mann weiß, wann ein anderer Mann mit der Frau, die neben einem steht, flirtet. Einem alten Franzosen darfst du ruhig Glauben schenken.«

Ich lächelte. »In Ordnung, du kannst ihn zum Abendessen einladen.«

Doch Mick hatte den Abend bereits verplant. »Schrecklich gerne«, sagte er, »aber unglücklicherweise geht es um Geschäftliches, und da kann ich nicht mehr absagen.«

»Wenn es nicht zu spät beendet ist, stößt du einfach zum Dessert und Kaffee zu uns«, sagte ich. »Oder auf einen Brandy. Wir lassen uns im Inn sowieso erst spät einen Tisch zuweisen, da mein Großvater es vorzieht, nach acht Uhr zu Abend zu essen.«

Mick streichelte mit dem Handrücken meinen Arm. »Ich will es versuchen, aber ich fürchte, dass es den ganzen Abend dauert.« Er wandte sich an Pépé. »Danke für die Einladung, Luc. Ein anderes Mal, hoffe ich. Lucie hat so viel von Ihnen erzählt.«

»Mick!«, rief Amanda. »Sollen wir bei diesem Rennen auf Casbah setzen oder nicht? Das Rennen wird in wenigen Minuten gestartet.«

Mick hatte Casbah, einen schwarzen Wallach mit einem weißen Flecken auf der Nase und zwei weißen Fesseln, für das nächste Rennen gemeldet, das über fünf Kilometer mit Hürden ging.

»Natürlich setzen wir auf ihn. Er gewinnt.« Mick zog seine Brieftasche und gab ihr einen Hundert-Dollar-Schein. »Bitte schön!«

»Der Einsatz ist ein Dollar«, sagte sie. »Ich nehme es aber trotzdem, da das Geld an das Loudoun Pflegeheim geht.«

Doch als der Jockey mit Casbah zur Startlinie kam, scheute das Pferd und weigerte sich, seinen Platz einzunehmen. Mick wirkte nervös, als der Jockey Casbah einen kleinen Kreis traben ließ und ihm besänftigend zuredete. Schließlich schien sich das Pferd zu beruhigen. Als der Startschuss fiel, preschte es den anderen davon und hielt über die ersten drei Kilometer einen Vorsprung von mindestens zehn Längen.

»Sieht gut aus«, sagte Amanda zu Mick.

»Ich weiß nicht«, meinte Mick. »Alberto hat Schwierigkeiten, ihn zu halten.«

In dem Moment, als er es sagte, erwischte Casbah mit dem Hinterlauf eine Hürde und geriet ins Straucheln. Er fing sich wieder, doch Alberto fiel aus dem Sattel und stürzte zu Boden. Der Jockey stand nicht auf und blieb regungslos liegen, während sich ihm der Rest des Feldes schnell näherte. Wenn die anderen, die einen Hügel hinaufritten, nicht mitbekommen hatten, was dort geschehen war, und ihre Richtung beibehielten, würde Alberto zu Tode getrampelt werden.

Die vorher ruhige Stimme des Sprechers klang plötzlich aufgeregt. »Es sieht so aus, als sei Casbahs Jockey zu Fall gekommen. Er steht nicht auf …«

»Steh auf, Alberto, steh auf!«, sagte Mick neben mir wie jemand, der betet. »Mein Gott, bitte! Steh auf!«

Ich sah, wie einer der Vorreiter Casbah verfolgte, der wild auszubrechen versuchte, und plötzlich schien Shane aus dem Nichts heranzufliegen und mit Höchstgeschwindigkeit auf Alberto zuzugaloppieren, der wieder auf die Beine gekommen war.

»Shane hält auf ihn zu«, sagte Amanda. »Ich glaube nicht, dass er es schafft …« Sie legte die Hand vor den Mund.

»Es wird sie beide töten«, sagte ich. »Der Rest des Feldes kommt zu schnell heran.«

»Geben Sie mir das Fernglas!« Mick stellte sich auf den Zaun, um besser sehen zu können, und nahm Amanda das Fernglas ab. »Los, mach voran! Du schaffst es, Shane! Schnapp ihn!«

Ich hielt die Luft an, während Shane Alberto eine Hand reichte, der danach griff und sich hinter Shane in den Sattel schwang, genau in dem Moment, als das erste Pferd, gefolgt vom Rest des Feldes, die Hürde übersprang.

Micks und mein Blick trafen sich. Sein Gesicht war aschfahl, doch ihm gelang ein Lächeln.

Amanda hatte das Programm in ihrer Hand zerknüllt. »Das war unglaublich!«

»Mein lieber Schwan! Das war knapp«, sagte Mick. »Ich muss weg.« Er drückte meinen Arm. »Bis bald!«

»Dein Freund ist sehr tüchtig«, sagte Pépé zu mir. »Ein ausgezeichneter Pferdezüchter.«

»Du müsstest ihn Polo spielen sehen«, sagte ich. »Der kennt keine Angst.«

Nach dem Rennen machten Pépé und ich uns auf. Als wir zum Wagen gingen, sah ich, wie Shane auf dem Sattelplatz die Gratulationen von Jockeys, Pferdepflegern und Besitzern entgegennahm. Ich fragte mich, wo Nicole war. Vielleicht hatte sie mit Shane wirklich Schluss gemacht, wie sie gesagt hatte.

Auf dem Weingut bekam ich die Antwort. Frankie und Gina waren am Nachmittag vollauf damit beschäftigt gewesen, zusammen mit zwei Kellnern vom Goose Creek Inn Wein zu verkaufen. Die meisten Tische auf der Terrasse waren noch besetzt, doch in einer Stunde würden wir schließen. Die Menge würde sich langsam lichten, obwohl ich wusste, dass viele ihren Aufbruch so lange wie möglich hinauszögern würden.

Mein gut achtzigjähriger Großvater flirtete mit Gina, während Frankie und ich in meinem Büro die Verkäufe vom Tage durchgingen.

»Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Lucie?«, fragte sie, als wir allein waren. »Sie scheinen irgendwie abgelenkt.«

»Mir geht’s gut. Ist Quinn heute vorbeigekommen?«

»Nein, und Sie sind auch nicht die Einzige, die ihn sucht. Nicole Martin tauchte hier auf. Sie müssen sie knapp verpasst haben.«

»Sie kam, um Quinn zu treffen? Das ist die Erklärung, weshalb sie nicht mit Shane beim Point-to-Point war.«

»Wenn Sie mich fragen, wollte sie nur Zeit totschlagen. Meinte, später sei sie zum Abendessen mit Mick Dunne verabredet.« Frankie zog eine Augenbraue hoch. »Was hat es damit auf sich?«

Ich spürte, wie etwas in mir zerbrach. »Ich habe ihn in Glenwood getroffen, und er sagte mir, er habe heute Abend ein Geschäftsessen.« Ich versuchte, ungezwungen zu klingen. »Er hat vor, sie zu engagieren. Sie soll ein paar außergewöhnliche Weine für seine Sammlung aufstöbern.«

Frankie schaute mich kritisch an. Ich hatte sie nicht hinters Licht führen können. »Tut mir leid, aber für ein Geschäftsessen war sie nicht gekleidet.«

Ich ließ die Maske fallen. »Danke! Das war es, was ich hören wollte.«

»Also gut, sie trug ein Trauergewand und sah verheerend aus. Fühlen Sie sich jetzt besser?«

»Nein.«

»Ich dachte, zwischen Ihnen und Mick wäre es nicht so ernst. Sie machen beide den Eindruck, als wäre Ihnen Ihre Beziehung ziemlich egal. Außerdem, wenn Sie mich fragen, der ist für nichts weiter gut als Kummer. Zu egoistisch, um anderen gegenüber eine Verpflichtung einzugehen.«

Ich nahm ihren Stapel Kassenbons und ordnete sie so, dass die Kanten genau übereinanderlagen. »Manchmal erinnert er mich in seiner Art, mit Frauen umzugehen, an Leland.«

Obwohl die Taktlosigkeiten meines Vaters außerhalb unseres Hauses stattgefunden hatten, hatte ich nach seinem Tod davon erfahren. Wenn ich zurückblickte, war seine Laissez-faire-Einstellung gegenüber Frauen und Kindern vermutlich der Grund, weshalb meine Mutter sich so sehr in die Arbeit für das Weingut gestürzt hatte. Und weshalb sie die Leere in ihrer Ehe mit einer engen – und romantischen – Beziehung mit meinem verstorbenen Patenonkel ausgefüllt hatte.

Wie Tolstoi schon sagte, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich. In meiner waren die Eltern verheiratet und verliebt geblieben – wenn auch in andere Personen verliebt.

Frankie zuckte die Achseln. »Ihren Vater habe ich nicht gekannt, aber Sie verdienen Besseres als einen Typ, dessen Leitmotiv einzig aus dem Nervenkitzel bei der Jagd besteht. Rauf aufs Pferd und wieder runter.«

An diesem Abend bestellte Pépé zu unserem Essen eine formidable Flasche Château Lafite Rothschild. ›Wenn ich Wein trinke, wird mein Schmerz vertrieben, und meine dunklen Gedanken fliegen zu den Ozeanwinden‹, schrieb Anakreon, einer der alten griechischen Lyriker.

Ich aß und trank mit meinem Großvater, und ich genoss es. Für den Rest des Abends vertrieb ich alle Gedanken an Mick, egal ob dunkle oder andere, zu den Ozeanwinden.